Sie schlenderte nach Hause. Dort klopfte sie bei Ana an, um zu fragen, ob Arbeit anstand. Ana sah müde aus. Es gäbe nichts Wichtiges. Sie werde sich ein wenig hinlegen und Nika solle sich einen schönen Tag machen.
„Hast du irgendetwas? Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte Nika besorgt.
„Es ist nichts. So ist das im Alter, Liebes.“
„Soll ich bleiben und dir einen Tee kochen oder dir einfach nur Gesellschaft leisten?“
„Nein, nein. Geh dich amüsieren. Ich komme schon zurecht. Und Ivan ist ja auch noch da.“
Mit einem unguten Gefühl verließ Nika die Wohnung der Kovacs. Sie hatte ihre Hilfe angeboten, mehr konnte sie nicht tun.
Da sie nun den restlichen Nachmittag frei hatte, beschloss sie den Ausflug ins Ortszentrum schon heute in Angriff zu nehmen. Sie hastete nach oben in ihr Zimmer. Im Schlafzimmer riss sie die Schranktür auf und entdeckte sofort, was sie gesucht hatte. Das gelb geblümte Sommerkleid hing fein säuberlich an einem Kleiderbügel. Das war das perfekte Outfit für einen Stadtbummel. Flink bürstete sie ihr Haar und band es im Nacken zusammen. Darüber kam ein breites Tuch, das ihren Kopf und die Ohren vor Sonnenbrand schützen sollte. Ein bisschen Sonnencreme auf die Nase und ihre große Sonnenbrille darauf, fertig. Sie drehte sich vor dem schmalen Spiegel. Ja, so gefiel sie sich. Unter dem Bett fand sie ihre gelben Ballerinas und schlüpfte hinein. Nika schnappte sich ihre Stofftasche, schwang sie über die Schulter und verließ ihr Zimmer. Sie sprang die Stufen bis zu Anas blauer Haustür herab und horchte daran. Innen hörte sie schlurfende Schritte. Ana schlurfte umher, also ging es ihr besser. Nika atmete erleichtert auf und hüpfte wie ein Schulmädchen aus dem Garten. Sie lief den Hügel hinunter zur Strandpromenade und bog nach links ab. Sie schlenderte zwischen Strandbuden und Sonnenbadenden bis zu dem Wald, den sie an ihrem ersten Tag durchquert hatte. Sie wühlte in ihrem Shopper herum und fischte das Mückenspray heraus. Mit zwei Pumpstößen sprühte sie das Antimückenmittel auf jeden Arm. Dann nahm sie sich die Beine vor. Sie ließ das Fläschchen zurück in die Tasche gleiten und bog links in den Park ein. Dank des Insektenschutzes genoss sie heute den Spaziergang. Der Kies knirschte unter ihren Füßen, der Duft der Pinienbäume erfüllte ihre Nase und erzeugte Glücksgefühle in ihrem Körper. Die Kühle lockte einige Jogger in das Wäldchen. Nika schob ihre Sonnenbrille auf den Kopf und sah sich genauer um. Hier gab es viele Wege. Sie wollte sie alle erkunden, solange sie Zeit auf der Insel verbrachte. Heute blieb sie noch auf dem Hauptweg Richtung Stadt. Sie kam an der Straße heraus, an der sie der Insel-Bus ausgeladen hatte. Sie überquerte die Fahrbahn und ging rechts an der Haltestelle vorbei. Der Hafen von Maun lag vor ihr. Nika stellte sich vor, sie besäße eine Jacht und flanierte am Kai entlang. Die Boote schaukelten sanft im Wasser hin und her. Es war nur ein leises Platschen und Glucksen zu hören, wenn kleine Wellen auf die Bootswände trafen. Leichter Algengeruch wehte vom Meer zu ihr. Nika bewunderte verschiedene Wasserfahrzeuge. Unscheinbare Fischerboote lagen neben Ausflugsschiffen, die wiederum neben großen Jachten dümpelten. Nika fand eine Bank, nahm Platz, schloss die Lider und ließ Geräusche und Gerüche auf sich wirken. Eine Stimme, die ihr wage bekannt vorkam, holte sie zurück.
„Wenn das nicht die schöne Nika ist.“
Sie riss die Augen auf und zwinkerte hektisch. Die Helligkeit schmerzte. Sie setzte die Sonnenbrille vom Kopf auf die Nase und sah sich um. Zunächst erkannte sie nur eine Silhouette im Gegenlicht, dann, die mit Gel verstrubbelten Haare. Zwei Bernsteine strahlten sie an. Ein warmes Gefühl breitete sich in Nikas Bauch aus, stieg hoch in ihre Wangen und brachte diese zum Glühen.
„Marko! Hallo“, stammelte sie.
Leicht und elegant wie eine Feder ließ er sich neben sie nieder.
„Hast du mich gesucht?“, wollte er wissen.
„Nein! Was? Wieso denn?“ Sie kam ins Stottern. Es war ihr peinlich, dass er so etwas dachte.
„Naja, du sitzt genau vor der Blue Moon.“
„Wovor?“ Sie scannte den Kai ab.
„Die Blue Moon. Direkt vor dir. Meine Jacht.“
Hoppla, da hatte sie vor lauter Hafen, das Schiff nicht mehr gesehen. Na so etwas. Und was für ein Schiff. Es war riesig.
„Wow! Das ist deine?“, staunte Nika. „Die Strandbar läuft wohl gut?“
„Die Bar ist okay. Ich habe noch andere Objekte.“
„Interessant. Was sind das für Objekte?“
„Es ist so ein schöner Tag. Warum sollte ich dich da mit meinen Geschäften belasten?“
„Das ist keine Belastung. Erzähl doch mal. Ich bin neugierig.“
„Weißt du was, ich habe eine viel bessere Idee. Ich zeige dir jetzt Maun-Stadt. Ich bin dein persönlicher Stadtführer und Reiseleiter.“
„Also gut. Dann lass mal sehen, was du drauf hast.“
Warum wollte Marko ihr nichts preisgeben? Hatte er etwas zu verbergen? Nika schüttelte diese Gedanken sofort ab. Ana hatte sie völlig verunsichert. Nur, weil sie Anas Abneigung gegen die Strandbar gespürt hatte, interpretierte sie nun etwas in Markos Satz hinein. Das war Quatsch. Es war tatsächlich ein wunderschöner Tag und Marko gönnte sich ein paar freie Stunden. Das war alles. Sie sollte nicht so misstrauisch sein, schalt Nika sich innerlich. Sie sollte sich beruhigen. Zumindest heute würde sie sich dabei von Marko helfen lassen. Sie standen von der Bank auf und Marko lotste sie vom Hafen weg, in die verwinkelten Gässchen der Stadt. Nika ruderte sich flink und ausladend zwischen den Häusern hindurch, bis sie hinter sich eine Stimme vernahm.
„Führst du mich oder ich dich? Weißt du denn, wo du hin willst?“
„Äh, nein. Einfach der Nase nach?“
„Hier lässt man sich Zeit, genießt, schaut in dieses oder jenes Geschäft hinein, betrachtet die alten Gebäude. Aber du rennst blind und hektisch an allem vorbei. Entspannt dich.“
Marko hatte recht. Sie nahm nichts von dem wahr, was er ihr zeigen wollte. Sie rannte Meter um Meter ab, als bekäme sie für jeden gelaufenen Schritt einen Preis. Sie verringerte ihre Geschwindigkeit, bis Marko auf gleiche Höhe mit ihr aufschloss. Er schlenderte neben ihr durch die Gassen.
„Ich schlage vor, wir verschaffen uns erst einmal einen Überblick. Was denkst du?“
„Okay. Und was heißt das?“
„Komm mit.“ Er nahm ihre Hand und zog sie mit sich. Ihre Finger prickelten, als sie von seinen umschlossen wurden. Der Weg stieg steil an. Nikas Atem ging schneller und sie fühlte, wie sich ihre Wangen vor Anstrengung und Erregung röteten. Der Schweiß stand ihr auf der Stirn.
„Wir sind da“, erlöste Marko sie. Nika sah sich auf dem kleinen Platz um. Sie entdeckte eine Kirche. Davor wuchs eine Platane, unter der eine Sitzbank in Richtung Meer ausgerichtet war. Einige Meter vor der Parkbank lag ein Steinmäuerchen. Dahinter fiel ein Hang steil ins Wasser. Macchia wucherte daran hoch. Hier und da krallte sich eine Agave am Felsen fest. Nika ging zur Bank zurück und setzte sich. Sie starrte in die Weite hinaus, wo das Türkis des Ozeans mit dem Azur des Himmels verschmolz. Ihr Atem wurde gleichmäßiger. Marko beobachtete sie vom Mäuerchen aus. Die Sonnenbrille hatte er dekorativ im Haar drapiert. Mit strammen Schritten und Händen in den Hosentaschen kam er auf Nika zu.
„Wir sind nicht ganz am Ziel. Ein bisschen musst du dich noch anstrengen“, lächelte er ihr zu und zeigte nach oben. „Das ist der Glockenturm der Kirche Sveta Marija. Da wollen wir hin.“
Nika drehte sich zu dem Sakralbau, legte ihren Kopf in den Nacken und erkannte Stufen, durch die schmalen Öffnungen in der Turmmauer. Ein leises Stöhnen entfuhr ihr.
„Ich verspreche dir, es lohnt sich“, munterte Marko sie auf.
Wieso musste er ihren Seufzer hören? Er sollte nicht den Eindruck haben, dass sie den Aufstieg nicht schaffte und nur jammerte. Sie sprang von der Bank und marschierte armschwingend zum Kirchturm. Prompt kam sein Kommentar: „So gefällst du mir schon besser.“ Sie traten in die Dunkelheit im Inneren des Turms und erklommen Stufe um Stufe. Während Nika stumm die Treppen zählte, hörte sie hinter sich Marko, der mit ruhigem Atem seine geschichtlichen Ausführungen zum Besten gab.
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