Das ganze Parkhaus scheint zu erzittern.
Vier Motorräder der raubeinigen Sorte, drei schwarz, eines rot. Breit ausladende Geräte mit hoch aufragenden Lenkern, schwarzem Gestänge um die Motoren und verstümmelten Hinterteilen.
Die Motorräder mögen beeindrucken, ihr Gedröhn tut es gewiss.
Die Fahrer leisten ebenfalls ihren Beitrag. Vier Bilderbuchvertreter ihrer Zunft. Die im Ruf stehen, sich den Tag gern mit Krawallmachen zu vertreiben. Männer von stämmig über feist bis speckbäuchig, irgendwo zwischen dreißig und vierzig Jahre alt. Von Anmaßung, Fahrtwind und Suff gezeichnete Gesichter mit Bartstoppeln oder Kinnfransen. Die halbnackten Arme schimmern dunkelgrau von Tätowierungen. An speckigen, ärmellosen Lederwesten hängen stählerne Ketten und Totenkopfabzeichen. Die zerschlissenen Jeans stecken in derben Stiefeln. Ungepflegte, teilweise schulterlange Haaren ragen unter den einschlägigen Nazi-Armee-Pisspott-Helmen hervor. Fester Bestandteil ihrer Kleiderordnung. Sie verleihen jedem Gesicht eine glaubwürdig intelligenzarme Note.
„Oh, ein Rudel Organspender,“ erklärt Mahina beiläufig.
In Amerika ein gängiger Kosename für Harley-Davidson-Fahrer.
Mahina meint das leidenschaftslos. Sie tut sich schwer mit Späßen und Humor, was wohl mit ihrer überragenden Intelligenz zu tun hat. Sie betrachtet die Welt und sich selbst darin meist mit einem Tupfer Verwunderung, bringt die Dinge gern auf den Punkt, bleibt dennoch meist gelassen, lebt durchweg zufrieden.
„Hey, Du fährst auch eine Harley.“
„Irrtum, Bear. Meine ist eine edle „Road King“. Das da sind verkrüppelte Kurzschwanz-Böcke. Wie die Kerle, die draufsitzen.“
Kann ich ihr nicht widersprechen.
Die Maschinen rollen langsam näher.
Ihre Fahrer geben mehrfach Gas, nicht zum Beschleunigen, sondern um mit bollerndem Krach zu beeindrucken. Der Schwarm biegt im Schritttempo zwei Reihen vor uns nach rechts ab in die Gasse parkender Autos. Nach gut fünfzehn Metern stoppen die vier, schalten die Motoren aus, klappen die seitlichen Ständer ab, steigen von den Hockern, ziehen die engen Helme vom Kopf, legen sie auf die gedrungenen Sättel. Die schlagartig einsetzende Stille klingt ähnlich unangenehm wie zuvor der Lärm.
Die vier Donnerbolzen recken ihre Schultern, überprüfen ihre Umgebung mit zusammengekniffenen Augen, suchen nach dem, weshalb sie üblicherweise losziehen. Nach der verschüchterten Ehrfurcht, mit der die Masse bürgerlicher Windelpisser sie gefälligst zur Kenntnis zu nehmen hat. Die Zahl möglicher Bewunderer liegt jedoch unter Null.
Denn hier gibt es nur in Reihen geparkte Autos.
Und uns auf dem Weg vom Treppenhaus 3.
Mein BMW X-3 steht gut zwanzig Schritte hinter dem vordersten Motorrad. Wir könnten durch eine Reihe weiter vorn gehen, im Bogen um die Biker herum, müssten uns zwischen anderen geparkten Autos durchschlängeln. Es dürfte wenig nutzen. Wie die Typen dastehen und gucken, haben sie sich absichtlich dort breit gemacht.
Mahina stellt klar, worum es geht.
„Bear, ich glaube, die wollen was von uns.“
Seit San Francisco gebraucht sie diese amerikanisierte Kurzform meines Familiennamens. Mona und die Mädchen meistens ebenfalls.
„Sehe ich auch so,“ gebe ich halblaut zurück.
„Muss wohl so sein,“ stimmt Mona links neben mir zu.
Sie greift in ihre Jacketttasche, dreht sich zur Seite und drückt Janina die kleine Einkaufstüte mit zwei Taschenbüchern und einer Video-DVD in die Hand. Wie Mahina geht Mona am liebsten ohne Handtasche aus. Man weiß ja nie ...
„Hört zu, ihr zwei,“ ermahnt sie die Mädchen, „falls es Ärger gibt, ihr bleibt ein Stück hinter uns.“
„Die gucken finster und böse,“ bestätigt Janina. „Als ob sie uns was anhaben wollen. Gegen die haben wir doch keine Chance, oder?“
„Wir sind doch nicht in Bagdad,“ meint Samira. Es klingt, als wolle sie sich selbst Mut machen.
„Stay calm, girls; we got you covered,“ sagt Mahina; ein Zeichen ihres Umschaltens auf Kampfbereitschaft. Sicherheitshalber gehen die beiden Mädchen nach rechts, halten sich hinter ihr. Aus gutem Grund.
Wenige Augenblicke später beginnt der Showdown.
*
„Pah, schau sich das einer an! Affengeil, ein Kopftuch-Lämmchen aus dem Reich der Kamel-Ficker,“ pöbelt einer der Rocker, obwohl wir noch ein gutes Stück entfernt sind.
„Müssen die nicht wie Pinguine rumwatscheln, von oben bis unten schwarz?,“ legt der Kumpel schräg neben ihm nach, erkennbar so laut, dass wir es hören sollen.
„Aber eisern,“ tönt der Vordere der vier, zieht Rotze im Hals hoch.
„Mit Titten wie Pfannkuchen darunter, sobald sie zwangsverheiratet sind und zehn Taliban in die Welt gepoppt haben.“
Ausgewiesene Fachleute für orientalische Lebensweise.
„Hört einfach nicht hin, schüttelt die Schultern und vergesst es,“ flüstert Mona unseren Goldmädchen schräg hinter mir zu. „Die Typen wissen es nicht besser.“
Der Stand ihres Wissens ist unerheblich.
Am Maß ihrer Intelligenz dagegen besteht kein Zweifel.
Häufige Voraussetzung für unvermutet harte Lernerfahrungen.
Die Rocker lästern nicht einfach abfällig, wollen nicht bloß rumpöbeln. Zwei, drei Schritte weiter und einige Blicke mehr beenden bei mir den letzten Zweifel.
Wir werden erwartet.
Von Leuten, denen man im Dunkeln besser nicht allein begegnet. Derart dicke Arme, große Hände und massige Oberkörper finden sich sonst nur bei Kerlen, die Schwerarbeit verrichten, etwa als Bauarbeiter, Schlosser oder Holzfäller. Oder stundenlang Eisen stemmen. Mit dem bloßen Körpergewicht kann jeder der vier eine Menge Schaden anrichten. Neben ihnen wirken wir schlanke Figuren wie halbe Portionen.
Shit, in der Tat.
Das ist wirklich ärgerlich.
Da geht man einmal seit Wochen gemeinsam mit seinen Lieben aus, freut sich auf ein vergnügliches Mittagessen – und lässt die Kanone zuhause. Natürlich.
Mona ebenfalls.
Auf Anraten des Vorgesetzten ihrer Mutter hat Mona kürzlich die amtliche Erlaubnis zum Führen einer Schusswaffe erworben. Ich bin dazu seit knapp einem Jahr berechtigt. Jeder von uns beiden besitzt eine Walther P 99, ich zusätzlich eine in den USA gekaufte Heckler-und-Koch USP. Dank regelmäßigen Übens auf einer Schießbahn sind wir ziemlich gut im Umgang mit dem Gerät.
Wer eine Schusswaffe tragen darf, geht außerordentlich vorsichtig damit um. Etwa neunzig Prozent aller Polizisten geben während ihres ganzen Dienstlebens keinen einzigen Schuss ab; außer im Training.
Wozu auch.
Allein das Vorzeigen eines Gürtel- oder Schulterhalfters mit einem Inhalt, der tödliche Löcher machen kann, entfaltet in den meisten Fällen schlagartig eine friedenstiftende Wirkung. Sogar bei großmäuligen Rockern mit fremdenfeindlichen Sprüchen im Hals.
Zu dumm; heute wird das wohl nichts mit unbesorgter Heimfahrt.
Immerhin, die knitterfreie Bomberjacke habe ich übergestreift, eigentlich nur, weil sie an der Garderobe hing.
Erste Grundregel bei allem, was dir widerfährt:
Nichts ist persönlich. Es geschieht einfach.
Folglich brauchst du auch keine Angst haben, falls es bedrohlich wird. Oder wenigstens keine Angst zeigen.
Aufrechten Hauptes weitergehen.
Womit wir wieder bei der sozialpsychologischen Lehrstunde sind.
Was lieben Rocker über alles?
Logo, ihre Motorräder und ihre Bandenbrüder. Grob gesagt in der Reihenfolge. An vierter Stelle lieben sie ihre Frauen, vor allem solche mit stattlichem Vorbau, Schmollmund und Folgsamkeit.
An dritter Stelle lieben Rocker das Inferno.
Ehrensache.
Wenn sie es einer verfeindeten Bande, den Bullen oder angstschlotternden Normalbürgern bereiten können. Das zu wissen gehört zur Allgemeinbildung. Wir haben keine Vorurteile; ehrlich. Bis auf dieses Hörensagen hegen wir folglich keine Vorbehalte gegen Rocker. Ungehöriges Benehmen findet sich in allen gesellschaftlichen Kreisen.
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