Van Damperen nahm seine Jacke vom Haken. Frank erhob sich ebenfalls. Als sie nebeneinander standen, stellte er fest, dass der Polizist nur unwesentlich kleiner war als er.
„Es ist nur ein kleiner Fußmarsch. Hier in der Innenstadt erledigen wir die kleineren Wege alle zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Kommen sie, Doktor.“
Als sie das Gebäude verließen, zog der Commissaris eine dunkle Sonnenbrille aus der Jackentasche und blieb vor der Türe stehen. Dann setzte er die Sonnenbrille auf und sah sich erst einmal im Kreis um. Er trug einen dunklen Anzug, weißes Hemd und passende Krawatte. Frank drängte sich der Vergleich mit einem FBI Agenten aus amerikanischen Actionfilmen auf. Selbst an der Stelle, wo der Commissaris seine Waffe trug, beulte sich der Stoff der Anzugjacke ein wenig aus. Frank kamen Zweifel. Dieser Polizist, der sich ganz wie ein Film - Geheimagent gab, sollte den Tod Dr. Schwenkers aufklären? Zweifelnd schüttelte er den Kopf.
„Kommen, sie Doktor. Wir müssen hier lang.“ Mit weit ausgreifenden Schritten machte sich der Commissaris auf den Weg. Dabei zeigte er hin und wieder auf verschiedene Gebäude der Stadt und erklärte Frank jeweils kurz etwas zu der Geschichte der Häuser. Nebenbei stellte er immer wieder Fragen zu Dr. Schwenker, die Frank so gut wie möglich beantwortete.
„Nein, Dr. Schwenker war, soweit es mir bekannt ist, ein ausgezeichneter Segler. Er hatte alle erforderlichen Bootsführerscheine. Darauf war er immer sehr stolz gewesen.“
Sie kamen um eine Gebäudeecke und sahen sich plötzlich einem Pulk Touristen gegenüber. Van Damperen machte einen Bogen um die Gruppe.
„Nein, ich war nie mit Dr. Schwenker segeln.“ Frank antwortete auf die nächste Frage Van Damperens. „Ich bin eigentlich mehr bodenständig, also segeln ist nicht so mein Ding. Ich werde schon seekrank, wenn ich nur mit einer Fähre über einen Fluss fahre.“
Das war nicht übertrieben. Frank setzte keinen Fuß auf ein Boot, wenn es nicht unbedingt sein musste.
„Na, dann werden sie sich aber überwinden müssen, denn ich wollte sie heute Nachmittag auf Schwenkers Boot einladen. Dass sie sich vielleicht einmal dort umsehen würden.“
„Sie haben Schwenkers Boot hier?“ Frank war nicht sehr begeistert. Die Aussichten den Nachmittag auf der schwankenden Yacht verbringen zu müssen, stimmten ihn nicht besonders fröhlich.
„Nicht direkt hier, wir werden ein Stück mit dem Wagen fahren müssen. Das Boot liegt in Enkhuizen, nördlich von hier. Wir würden direkt, nachdem wir in der Pathologie waren, hinfahren. Ich kenne dort ein nettes kleines Restaurant, wo wir zu Mittag essen könnten. Danach schauen wir uns das Boot an und sind noch früh genug zurück, so dass sie in Ruhe heimfahren können.“
Frank schüttelte den Kopf. „Ist das unbedingt notwendig? Mir fällt es schon schwer genug, Schwenker zu identifizieren. Und dann auch noch auf diese schaukelnde Yacht ...“
Van Damperen sah Frank an, dass er nicht begeistert war. „Es dient der Wahrheitsfindung, Dr. Rudak. Vielleicht überlegen sie sich das doch noch einmal!“, meinte er dann in ernstem Tonfall
Es dauerte nicht lange und sie standen vor einem alten Gebäude, das recht unscheinbar in einer Seitengasse lag. „So, da sind wir schon. Kommen sie, Dr. Rudak, wir müssen natürlich in den Keller herunter.“
Der Pathologe, ein Dr. Ijchter, erwartete sie schon. Sein missmutiges Gesicht ließ nicht viel Gutes ahnen und der Disput, der sich zwischen Ijchter und Van Damperen erhob, klang nicht besonders freundlich. Van Damperen sparte sich die Übersetzung. Ijchter reichte Frank kurz die Hand, brummte etwas wie ‚Goedemorgen Mijnheer‘ und wandte sich dann um.
„Kommen sie, Dr. Rudak.“ Der Polizist legte ihm die Hand auf die Schulter. „Es wird kein schöner Anblick sein, glauben sie mir. Aber da sie selber Arzt sind, nehme ich an, sie sind auch einiges gewöhnt. Dr. Schwenker trieb fünf Tage im Wasser und sieht natürlich entsprechend aus. Aber sein Gesicht dürfte noch identifizierbar sein.“ Der Pathologe ging voran. Hier sah es aus, wie in allen Pathologien der Welt. Die Gesetzmäßigkeit der Reinlichkeit und Hygiene verlangte einen gewissen Standard. Der Leichnam Dr. Schwenkers lag auf einem stählernen Rolltisch. Ein weißes Tuch bedeckte den Körper. Dr. Ijchter lüftete das Tuch über dem Kopf.
Das aufgedunsene Gesicht Dr. Schwenkers schien Frank entgegen zu grinsen. Gnädig hatte man die Augen geschlossen. Überall zeigten sich kleine Bisswunden von hungrigen Fischen, für die der tote Dr. Schwenker eine leichte Beute gewesen sein musste. Ein schöner Anblick war das wirklich nicht. Trotzdem konnte Frank ihn identifizieren.
„Ja, das ist Dr. Schwenker. Eindeutig.“
Der Pathologe deckte den Leichnam wieder zu. Frank und Van Damperen verließen den Raum.
„Wie ist es passiert?“ Erst jetzt stellte Frank diese Frage.
„Dass sie das fragen würden, habe ich schon erwartet. Warum fragen sie erst jetzt?“ „Ich, ich, nun ich habe einfach nicht eher daran gedacht.“ Das war so nicht ganz die Wahrheit, denn Frank wusste ja, dass Schwenker ermordet worden war. Ihn interessierte jetzt, wie es genau geschehen war.
„Nun, Dr. Schwenker muss den Brand an Bord seines Schiffes bemerkt haben, bekam wohl Panik und wollte vom Bug möglichst schnell zur Kajüte. Dabei muss er sich in einer Leine verfangen haben und über Bord gefallen sein. Die Leine verhakte sich und Schwenker hing mit dem Oberkörper im Wasser. Er hat sich aus dieser Situation nicht mehr befreien können und ist schließlich entkräftet ertrunken.“
Sie traten wieder auf die Straße. Frank atmete tief durch. Obwohl das natürlich Einbildung war, vermeinte er in solchen Gebäuden ständig Leichengeruch in der Nase zu haben.
Van Damperen sprach weiter: „Dabei konnte nicht geklärt werden, wie es zu dem Brand auf der Yacht kam. Irgendwelche Spuren, defekte Elektrogeräte oder Ähnliches wurden nicht entdeckt. Der Brand erlosch nach einiger Zeit von alleine, Schwenkers Boot bestand zu einem guten Teil aus nichtbrennbaren oder nur schwer brennbaren Materialien. Außerdem muss es wohl geregnet haben, so dass die Flammen nicht das gesamte Boot zerstören konnten. Nachdem ein Teil der Kajütendecke verbrannt war, konnte der Regen das Feuer schnell löschen. Das hat aber dem guten Dr. Schwenker nicht mehr viel genützt!“
Lautstark zog die Touristengruppe, die sie vorhin passiert hatten, an ihnen vorbei. Van Damperen machte eine kurze Pause in seinen Erklärungen. „Dr. Rudak. Es gibt da einige Ungereimtheiten, aber bei dem augenblicklichen Stand der Ermittlungen müssen wir von einem Unfall ausgehen. Hat Dr. Schwenker Angehörige, die sich um die Überführung und die Beerdigung kümmern könnten? Unsere Ermittlungen haben lediglich ergeben, dass er eine geschiedene Frau hatte, die aber vor einigen Monaten bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Deswegen ha...“
Van Damperen stockte mitten im Satz. Frank musste ihn wie ein Gespenst angesehen haben: „Seine, seine, seine Ex - Frau ist wirklich tot?“
Was ihm dieser Polizist so nebenbei mitteilte, löste in ihm eine Lawine von Gefühlen aus. Natürlich, alles was Dr. Schwenker geschrieben hatte, musste Punkt für Punkt der Wahrheit entsprechen! Frank konnte die Tatsachen jetzt nicht mehr ignorieren, verdrängen oder verniedlichen. Punkt für Punkt der Ausführungen Dr. Schwenkers stimmte. Aber wer oder was steckte dahinter? Jetzt war er selbst begierig darauf, die Yacht zu besichtigen.
Langsam wurde Frank die Gefahr, in der er steckte bewusst. Und dass er ganz alleine dastand. Wem konnte er noch vertrauen? Wie weit reichte der Arm der ‚Organisation‘, von der Schwenker geschrieben hatte? Frank erinnerte sich an den Autounfall letzte Nacht. Stand er jetzt schon auf der Todesliste? Sollte auch er ermordet werden? Plötzlich merkte er, wie Van Damperen auf ihn einredete.
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