Wilma Burk
Du hast es mir versprochen!
Roman
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Inhaltsverzeichnis
Titel Wilma Burk Du hast es mir versprochen! Roman Dieses ebook wurde erstellt bei
Vorwort Vorwort Wie oft bleibt uns das Verhalten eines Menschen unverständlich, wenn wir nicht bedenken, dass ein einziges Ereignis in der Kindheit ihn für sein ganzes Leben prägen kann.
1. Kapitel / Erster Teil
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8.Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel / Zweiter Teil
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
Impressum neobooks
Wie oft bleibt uns das Verhalten eines Menschen unverständlich, wenn wir nicht bedenken, dass ein einziges Ereignis in der Kindheit ihn für sein ganzes Leben prägen kann.
Eine Liebe anderer Art
Vielleicht wäre Veras Leben anders verlaufen, wenn sie in ihren Kinderjahren nicht so abgöttisch an ihrem Vater gehangen hätte. Sie war das einzige Kind ihrer Eltern und fühlte sich von ihm besonders geliebt. Glücklich lebte sie in einer für sie heilen Welt, bis sie zu spüren glaubte, dass sich die Eltern nicht mehr so gut verstanden. ‚Liebten sie sich nicht mehr?’, fragte sie sich da beklommen. Obgleich beide versuchten, es vor ihr zu verstecken, blieben ihr die Streitigkeiten und heftigen Worte nicht verborgen. Angst befiel sie und ließ sie befürchten, dass ihre kleine Welt bedroht war, in der sie sich geborgen fühlte.
Vera war neun Jahre alt, als sie eines Tages den Vater zornig zur Mutter sagen hörte: „Wenn du so weitermachst, gehe ich!“ Da erfasste sie Panik. Hilflos vor Furcht, der Vater könnte sie verlassen, verkroch sie sich hinten im Hof des Wohnhauses in einem Schuppen mit Kaninchenställen. Zitternd vor Angst hockte sie hier und glaubte, ihr ganzes kleines Leben, eingebettet in die Liebe von Vater und Mutter, gehe verloren.
So fand sie der Vater. „Vera, was hast du?“, fragte er besorgt.
Sie klammerte sich an ihn. „Warum willst du weggehen?“
Erschrocken sah er sie an. „Wer sagt das?“
„Du! - Ich habe es gehört.“
„So etwas sagt man mal im Zorn.“ Beschwichtigend strich er ihr übers Haar.
Doch sie ließ sich nicht beruhigen. Sie drängte sich an ihn, als könnte sie ihn festhalten. „Versprich mir, dass du nie, nie, wirklich nie weggehst“, forderte sie von ihm. Beschwörend sah sie ihn dabei an. Tränen glänzten in ihren Augen. Der Vater wand sich, doch Vera ließ nicht locker. „Versprich es mir! Du musst es versprechen!“, drängte sie. Da versprach er es ihr, auch noch hoch und heilig, so, wie sie es verlangt hatte, nur um sie zu beruhigen. Und Vera glaubte daran.
*
Dann aber kam doch der Tag, an dem er sich von Vera verabschieden wollte, weil er wegging, fort aus ihrem Leben.
„Nein, nein!“, schrie sie. Alles Blut schien aus ihr zu weichen und machte ihr den Kopf leer. Sie begriff es nicht, wehrte sich verzweifelt dagegen, wollte es nicht wahrhaben. „Du hast mir versprochen, bei mir zu bleiben!“ Schluchzend hielt sie ihn fest, klammerte sich an ihn, wollte ihn nicht gehen lassen. „Du hast es mir versprochen, du musst es halten!“
„Es geht nicht!“, sagte er leise.
Er versuchte sie tröstend in die Arme zu nehmen, während die Mutter, trotzig den Kopf erhoben, mit verschlossenem Gesicht und verschränkten Armen abseits stand. Nur ihre braunen Augen verrieten, wie es sie schmerzte und wie verletzt sie war.
Vera stieß den Vater weg. „Wenn du nicht bei mir bleibst, hasse ich dich!“ Sie war außer sich vor Enttäuschung und Schmerz und wusste doch nicht, was sie da sagte. Sie schlug wütend mit ihren kleinen Fäusten auf ihn ein. Er wollte sie fassen. Sie aber riss sich los, rannte aus dem Haus, über den Hof zu den Kaninchenställen und verkroch sich.
Der Vater ging.
Als die Mutter sie aus ihrem Versteck holte, war er nicht mehr da. Vera war ratlos. Wie glücklich war sie all die Jahre vorher mit Mutter und Vater gewesen.
*
Die Mutter war eine ernste Frau, was ihre schlanke Gestalt in stets gerader Haltung und die streng zurückgekämmten dunklen Haare noch besonders betonten. Der Krieg und die Flucht aus ihrer Heimat hatten sie geprägt. Neunzehnhundertfünfzig, fünf Jahre nach Kriegsende hatte sie, bereits dreiunddreißig Jahre alt, Vera zur Welt gebracht. Damals, im westlichen Teil Deutschlands, der gerade gegründeten Bundesrepublik, begann das Leben leichter zu werden. Um Essen und Trinken brauchte man sich nicht mehr zu sorgen.
Wenn die Mutter auch nicht so lachen konnte wie der Vater, auf sie war Verlass. Bittere Erfahrungen hatten sie gelehrt einzugreifen, wenn es nötig war. Von der heranwachsenden Vera und allen anderen erwartete sie Gewissenhaftigkeit. „Hat man sein Wort gegeben, so muss man es auch halten“, forderte sie. Und sie ließ sich von ihr versprechen, dass sie nach der Schule gleich nach Hause käme, dass sie nicht lügen würde, auch wenn es Strafe geben könnte, und dass sie die Mutter immer lieb haben werde. Wenn Vera es versprach, gab es eine kurze Umarmung und ein Streicheln als Belohnung. Sonst ging die Mutter mit Zärtlichkeiten sparsam um.
Wie anders war dagegen der Vater, Umarmungen hatte es von ihm für Vera nach Laune gegeben, nie als besondere Belohnung. Er war kurz nach dem Krieg unversehrt in seine Heimatstadt zurückgekehrt und hatte das Lachen nicht verlernt. Vielleicht hatte es ihn, einen Mann Ende dreißig, deshalb zu dieser ernsten, auch nicht mehr so jungen Frau hingezogen. Vielleicht wollte er ihr ihre Fröhlichkeit zurückgeben. Doch es gelang ihm wohl nicht.
Mit den Jahren war das Leben wieder leichter geworden und der Krieg immer mehr zu einer fernen Vergangenheit. Nur die zunehmenden politischen Spannungen zwischen dem Ostblock und den Westmächten trübten noch das Leben im geteilten Deutschland. Sie hielten aber das Wirtschaftswunder der fünfziger Jahre im Westen nicht auf. Der Vater hatte eine gute Stellung, welche die kleine Familie ernährte. Die Mutter widmete sich ganz dem Haushalt und der Erziehung von Vera. Ein anständiges Mädchen sollte sie werden, das hielt, was es versprach. Hatten sie auch keine Reichtümer, das Geld, das der Vater für seine Arbeit heimbrachte, verstand sie so einzuteilen, dass es ihnen an nichts fehlte.
Alles hatte sich bei ihnen um Vera gedreht, ihr einziges Kind. Die Mutter brachte ihr bei, was sie zum Leben brauchte, während der Vater sie mit Fröhlichkeit verwöhnte. In seinem breiten Gesicht unter den dünner werdenden blonden Haaren prägten sich mit den Jahren Lachfalten ein. Zunehmend verriet ein kleines schwabbelndes Bäuchlein seine Lust am Genuss. Er nahm das Leben nicht so schwer. „Wenn du groß bist, reisen wir zusammen nach Honolulu!“, konnte er zu Vera sagen und die gleichen blauen Augen, wie Vera sie hatte, sahen sie dabei spitzbübisch an. Sie hatte das ernst genommen und gefragt: „Versprichst du es mir?“ Und er hatte es ihr versprochen - einfach so.
Jeden Tag hatte sie auf ihn gewartet. War er dann abends von der Arbeit heimgekommen, in die kleine Wohnung eingetreten und hatte gerufen: „Ist mein Goldschatz wieder brav gewesen?“, so hatte sie ihre blonden Haare zurückgeworfen, war ihm entgegengelaufen und in seine Arme gesprungen. Dicht hatte sie sich an ihn geschmiegt und den vertrauten Geruch seiner Nähe tief eingeatmet. Nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, so einmal ihrer Mutter entgegenzulaufen.
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