Doch all diese geschäftlichen Erfolge waren seit einer Stunde hinfällig. Das heutige Wahlergebnis würde die deutschen und europäischen Weichen neu stellen. Adrian plante ein Unternehmen, das selbst jede noch so komplizierte Firmenübernahme so leicht wie das Umwerfen eines schlecht aufgestellten Weihnachtsbaumes erscheinen ließ. Der von ihnen ersehnte Linksrutsch hatte stattgefunden.
Wollen wir mal hoffen dass Adrian weiß was er macht , dachte Jeremy. Etliche Trompetenbäume säumten die Auffahrt, in die er fuhr. Die Bäume vermittelten den Besuchern einen mediterranen Eindruck. Parallel zum letzten Baum hielt er den Mercedes an. Vor ihm erhob sich das völlig in Weiß gehaltene Haus; durch den Anstrich glich es entfernt dem amerikanischen Präsidentensitz. Adrian hasste es, wenn er auf diese Ähnlichkeit angesprochen wurde. Nichts lag ihm ferner, als Dinge zu kopieren. Er wollte neue Wege gehen, was ihm bisher auch gelungen war. Kein deutscher Geschäftsmann hatte in der Vergangenheit so viel riskiert und gewonnen wie er.
Jeremy tippte aufs Gaspedal und im Schritttempo rollte der Mercedes über den Parkplatz. Neben einem rothaarigen Mann hielt er an und stieg aus.
„Herzlich willkommen“, sagte der Parkwächter und im Gegenzug für die Wagenschlüssel erhielt er eine nummerierte Plakette.
„Hast du die Hochrechnungen mitbekommen?“, wand Jeremy sich an Eva, die an der Treppe stand, die zum Haus führte. Sie musste direkt vor ihm eingetroffen sein.
„Bin auf dem neusten Stand“, antwortete Eva.
Jeremy steckte die Plakette ein und begab sich zu ihr.
„Ich weiß nicht, wie er es hinbekommen hat, aber das Ergebnis ist geradezu perfekt“, sagte er.
„Adrian ist und bleibt ein Meister der Manipulation.“
„Oh ja. Seine Voraussicht ist beinahe gespenstisch.“
Die Stufen hinauf, starrte Jeremy zum Haus, von dem aus Europas Schicksal neu bestimmt werden sollte.
„Wird trotzdem nicht einfach was er vorhat“, flüsterte er im Wissen auf das, was auf sie zukam.
„Die AfD hat 5,8 % erhalten, gerade genug aber nicht zu viel. Das rundet den Wahlabend ab.“
Vier Säulen flankierten das Haus durch sie und die Eingangstür gelangten Jeremy und Eva ins Atrium. Mehrere hochrangige baden-württembergische Politiker standen um den Brunnen, an dem sie sich gestern siegessicher von Adrian verabschiedet hatten. An den Gesichtern der Politiker war zu erkennen, dass die Wahl nicht in ihrem Sinne verlaufen war. Jeremy hätte ein Vermögen darauf gesetzt, dass die meisten mit dem Gedanken spielten, sich in die mannshohen Nägel und Schrauben zu werfen, die aus dem Brunnen herauswuchsen. Aus unzähligen Düsen versorgten die Nägel und Schrauben den Brunnen mit Wasserfontänen.
„War ein ordentliches Gemetzel, das an der Wahlurne stattgefunden hat.“ Zähfließend löste Jeremy sich von dem, was sich am Brunnen abspielte.
„War so gedacht“, sagte Eva.
„Kann man sagen.“
Jeremy lief vom Brunnen zu einem aus rotem Granit gehauenen Türbogen. Von diesem aus konnte er in den Saal sehen.
„Deprimierte CDU/CSU- und FDP-Wähler so weit das Auge reicht.“ Hämisch sah Jeremy sich im Saal um, der dem Wiener Opernball einen geeigneten Rahmen geboten hätte.
„Wir sollten uns beeilen“, sagte Eva. „Die anderen warten bereits.“
„Ja doch, ja doch.“
Jeremy ging jetzt voran in den Saal. Eva konnte so feststellen, welchen Kontrast er zu den schlecht gelaunten Wahlverlierern bildete. Jeremy trug Jeans und ein blaues Hemd. Gelocktes braunes Haar ruhte auf seinen Schultern. Er verkörperte den Rebellen in Reinkultur und hinter ihm schlängelte sie sich durch die Menschen auf die breitgeschwungene Marmortreppe zu. Vom Ende des Saals führte diese in den ersten Stock.
„Komm“, sagte Eva Maria und schubste Jeremy die Treppe aufwärts. Von der ersten Stufe aus hatte der erneut das Treiben im Saal beobachtet.
„Du gönnst mir auch keinen Spaß.“ Widerspenstig schritt Jeremy die Treppe aufwärts.
„Du kannst dich noch stundenlang an ihnen ergötzen.“
„Wahlniederlagen sind das Salz in der Suppe der Demokratie.“ Auf der obersten Stufe angekommen stemmte Jeremy sich gegen Evas Druck und er hielt sich am Geländer fest. „Was gibt es Geileres, als die Menschen verlieren zu sehen, die ihr Gehalt selbst bestimmen. Das kann der geschröpfte Bürger nur alle vier Jahre miterleben.“
„Ich kenne deinen Standpunkt zur Genüge.“ Eva löste Jeremys Hand vom Geländer und bugsierte ihn unnachgiebig ins Billardzimmer. Das vollkommen in Holz gehaltene Zimmer strömte eine freundliche Wärme aus.
„Wo wir endlich vollständig sind, kann ich beginnen.“ Auffordernd wurden sie von Adrian, der an der kleinen Bar stand, angesehen und sie gesellten sich grußlos zu der kleinen Versammlung, die aus Adrians engsten Vertrauten bestand, an den Snookertisch.
„Deutschland hat in unserem Sinne gewählt. Ich erinnere noch einmal an das Risiko. Wir können alles verlieren, wenn wir nicht hart und direkt zuschlagen“, sagte von Carstheim und schob sich in die Mitte des Billardzimmers.
„Was machen wir mit den Vereinen und Clubs, die zur Tarnung gegründet wurden?“, fragte Nicolas. Dessen Aussehen war das eines unscheinbaren Buchhalters. Doch das täuschte. Nicolas war ein knallharter Pragmatiker, der über Leichen gehen konnte.
„Stell die Zahlungen ein. Wir brauchen sie nicht mehr.“
„Im Normalfall werden sie sich selbst auflösen, schließlich können sie die Volksabstimmung nicht unterstützen. Sie würden sich ja den Boden unter den Füßen wegziehen“, sagte Sara. Sie war von Carstheims ältere Schwester und auch wenn sie kein unbedingter Freund von den Plänen ihres Bruders war, stand sie zu ihm.
„Ab jetzt hängt alles davon ab, dass die Politiker und Industriellen, die uns ihre Unterstützung zugesagt haben, bei der Stange bleiben“, sagte Kai-Uwe Fransson. Der Vorzeige-Schwede war Jurist und Verhandlungsführer der Bühler-Firmengruppe, wenn es um Firmenübernahmen ging.
„Die Meisten stecken schon zu tief drinnen. Zum hundertsten Mal, sie werden auf unserer Seite sein“, erwiderte von Carstheim unnachgiebig.
„Die Wenigsten wissen, wie weit unsere Forderungen gehen. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie immer noch zu uns halten, sobald sie über die gesamte Tragweite der Kampagne aufgeklärt worden sind“, gab Kai-Uwe noch zu bedenken.
„Im Gegenteil, sie werden uns sogar vorwerfen, dass sie zu spät informiert wurden“, sagte von Carstheim gereizt. Zwar beherbergte die Volksabstimmung verschiedene unkalkulierbare Risiken, er hatte aber keine Zeit mehr für Zweifel oder gar Angst.
„Viel wichtiger ist, dass es uns zügig gelingt, einen Teil der Bevölkerung zu überzeugen.“
„Schindling wird mit aller Macht gegen uns vorgehen. Was, wenn er uns festnehmen lässt?“, erwiderte Tim Martin. Er war von Carstheims Mann fürs Grobe.
„Vergiss Schindling. Er muss eine neue Regierung bilden. Das wird dauern, vorerst kann er uns nicht gefährlich werden.“
Von Carstheims markantes Gesicht zeigte nun ein selten gewordenes Lächeln, das seine Grübchen hervorhob.
„Nicolas, bekommst du die Volksabstimmung rechtzeitig hin? Ihr habt nur viereinhalb Wochen Zeit“, sagte Sara. Ihre Besorgnis galt besonders den technischen Schwierigkeiten.
„Wird klappen. Wir können auf genügend Freiwillige zurückgreifen.“
„Was geschieht, wenn es wirklich schiefgeht? Wandern wir aus oder lassen wir uns wegen Hochverrats vor Gericht stellen?“ Jeremy grinste Sara breit an.
„Wäre von Vorteil, wenn Adrian sämtliche Gefängnisse des Landes kauft. Man verbringt seine Zeit doch lieber in den eigenen vier Wänden.“ Nicolas grinste ebenfalls.
„Es kann nicht schiefgehen.“
„Wieso?“, fragte Jeremy für die Gruppe.
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