„Darf ich bitten?“ Er reichte ihr die rechte Hand, die sie mit einem schiefen Lächeln ergriff. Langsam, und dieses Mal mit geöffneten Augen, ließ Hanna sich von dem Rhythmus wieder mittragen.
Hanna saß mit dem Rücken an der Wand neben der Tür gelehnt. Auf ihren Knien hatte sie ihren Terminkalender, in der Hand einen Stift. Das Handtuch lag um ihren Nacken.
Tobias kam aus einem Raum, der hinter der Spiegelwand lag. Er hatte zwei kleine Flaschen Mineralwasser dabei.
„Danke.“ Hanna nahm ihm eine Flasche ab und stellte sie neben sich. Sie hatte gerade ihre Wasserflasche ausgetrunken und hatte im Moment keinen heftigen Durst mehr.
Tobias setzte sich neben sie und überkreuzte seine Beine an den Knöcheln. Nachdenklich öffnete er die Flasche und trank mehrere Schlucke.
„Was glaubst du, wie oft müssen wir üben?“ Hanna sah ihn von der Seite her an. Kleine Schweißperlen glänzten an seiner Schläfe und auf der Nase, ansonsten wirkte er aber nicht sehr angestrengt.
Sie hingegen war fix und fertig. Sie freute sich schon jetzt auf den morgigen Muskelkater.
„Wenigstens zweimal die Woche. Jeweils zwei Stunden. Und Hausaufgaben für dich.“
Überrascht klappte ihr die Kinnlade herunter. „Hausaufgaben?“
Tobi nickte. „Ich gebe dir ein paar CDs mit, die du dir abends, wenn Lyssa im Bett ist, anhören solltest. Lege dich dann flach auf den Boden, konzentriere dich auf die Rhythmen und atme mit den Rhythmen mit. Dabei legst du dir deine Hände auf den Bauch.“
„Oh! Okay, das klingt … machbar.“
„Wir könnten jeden Dienstag zusammenkommen. So wie heute. Wie sieht es da bei dir aus?“
Hanna blätterte in ihrem Terminkalender. „Alles frei bis zur Hochzeit. Dienstag ist gut. Ich muss nur meine Mutter für diese Tage als Babysitter gewinnen.“
„Stellt das ein Problem dar?“ Tobi winkelte seine Beine an und legte die Arme auf seine Knie. Dann blickte er Hanna von der Seite an.
„Nö. Glaube ich nicht. Welcher Tag würde noch für dich passen?“
Tobias überlegte kurz. „Samstag. Zwischen 12 und 14 Uhr.“
„Ich muss mal sehen, was ich dann mit Lyssa mache.“ Sie blätterte kurz in ihrem Kalender. „Am 18. Juli habe ich Dienst.“
„Was arbeitest du eigentlich? Ich habe dich das damals, glaube ich, nicht gefragt.“
„Ich bin Apothekerin.“
Tobi grinste plötzlich. „Ich sollte dich vielleicht lieber nicht ärgern, sonst verabreichst du mir noch Rizinusöl oder so was.“
„Interessanter Gedanke. Aber es gibt andere Methoden, um sich für Gemeinheiten zu rächen.“ Hannas Augen blitzten schelmisch.
„Möchte ich das wissen?“
„Nein!“, sagte Hanna mit Bestimmtheit.
Tobias lachte ein trockenes, kehliges Lachen. „In Ordnung. Was hältst du davon, wenn du Lyssa am Samstag mitbringst? Ich habe einen Kindertanzkurs, der von 12 bis 13.30 Uhr geht. Vor einem Monat hat der Kurs erst begonnen und die Altersklasse ist von sechs bis zehn. Vielleicht macht es ihr Spaß!“
Hanna klopfte mit ihrem Kugelschreiber an ihre Lippe. „Na gut. Aber ich bezahle Lyssas Stunden.“
Tobias nickte. „Einverstanden. Fangen wir gleich diesen Samstag an. 12 Uhr hier im Studio. Der Kindertanzkurs ist eine Etage tiefer im Saal 2. Ich kläre das mit Silke, die den Kurs leitet und dann kann es losgehen.“
Hanna notierte es sich in ihrem Kalender.
„Danke, Tobi.“
„Wofür?“
„Du hast mir die Panik genommen. Ich habe immer noch Angst, aber die Panik ist weg.“ Sie griff nach der Wasserflasche und öffnete sie.
„Auf den Fortschritt!“, sagte Tobias und hielt seine Wasserflasche zum Anstoßen hin.
Hanna kicherte kurz auf. „Auf den Fortschritt!“ Sie stieß mit Tobi an.
„Gibst du mir deine Telefonnummern, falls irgendwas mal dazwischen kommen sollte?“, fragte er nach einigen Augenblicken des Schweigens.
„Gern.“ Hanna schlug die letzte Seite ihres Kalenders auf. Dort waren die Seiten für Notizen. Rasch schrieb sie ihre Festnetz- und Handynummer auf, riss das Papier aus dem Kalender und gab es Tobias. „Kann ich dich was fragen?“
Er grinste. „Tust du doch schon.“
Hanna verzog das Gesicht. „Schlaumeier!“
Tobias kicherte leise. „Schieß los.“
„Wohnst du auch in diesem Haus?“
Er nickte und zeigte mit dem Finger nach oben. „Willst du die Wohnung sehen?“
Aus irgendeinem Grund wurde Hanna unruhig. „Ähm … heute nicht.“ Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Es war schon 23 Uhr durch. „Ist schon spät. Ich muss noch ein bisschen mit der U-Bahn fahren.“
„Ich fahre dich gern nach Hause.“ Sein Blick hing ruhig in ihrem Gesicht.
>Die Augen schimmern golden. Das ist schön!<
„Danke, aber nein danke. Ist nicht nötig. Ich bin ein großes Mädchen.“
Sein Mundwinkel zuckte kurz. „Ich weiß. Trotzdem: ich fahre dich gern nach Hause.“
Hanna klappte ihren Terminkalender zu. „Gute Nacht, Tobi.“
Sie stand auf und ging in den kleinen Korridor. Dort verstaute sie ihre Sachen ordentlich in die Sporttasche, zog eine Strickjacke hervor.
„Habe ich was Falsches gesagt?“
Hanna zuckte zusammen, als die Stimme dicht hinter ihr ertönte. „Nein!“ Verlegen fischte sie mit dem Fuß nach ihrer Sandale. „Ich bin nur ziemlich kompliziert. Du weißt schon, Unabhängigkeit, niemanden etwas schuldig sein wollen und so.“
Tobias verschränkte die Arme und lehnte sich gegen den Türpfosten. „Stimmt. Du bist kompliziert. Aber ich mag Menschen, die mich überraschen können.“
Hanna starrte ihn kurz an. „Okay!“, sagte sie gedehnt. Und dann lachte sie dieses kurze, trockene Lachen, das beinahe spöttisch klang.
Vor drei Monaten in der Diskothek, da hatte sie auch dieses kleine Lachen gelacht. Das hatte ihn neugierig gemacht.
`Diese Frau wird dich in Grund und Boden diskutieren! ´, hatte Jan damals gesagt.
>Das werden interessante Wochen!<, dachte Tobi und senkte breit grinsend den Kopf.
„Darf ich fragen, warum du grinst?“ Hanna hockte sich hin und schloss ihre Sandalen.
„Du fragst bereits.“
Sie verdrehte die Augen, ersparte sich diesmal aber einen Kommentar.
„Ich bringe dich noch runter. Ich muss sowieso die Haustür aufschließen. Ist keiner mehr da.“ Er schlüpfte in seine Halbschuhe und fischte einen Schlüssel aus der Hosentasche.
„Ist es nicht ziemlich gruselig, so ganz allein in diesem Haus zu wohnen?“
Tobias konnte nicht verhindern, dass er erstarrte.
„Entschuldige, geht mich nichts an.“ Hanna hatte den angespannten Gesichtsausdruck sehr wohl bemerkt.
„Nein, ist schon in Ordnung, Hanna. Und nein, es ist nicht gruselig. Ich … liebe die Ruhe.“ Er wagte es nicht, in ihre Augen zu sehen.
>Ich ziehe die Einsamkeit vor. Ich bin gern allein. Ich brauche niemanden um mich herum! <
Diese Litanei redete er sich jetzt seit etwa zwei Jahrhunderten ein. Schweigend gingen sie die Treppen hinunter. Tobias schloss die schwere Haustür auf und ließ Hanna raus.
„Hanna!“
Sie drehte sich noch einmal auf der Straße um und sah ihn in der Haustür stehen. „Ja?“
„Ich … habe den Abend wirklich sehr genossen. Und … danke, dass du mir nicht mehr böse bist. Wegen dem Vorfall in der Disko.“
>Verdammt! Warum bin ich nur so verlegen?<
„Mir hat der Abend auch gefallen. Bis Samstag!“ Sie winkte ihm zu und ging.
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