1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Vielleicht ist es aber auch so, dass die jungen Frauen heute, zum Teil schon bei berufstätigen Müttern groß geworden, es nicht so empfinden, wie ich es sehe. Sie kennen es nicht anders. Susanne hatte es schon bei ihrer Mutter so erfahren. Da konnte ihr ihre Omi viel erzählen, das waren für sie nur alte Kamellen. Also machte Susanne, wie so viele andere jungen Frauen, das Beste aus ihrer Situation, denn so wie „gestern“ wollten nur noch die wenigsten leben.
Auch ich wollte nicht eine Welt für die Frauen, wie Mama sie noch sah. Doch warum sollte alles, was neu war, unbedingt richtiger sein? Eigentlich hoffe ich nur, dass die jungen Leute von heute es besser machen, als es meiner Generation gelungen ist.
Bis jetzt jedenfalls schien es mir, als würden die Frauen vor Jubel über jeden Schritt in die Gleichberechtigung blind übersehen, zu welcher Mehrbelastung das für sie führen musste. Denn noch konnten sie sich nur mühsam einen Platz erkämpfen, wie ihn ein Mann für sich beansprucht. Dabei sollte es an der Zeit sein, für sie zu fordern, dass ihnen in Gesellschaft und Arbeitswelt der ihnen von Natur aus zugedachte Platz eingeräumt wird, damit sie allen Aufgaben gerecht werden können, ohne überfordert zu sein. Was ist das für eine Gesellschaft, in der Kinder allein erziehender Mütter zu den ärmsten gehören? Zeit sollte die Frau wieder haben können, Zeit für sich und ihre Kinder, ohne aus dem erlernten Beruf ganz ausscheiden zu müssen. Doch genau das wird sie nur erreichen, wenn die Wirtschaft, die immer noch das gesellschaftliche Leben bestimmt, einen Vorteil darin sehen kann, wie die Frau sich und ihre Arbeitskraft anbietet. Ich hoffe sehr, dass die Frauen dafür einmal eine Lösung finden werden. Meine Nichte Susanne wird dann aber ihr ruheloses, anstrengendes Leben wohl schon gelebt haben.
*
Karl-Heinz hatte sich wieder zu uns gesellt. Er wollte wissen, wie es jetzt bei mir in Neuwied zugeht, so nah an der ehemaligen Grenze. Hier bei Hannover war davon nicht mehr so viel zu spüren, auch wenn Trabis am Haus vorbeiblubberten und inzwischen zum Straßenbild gehörten. Um hier in den Geschäften einzukaufen, kamen sie eben nicht mehr so weit aus der ehemaligen DDR hergefahren. So mancher Trabi hielt aber auch hier vor dem Autohof an. Mit sehnsüchtigen Blicken gingen die Menschen von „drüben“ dann durch die Reihen der Gebrauchtwagen. Da war wohl bei vielen der Wunsch nach einem „Westwagen“ groß.
Die Sonne stand tief, als ich mich von ihnen verabschiedete und mit Julchen auf den Heimweg machte. In langen Schlangen kamen mir nun die Ausflügler aus dem Harz entgegen und ich fuhr fast allein auf meiner Seite in den Harz hinein. Es war schön, dass ich eben einfach mal nur zum Kaffee zu Traudel und Karl-Heinz fahren konnte.
*
Ich hatte den Wagen in die Garage gefahren, schloss das Gartentor auf und wollte ins Haus gehen. Doch Julchen war noch damit beschäftigt, auf der Straße vor dem Zaun zu prüfen, wer inzwischen alles da gewesen war, Freund oder Feind. „Nun komm schon!“, drängte ich. Schnell drückte auch sie noch eine Nachricht für die andern Hunde ab und kam mit großen Sprüngen auf mich zu. Sie lief an mir vorbei zur Haustür und drehte sich um, als wollte sie sagen: „Na, was ist? Schließ endlich auf!“
Noch waren wir nicht ganz im Haus, als das Telefon klingelte. Aha, Traudel will wissen, ob ich gut zu Hause angekommen bin, dachte ich und nahm den Hörer ab. „Alles okay, Traudel! Schönen Dank für den netten Nachmittag“, sagte ich sofort ins Telefon.
Stille im Apparat.
„Hallo!“, rief ich irritiert hinein.
„Du warst bei Mutti und Paps?“
Es war Susanne.
„Susi! Du bist es! Ja, ich komme gerade von ihnen.“ Hastig versuchte ich zu verstecken, wie neugierig ich war, als ich sagte: „Wir haben von dir gesprochen. Ich habe schon so auf deinen Anruf gewartet.“
„Kann ich mir denken!“
Das klang resigniert. So kannte ich sie nicht.
„Gibt es etwas Neues?“, fragte ich verhalten.
„Du weißt, worum es geht?“
„Ja. Robert hat eine Stelle als Oberarzt angeboten bekommen, ganz in meiner Nähe, in dem neuen Krankenhaus in Harzerode, sagte man mir. Es soll ihn sehr reizen, sie anzunehmen. Habt ihr euch entschieden?“
„Wir?!“ Sie lachte bitter auf. „Das ist gut! Er hat sich entschieden und soeben den Vertrag unterschrieben.“ Sie schwieg. Ich wartete und hörte sie heftig atmen.
„Und nun?“, fragte ich vorsichtig. Was hätte ich sonst sagen können.
„Ja, was nun?“ Sie lachte höhnisch auf und zögerte weiterzusprechen. Offensichtlich fiel ihr das schwer, was sie mir noch sagen wollte.
„Was machst du? Was wird aus deinen Geschäften?“, half ich ihr.
Wieder ein bitteres Auflachen. „Was soll ich machen? Ich werde sie aufgeben“, erklärte sie kurz.
„Wirklich?“ Ich musste tief Luft holen. „Schaffst du das denn einfach so?“
„Weiß, Gott, nicht einfach so! Das waren lange Diskussionen mit Robert. Es ist verrückt, aber gerade jetzt hat jemand sein Interesse an meinen Geschäften gezeigt, als wäre das Gerücht, dass ich aufgeben könnte, wie ein Lauffeuer durch die Gegend gelaufen. Doch das erzähle ich dir alles später. Ich werde ja bald in deiner Nähe sein.“
Es tat mir weh, sie so enttäuscht reden zu hören. „Wenn es dir auch schwerfällt, Susi, dich aber wie früher in Berlin wieder in meiner Nähe zu haben, freut mich sehr.“ Wenigstens etwas Positives an dem Umzug wollte ich ihr noch aufzeigen.
„Ja, das ist schön“, antwortete sie. „Ich melde mich wieder bei dir und werde dir mitteilen, wie es weitergeht“ Damit legte sie auf.
Die Würfel waren gefallen und Robert hatte gesiegt.
Ich hatte den Hörer noch nicht richtig aufgelegt, da klingelte das Telefon erneut. Traudel war es. „Weißt du es schon? Susanne hat sich entschieden“, polterte sie. Es war nicht zu überhören, dass ihr das missfiel.
„Ja, sie hat es mir eben erzählt. Nun zieht sie in unsere Nähe, auch in deine, Traudel“, versuchte ich ihr das Gute daran hervorzuheben. „Deine Enkelkinder wirst du dann viel öfter sehen können. Bis jetzt hast du nicht viel von ihnen gehabt.“
„Natürlich gefällt mir das. Doch wie wichtig ist das dem gegenüber, was auf Susanne zukommt. Wie konnte Robert sich nur so brutal durchsetzen? Jetzt hat Susanne keine Wahl mehr, wenn sie sich nicht von ihm trennen will. Das wird sie ihm nie verzeihen“, ereiferte sich Traudel.
„Einer von beiden musste aber nachgeben“, versuchte ich, sie zu beruhigen.
„Nachgeben nennst du das? Erzwungen hat er sich das. Ich sage dir, es ist ein Fehler, wenn Susanne ihre Geschäfte aufgibt.“
„Man kann es auch anders sehen. Größe hat Susanne damit bewiesen, dass ihr die Familie mehr wert ist, als jeder berufliche Erfolg.“
„Und warum muss es wieder die Frau sein, die das beweist? Kannst du mir mal sagen, warum?“
„Nein, das kann ich dir nicht sagen. Doch ich bin überzeugt davon, sie hat sich richtig entschieden, auch wenn es ihr sehr schwerfällt“, beharrte ich. Man konnte doch Susanne jetzt nicht noch Vorwürfe machen.
„Jetzt redest du wie Mama früher. Der Mann hat recht, egal worum es geht. Nein, hier hätte Robert zurückstecken müssen. Und wenn es noch so eine besondere Stellung ist, die ihm geboten wird, eine vergleichbare zu bekommen ist immer noch leichter als ein Geschäft neu aufzubauen.“
„Hast du das so etwa zu Susi gesagt?“
„Natürlich! Soll ich meine Meinung hinterm Berg halten? Ich werde nie begreifen, wie Susanne nachgeben konnte. Ich glaube nicht, dass er allein fortgegangen wäre, wenn sie ihm nur klar genug gemacht hätte, dass sie niemals mitgehen werde.“
„Wie kannst du dir da so sicher sein?“ Ich konnte mir schon vorstellen, dass dies das Ende ihrer Ehe gewesen wäre, obgleich auch ich am liebsten dagegen aufgebockt hätte. Warum musste es Susanne sein, die nachgab. Was hatte ihr nun in ihrer Situation die ganze Emanzipation genützt? Es gab nur ein Entweder-Oder. Und wie seit Ewigkeiten ging es wieder einmal nach dem Mann.
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