Hannas Kinnlade klappte runter und sie wurde puterrot. Die Deutlichkeit, die hinter der Aussage stand, war ihr nicht entgangen.
„Tobias!“ Helena blitzte Jans Freund an.
>Was denn? Sie hat angefangen!<, wollte er eigentlich sagen, aber Janniks kaum merkliches Kopfschütteln bremste ihn.
„Entschuldige, Hanna. Das war unpassend. Ist mir so rausgerutscht.“
Bevor Hanna irgendetwas sagen konnte, zog Helena sie ein paar Meter weit weg. „Nana. Du bist meine beste Freundin. Ich würde dich nicht darum bitten, wenn es mir erstens nicht unglaublich wichtig wäre und ich zweitens nicht davon überzeugt wäre, dass Tobi es schaffen kann. Das du es schaffen kannst! Bitte!“
Helenas dunkle Augen waren eine Nuance heller geworden, so schien es Hanna. Sie schimmerten sogar leicht silbrig. Aber das war es nicht, was Hannas Gemüt beruhigte.
Seit ihrer Kindheit war es Helena, die immer für Hanna da gewesen war. Ob es um Hilfestellung bei dem Schulstoff ging, andere Mädchen, die Hanna ärgerten oder die erste Liebe, die ihr fast das Herz gebrochen hatte. Immer war es Helena, die da war und sie aufgefangen hatte. Und Helena hatte nie etwas im Gegenzug verlangt. Sie war einfach nur da.
Hanna schämte sich plötzlich. War es denn wirklich zu viel verlangt, wenn sie einmal über ihren Schatten springen würde?
„Okay, ich mache es.“ Hanna umarmte Helena. „Entschuldige. Ich habe Panik bekommen. Ich habe dich nicht verdient, Süße. Es tut mir Leid.“
„Ich muss mich entschuldigen, Nana. Ich hätte dich damit nicht so überfallen sollen.“
Die beiden Frauen standen eng umschlungen da und ließen die Freundschaft, die zwischen ihnen war wie einen schützenden Kokon neu wachsen.
„Ich will ja nicht taktlos sein,“, begann Tobias, als die beiden Frauen zur Seite gegangen waren. „aber hat Hanna wirklich einem Tanzlehrer den Fuß gebrochen?“ Seine grünbraunen Augen blickten Monika Martens fragend an.
Monika lächelte ihn verlegen an. „Allerdings. Hanna hat fast kein Gespür für Musik und Tanz. Kein Rhythmusgefühl. Sobald es heißt: `Lass uns tanzen! ´ versteift sie sich.“
Tobias zog kurz die Augenbraue hoch. „Jetzt verstehe ich auch, warum sie sich so hartnäckig geweigert hatte, mit mir in der Disko zu tanzen. Armes Ding.“
Jan verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn einer es schafft, Hanna das Tanzen beizubringen, dann du, Meister.“
Tobias warf Jan einen vernichtenden Blick zu. >Ich werde tun, was ich kann. Aber neun Wochen sind eine verdammt kurze Zeit, Bruder!<
>Lass dir was einfallen, mein Trauzeuge. Ich werde schließlich nur einmal heiraten.<
Tobias konnte das Knurren nicht unterdrücken und Jan grinste breit.
Hanna und Helena kamen zurück. Lyssa war von der Schaukel gesprungen und umarmte ihre Mutter stürmisch.
„Entschuldigt bitte meine heftige Reaktion, Leute“, sagte Hanna zerknirscht. „Es war unangebracht, unpassend und unnötig.“
Tapfer sah sie Tobias in die Augen. „Ich würde mich freuen, wenn du mir das Tanzen beibringen könntest, Tobias. Ich möchte meiner Freundin und ihrem Bräutigam die Freude machen und auf ihrer Hochzeit tanzen.“
Tobias lächelte die kleine Frau sanft an. Es imponierte ihn, dass sie ihren Stolz überwand und sich nicht nur entschuldigte, sondern ihn direkt ansprach und um Tanzunterricht bat. Schnell überflog er im Kopf seine Termine.
„Wenn du willst, können wir gleich am Dienstagabend beginnen.“
Hanna bekam wieder Herzrasen bei der Vorstellung, aber sie beherrschte sich. „Ich … muss nur wegen Lyssa ….“
„Lyssa kann am Dienstag bei mir übernachten!“, meldete sich Monika. Sie grinste ihre Enkelin breit an. „Wir verstehen uns schließlich prächtig. Und Mittwoch früh bringe ich sie zur Schule. Kein Problem.“
Tobias sah Hanna erwartungsvoll an.
„Also, wenn das so ist.“ Hanna blickte etwas unsicher zu Boden, schluckte.
„Ach, Mama! Ich bin gerne bei Oma. Das ist okay, wirklich.“
Lyssa sah ihre Mutter mit großen blauen Augen an und lächelte entwaffnend.
Hanna seufzte und ließ die Schultern sinken. „Also gut!“
Tobias verkniff sich ein triumphierendes Grinsen und kramte eine Visitenkarte von sich hervor. „Hier steht die Adresse meiner Tanzschule. Sagen wir … so gegen acht?“
Zögernd nahm Hanna die Karte entgegen. „Werden da noch andere Kurse stattfinden? Ich meine, wird es Zuschauer geben?“ Sie konnte nicht verhindern, dass sie sehr ängstlich klang.
Tobias legte den Kopf etwas schief. „Wir beide werden unter uns sein. Die beiden anderen Kurse werden in Saal 1 und 2 abgehalten. Wir haben den kleinen Saal 3. Der dient meistens nur als Aufwärmraum. Ich werde dafür sorgen, dass uns niemand stört. Versprochen.“
Seine Rücksichtnahme verblüffte Hanna. „Danke“, sagte sie leise.
„Bring deinen Terminkalender mit. Wir müssen abstimmen, wann wir trainieren. Ohne dir zu Nahe treten zu wollen, aber mit einer Übungsstunde ist es nicht getan.“
Hanna nickte. Sie wusste, dass er Recht hatte und nahm es ihm nicht krumm. Außerdem hatte er es völlig neutral und ohne jede Wertung gesagt.
„Wann machst du Freitag Feierabend?“, fragte Helena plötzlich.
Hanna überlegte schnell. „So gegen 16.00 Uhr. Warum?“
„Dann können wir vielleicht ein paar Brautgeschäfte unsicher machen. Ich hole dich von der Arbeit ab und wir steuern die Geschäfte direkt an. Ich gucke vorher im Internet nach, wo es sich lohnt und wo nicht, dann grenzen wir die Geschäfte ein.“
„Ich kann Lyssa vom Hort abholen und dann zu mir nehmen“, bot Monika an.
„Dann kann ich dir im Laden helfen, Oma!“ Das Kind war wirklich schnell zu begeistern. Sie liebte den Blumenladen ihrer Oma, die Farbenvielfalt, die Düfte.
Hanna warf die Arme in die Luft. „Also gut. Und ich werde morgen gleich versuchen, meinen Urlaub in den Sommerferien ein wenig umzuschubsen, damit es wegen der Hochzeit passt.“
Helena umarmte ihre Freundin erneut und lachte glücklich.
Kapitel 4: Der erste Schritt
Hanna stocherte lustlos in ihrem Salat herum. Das Brot, das zu dem Salat gereicht worden war, bildete schon längst einen ansehnlichen Haufen Krümel und die Spatzen, die in den umliegenden Hecken hockten, sahen begehrlich auf diesen Haufen. Sie warteten nur ab, bis Hanna aufstehen würde. Aber sie war zu sehr in ihren Gedanken vertieft, als das sie die Vögel bemerken würde. Die Tiere hätten neben ihr auf dem Tisch sitzen und ihr aus der Hand fressen können, sie hätte es nicht bemerkt.
„Meine Güte, Frau Martens!“ Gudrun Niemark, eine ältere Kollegin von Hanna, mit der sie gelegentlich ihre Mittagspause verbrachte, schüttelte den Kopf. „Sie waren gestern schon ein wenig neben sich, aber heute? Was ist denn nur los?“
Hanna merkte, dass sie hektische rote Flecken an den Schläfen hatte. „Ich bin nervös“, gestand sie der älteren Frau.
„Warum das denn?“
Hanna ließ die Gabel auf den Tisch sinken und griff nach ihrem Glas. Dabei bemerkte sie, dass das Brot in ihrer Hand verschwunden war und stattdessen einen Maulwurfshügel aus Krümeln auf dem Tisch bildete. Sie ließ das Glas los, schob die Krümel auf ihre Hand und warf sie in die Hecke. Ein vielfaches Piepen und Flattern erklang und Hanna schüttelte sich. Sie mochte Vögel nicht besonders. Sie ergriff ihr Glas und trank einen großen Schluck Wasser.
„Ich bin Trauzeugin bei meiner besten Freundin.“
„Das ist doch großartig, Kindchen!“ Gudrun beugte sich etwas über den Tisch. „Da haben Sie aber demnächst alle Hände voll zu tun, nicht wahr? Ihre Freundin hat Sie doch bestimmt in die eine oder andere Aufgabe eingespannt.“
„Helena hat tatsächlich eine ziemliche Liste an Aufgaben. Aber das ist schon in Ordnung. Sie leitet nach dem Tod ihres Onkels die Firma ganz allein. Und sie war monatelang krank gewesen. Außerdem ist sie wirklich meine allerbeste Freundin und Lyssas Patentante. Da helfe ich gern.“ Hanna pickte ein Salatblatt auf die Gabel und steckte es sich in den Mund. Langsam kaute sie es, hatte aber sichtlich keinen Appetit.
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