„Ich, ich bin ins Schleudern gekommen und dann hier gelandet.“
„Und warum sind sie ins Schleudern gekommen?“ Der Polizist ließ nicht locker. Mittlerweile hielt ein Krankenwagen am Straßenrand. Ein Arzt und ein Sanitäter kamen auf ihn zu. Das enthob ihn zunächst einer Antwort, denn die beiden schoben den Polizisten jetzt einfach zur Seite und widmeten sich Dr. Rudak. Der Arzt diagnostizierte ein paar geprellte Rippen, dort wo der Sicherheitsgurt ihn festgehalten hatte. Ansonsten war Frank noch einmal mit dem Schrecken davongekommen. Während Arzt und Sanitäter wieder zu ihrem Ambulanzwagen gingen, hielt ein Abschleppfahrzeug direkt dahinter. Der Fahrer überblickte die Situation und fuhr rückwärts an Franks Wagen heran.
„Wir ziehen den Wagen nur auf die Straße zurück.“ Mit einem Blick auf die leicht lädierte Seite gab der Polizist Frank die Papiere zurück. „Wenn sie in der Lage sind weiterzufahren, dann können sie das tun. Der Alkoholtest war negativ. Es gibt also keinen Grund sie nicht fahren zu lassen. Fühlen sie sich in der Lage zu fahren?“
Frank nickte. „Ich muss nach Amsterdam, das ist jetzt ja nicht mehr weit. Es geht mir soweit gut. Wenn der Wagen läuft, dürfte das kein Problem sein.“
„Gut, die Kosten dieser ganzen Angelegenheit werden sie tragen müssen. Die Rechnung erhalten sie in einigen Tagen. Bitte unterschreiben sie hier.“ Damit zeigte er auf ein Blatt an seinem Schreibblock. Frank setzte seinen Namen unter das Schriftstück.
Der Rest der Fahrt verlief problemlos. Nachdem der Mechaniker seinen Wagen wieder auf die Straße gestellt hatte, versuchte Frank ihn zu starten. Schon beim ersten Versuch sprang der Motor ohne Probleme an. Den Abschleppwagen zahlte er direkt in bar, dann befand er sich auch schon wieder auf der Fahrbahn. Der Polizist war auf dem Motorrad noch ein Stück hinter ihm hergefahren, hatte dann aber die nächste Ausfahrt genommen. Dr. Frank Rudak befand sich jetzt allein auf der Autobahn. Mittlerweile war es kurz nach Mitternacht und als er endlich im Hotel in der Innenstadt ankam, nahm er einfach das vorbestellte Doppelzimmer. Für eine Umbestellung hatte er jetzt nicht mehr die Nerven. Es war ihm einfach egal, Hauptsache jetzt eine heiße Dusche und ein warmes Bett. Frank stellte beim Ausziehen fest, dass seine Hose hinten nass war. Er hatte doch eine ganze Weile in dem feuchten Gras gesessen.
Der Weckdienst klingelte zur vereinbarten Zeit bei ihm an. Verschlafen nahm Frank den Hörer ans Ohr. „Sie wollten um acht Uhr dreißig geweckt werden. Es ist jetzt acht Uhr dreißig.“ Die weibliche Stimme klang jung, frisch und hatte einen süßen holländischen Akzent. Vor seinem geistigen Auge sah er die Dame in Trachtenkleidung an der Rezeption stehen.
„Danke.“ Frank musste sich zweimal räuspern, bevor er das Wort herausbrachte. Seine Rippen schmerzten ein wenig und schlagartig traten die Ereignisse der Nacht wieder vor seine Augen. Mühsam schälte er sich aus dem Bett und schlurfte ins Badezimmer. Nach einer kurzen Dusche fühlte er sich wieder einigermaßen fit. Auch das Frühstücksbuffet des Hotels brachte seine Lebensgeister wieder auf Trab, wobei der ausgezeichnete Kaffee sein Übriges tat. Frank fühlte sich jetzt für die Begegnung mit dem Commissaris fit.
Die Polizeistation in der Innenstadt war nicht schwer zu finden, man hatte ihm im Hotel den Weg genauestens erklärt. Allerdings trug die junge Dame am Empfang nicht die erwartete Trachtenkleidung. Aber irgendwie hatte Frank damit auch nicht wirklich gerechnet.
Er klingelte an der Eingangstür der Polizeistation. Sofort wurde ihm geöffnet. Frank schaute auf seine Uhr. Kurz nach zehn. Ein Polizist sprach ihn freundlich in holländischer Sprache an und fragte etwas. Aber Frank verstand nur jedes zweite Wort. Er wollte gar nicht erst seine wenigen holländischen Brocken zusammensuchen, sondern antwortete direkt auf Deutsch. „Guten Tag, ich bin hier mit Commissaris Van Damperen verabredet.“
„Ah, ja. Mein Herr, bitte kommen sie mit mir. Sie sind Herr Rudak aus Frankfurt? Der Commissaris erwartet sie schon.“
Sie gingen durch einen langen Gang und bogen schließlich um einige Ecken. Das alte Gebäude musste wirklich sehr verwinkelt sein. Schon nach wenigen Minuten verlor Frank die Orientierung. Kurze, sich ständig verzweigende Gänge reihten sich aneinander und endlich blieb der Uniformierte vor einer Tür stehen und klopfte an. Dann öffnete er, noch ohne eine Antwort abzuwarten.
„Dit is Heer Rudak, Commissaris Van Damperen.“
„Ah, gut. Danke.“ Der Commissaris sprach nahezu akzentfrei Deutsch. Mit ausgestreckter Hand kam er Frank entgegen. Sie schüttelten sich die Hände. „Guten Morgen, Herr Dr. Rudak. Ich bin Commissaris Frederic Van Damperen. Hatten sie eine angenehme Fahrt hierhin?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, wies Van Damperen auf einen Stuhl und sprach weiter: „Bitte setzten sie sich hierhin, ich habe noch einige Fragen an sie und dann können wir in die Pathologie gehen. Darf ich ihnen zuvor einen Kaffee anbieten?“
Wieder ohne eine Antwort von Frank abzuwarten, sprach er in das Telefon und orderte Kaffee. Dann sah er sein Gegenüber lange an. „Kannten sie Dr. Schwenker gut? Neigte Dr. Schwenker zu Schwermut? Äußerte er irgendwann Selbstmordabsichten?“
Franks Gedanken rasten. Sollte er dem Commissaris von dem Chip erzählen? Dr. Schwenker hatte sich mit Sicherheit nicht selbst umgebracht. Aber konnte er seine Erkenntnisse diesem wildfremden Polizisten anvertrauen? Die Tür klappte auf und der Beamte, der ihn hierhin begleitet hatte, erschien mit zwei Tassen und einer großen Kanne. „Bedankt, Heiko.“ Damit war der Mann wieder entlassen. Leise verließ er den Raum und schloss hinter sich die Tür.
Frank räusperte sich: „Also, ich glaube nicht, dass Dr. Schwenker Selbstmord begangen hat. Ich kannte Dr. Schwenker als Arbeitskollegen und Vorgesetzten und er hat mir gegenüber niemals irgendwelche Absichten in dieser Hinsicht geäußert. Im Gegenteil. Ich sollte gegen Ende des Jahres in sein Forscherteam aufgenommen werden.“ Frank nippte an dem Kaffee. Heiß und gut. Vorsichtig stellte er die Tasse wieder auf den Unterteller. „Dr. Schwenker hat mir eine Postkarte geschickt, aus, aus ...“ Frank überlegte. Wie hieß das verflixte Kaff denn noch einmal?
„Lemmer.“ Van Damperen nahm Frank das Wort aus dem Mund.
„Ja, stimmt. Aus Lemmer. Woher wissen sie das?“
„Nur geraten. Dr. Schwenker hatte in Lemmer seinen Bootsliegeplatz.“
„Ach so, ja. Also auf jeden Fall erhielt ich diese Postkarte. Schwenker war schon fünf Tage verschwunden. Nachher habe ich erfahren, dass er Urlaub hatte. Nur diese Sache mit der Karte ...“
Van Damperen sah ihn scharf an. „Was war mit der Karte, Dr. Rudak? Hat er irgendetwas Besonderes geschrieben?“
„Nein, etwas Besonderes nicht. Er ließ lediglich Grüße ausrichten. Nur die Tatsache, dass er überhaupt eine Karte schrieb, ist schon merkwürdig. Sonst verschickte er niemals irgendwelche Postkarten aus seinem Urlaub.“ Vielleicht sollte er dem Polizisten nun doch alles oder zumindest einen großen Teil seines Geheimnisses anvertrauen. Frank überlegte kurz, dann sprach er weiter. „Aber da war noch ...“ Er konnte den Satz nicht zu Ende bringen, denn in diesem Moment klingelte das Telefon laut und fordernd. Van Damperen meldete sich und führte ein kurzes Gespräch auf Holländisch. Frank verstand nur immer wieder das Wort ‚wachten‘, konnte sich aber keinerlei Reim darauf machen. Aber das Gespräch ging ihn ja auch nichts an.
Endlich beendete der Kommissar das Gespräch. „Wir müssen jetzt in die Pathologie.“ Er sah Frank kurz an und schob dann einige Papiere zusammen. „Das war der Arzt. Heute ist Samstag und wir schieben alle eine Zusatzschicht wegen dieser Angelegenheit. Jetzt wartet der Doktor natürlich auf uns und war ein wenig - nun, wie soll ich sagen - erregt.“
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