1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Die Frau Hauptkommissarin lächelt nachsichtig angesichts der wagemutigen Selbsteinschätzung des Mädchens, nachdem die Gefahr vorüber ist. Dieser kesse Strich in der Landschaft, verglichen mit den Rocker-Brocken.
„Deshalb hast Du mich angerufen? Und was hast Du noch getan, gegen die Angst?,“ fragt Corinna sanft.
„Na ja. Ich ... ich weiß nicht mehr. Weil ... Mona hat gesagt, wir sollen weghören und die Schultern schütteln. Wir sind die ganze Zeit hinter Mahina geblieben. Die hat uns beschützt, voll cool.“
„Aha?“
„Ja. Weil sonst ... der mit den schwarzen Haaren ... plötzlich hat der ein Messer gezogen und Samira und mich echt wütend angestarrt.“
Samira nickt zweimal, fährt sich kurz mit dem Ärmel über die feuchten Augen, zaubert erneut ihr Leuchten ins Gesicht.
„Voll widerlich. Dafür hat Mona dem ersten Mann die Beine weggetreten, unheimlich schnell. Bruch! hat er dagelegen und blöd geglotzt. Das fand ich toll. Echt cool.“
Unerwartet stößt Corinna sich von der Vorderseite ihres Wagens ab, geht zu Samira, legt beide Arme um ihre schmalen Hüften und zieht sie an sich.
„Komm mal her, Samira-Schätzchen.“
Die schaut schüchtern erfreut zu mir, unsicher, wie ihr geschieht.
„Du weißt doch,“ sagt Corinna sanft und wiegt das Mädchen, das ihr knapp bis an die Schultern reicht, mehrmals hin und her.
„ Stock und Stein brechen das Bein. Aber Wörter sind ... nicht mehr als Wind . Merk dir das und denk einfach ,Idiot’, wenn Du irgendwo eine Beleidigung hörst. Okay, Herzchen, versprich mir das.“
Sie drückt ihr ein Küsschen vor dem Ansatz des dunkelgrauen Kopftuchs auf die Stirn und schiebt Samira sachte von sich.
Die strahlt beglückt:
„Ja, mache ich. Danke vielmals, ... Frau Sandner.“
Genauso unerwartet reckt sie ihre schlanken Arme aufwärts um Corinnas Hals, wirft sich an sie und küsst ihre linke Wange. Eine Umarmung, an die Samira sich ihr Leben lang erinnern dürfte.
Corinna ist sichtlich verdutzt.
Sie schafft ein zaghaftes Lächeln.
„Danke, ihr beiden. Habt ihr gut gemacht. Und jetzt ab mit euch in Roberts Auto.“
Die Mädchen sind noch keine drei Schritte weit weg, da sagt sie mit belegter Stimm zu mir:
„Mein Gott, ist das ein charmantes Mädchen.“
Die Rettungshelfer arbeiten zügig. Der schwarzhaarige Motorradrüpel liegt halbnackt, teilweise mit wärmender Goldfolie bedeckt, einige Meter entfernt auf der Rolltrage. Sein rechter Arm steckt in einer blauen Streckschiene. Der Notarzt betrachtet den Oberschenkel mit einem Vergrößerungsglas, besprüht die Ränder der Stichwunde aus einem flachen, weißen Plastikbehälter.
Corinna und ich sehen aus einiger Entfernung zu. Meine Erklärung hört sich unsere Hauptkommissarin ungerührt an. Der Mann ist in sein eigenes Messer geraten, als Mahina ihn mit einem Kickstoß daran hinderte, eines unserer Mädchen an sich zu reißen. Erst denke ich, sie bezweifelt meine Aussage, wie sie den Kopf etwas zur Seite legt.
Doch sie befindet grinsend:
„Hätte ruhig etwas weiter oben treffen können. Messer sind nun mal gefährliche Gegenstände. Sollte der Arsch eigentlich wissen.“
Wir schauen uns verwundert um.
Mahina und Mona sind verschwunden; ohne ein Wort zu sagen.
Statt dessen kommt Janina zu uns, zögernd, richtet ihren wachen Blick, der manchmal ein wenig zu schielen scheint, auf Corinna.
„Äh, ... da war noch etwas, Frau Sandner. Ich glaube, das ist wichtig,“
erklärt sie stockend.
„Na denn, komm her. Hey, Du siehst gut aus. Wie geht ’s dir, Janina? Was macht die Schule?“
„Mir, och, eigentlich ziemlich gut. Sind ja noch Ferien. Erst nächste Woche. Deswegen waren wir ja hier, Ausgehen, alle zusammen. Inzwischen übe ich sogar freiwillig. Jedenfalls kann ich schon viel besser lesen; immer noch langsam, aber mit ganz wenig Fehlern.“
„Na, das ist doch was. Also, Du wolltest mir etwas sagen.“
„Ja, heute Morgen. Unten an der Straße, am Anfang vom Fußweg zu den Hochhäusern, wo Mona wohnt, die drei eben. Weil ... ich komme doch immer mit dem Fahrrad.“
„Schön der Reihe nach. Um wie viel Uhr war das?“
Die zunehmende Aufregung ist Janina anzuhören.
„Elf? Kurz davor? Weil, mit Mahina. Da durfte ich schon ein paar Mal mitfahren. Vorhin, der Mann mit den Stoppelhaaren saß da drauf. Das rote Motorrad da, das stand neben dem Fußweg zu den Häusern.“
„In Steinbach? Das da, das rote Motorrad? Mit dem Mann?“
„Ja. Ne, da war keiner. Den Mann habe ich nicht gesehen. Aber das Motorrad. In Steinbach. Ich weiß genau, wie eine richtige Harley-Davidson aussieht; schwarz, hinten mit einem breiten Sattel und großen Seitentaschen. Aber nicht so wie das Ding da, so abgeschnitten und ohne Taschen.“
„Du bist sicher, Janina?“
„Klar doch! Da, sehen Sie! Mit Harley-Davidson, die Schrift an der Seite am Tank und unten am Motor. Ich bin sogar vom Rad gestiegen und habe nachgeschaut, deswegen doch. Weil die nicht wie eine echte Harley aussieht. Auch hinten, mit diesem fetten Hinterreifen. Und so ein kleines Nummernschild an der Seite hat Mahina auch nicht. Das war genau das Motorrad da.“
„Bestens, Janina. Gut, dass Du das sagst,“ lobe ich. „Das passt ins Bild, Corinna. Drüben beim Essen an einer Tischgruppe im Freien hat der gleiche Kerl uns beschattet. Hat wahrscheinlich seine Kumpels informiert, als wir fertig waren und gegangen sind.“
Janina schaut mich bekümmert an.
„Tut mir leid, Robert. Ich wusste nicht, ob das wichtig ist. Sonst hätte ich es gleich gesagt.“
„Nicht weiter schlimm. Hauptsache, wir wissen es jetzt.“
*
Kann man wohl sagen. Corinna zieht die beiden Steilfalten zwischen den Augenbrauen zusammen, bekommt den mir vertrauten, harten Zug um den Mund. Als sie mich ansieht, scheinen ihre Augen Funken zu sprühen. Schluss mit lustig.
Immerhin gibt sie Janina noch einen Klaps an den Unterarm.
„Danke, Mädchen, das war nicht nur wichtig, sondern sehr wichtig. Abmarsch zu deiner Freundin.“
Während Janina sich zum Gehen dreht, tritt einer der beiden Uniformierten näher.
„Entschuldigung, Frau Kollegin.“
„Was, Mann? Wie, ja, was gibt ’s?“
„Die beiden Schwerverletzten sind notversorgt und müssen jetzt ... Die werden ins Klinikum Frankfurt-Höchst gebracht. Ist das okay?“
„Ne, ne, ne. Augenblick, vorher rede ich mit denen. Sie halten die beiden Anderen fest und auf Abstand, notfalls mit Handfessel.“
Sie läuft zu den Rettungshelfern.
Einer hat die Rolltrage in Bewegung gesetzt. An deren Fußende piept ein hellrotes, tragbares EKG-Gerät, das über eine Messklammer am linken Mittelfinger des Rockers Herzschlag, Blutdruck und Sauerstoffgehalt im Blut erfasst. Der zweite Helfer führt den Mann mit der blau angelaufenen Nase, in jedem Nasenloch einen weißen Mullstecker, mit der Linken neben sich her, während er mit der Rechten die Trage lenken hilft.
„Sekunde, Leute.“
Die beiden anderen Rocker stehen, mit einer Stahlhandfessel um ein Handgelenk miteinander verbunden, mit grimmigen Mienen bei ihren Motorrädern.
Corinna schaut sich um.
„Sie alle hören mich, okay?,“ fragt sie scharf.
„Ich frage Sie hiermit vor dem Kollegen als Zeugen: Erstattet einer von Ihnen Anzeige, etwa wegen Körperverletzung?“
„Aber gewaltig! Und wegen Diebstahls!,“ nuschelt der große Blonde durch das lädierte Mundwerk. „Die sch...schwarzhaarige Fotze hat mir etlisch...sche Euro gestohlen.“
„Mir auch,“ näselt der mit der Watte im Riecher. „Zweihundert Euro.“
„Halt die Schnauze, Walli,“ röchelt der Schwarzhaarige halb aufgerichtet auf der Trage, den Kopf gegen eine graue Stütze mit erhöhten Seitenkanten gelehnt. Er hat hörbar Mühe beim Atmen und Sprechen.
Читать дальше