Ralph Ardnassak
Drecksmaden
Roman
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Inhaltsverzeichnis
Titel Ralph Ardnassak Drecksmaden Roman Dieses ebook wurde erstellt bei
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
XVII
XVIII
XIX
XX
XXI
XXII
XXIII
XXIV
XXV
XXVI
Impressum neobooks
Der Staat ist die nüchterne, blutleere
Maschinerie, die das Funktionieren
der kapitalistischen Ausbeutung garan-
tiert, sonst nichts. Seine Einrichtungen,
Militär, Justiz, Polizei, selbst Schule
und Kirche sind nur Hilfsmittel dieser
einzigen Funktion des Staates. Aber sie
werden mit dem Schimmer eines sitt-
lichen Prinzips umkleidet …
(Erich Mühsam)
In einem Staat gibt es nichts Ge-
fährlicheres, als eine Körperschaft, deren
Interesse nicht mit dem allgemeinen
Interesse verknüpft ist.
(Claude-Adrien Helvetius)
Eine erfolgreiche und wohlhabende, ja reiche Familie, ist nicht nur ein Segen. Im Gegenteil! Sie kann ein Fluch sein, wenn sie eine beständige Erwartung repräsentiert. Einen Karrierewunsch, der wie ein unerfüllbarer Anspruch, dem man gerecht zu werden hat, über einem hängt!
Eine reiche und wohlhabende Familie ist ein Parasit und ein nimmer satter Moloch zugleich, mit dem man geboren wird, als hätte man einen Mühlstein am Hals. Und dies alles umso mehr, sofern da noch Geschwister existieren, die stets neben einem stehen, um zu beobachten und zu registrieren und aufzurechnen, was man selbst an Gunsterweisungen, an Liebe und an Zärtlichkeiten und vor allem jedoch möglicherweise an Geld und anderen materiellen Dingen geschenkt bekommt, weil diese Gaben das eigene Erbe schmälern.
Man ist also hinein geworfen, in eine beständige Wettbewerbssituation und irgendwann hasst und verabscheut man niemanden mehr, als die eigenen Geschwister, die ewig neben einem sitzen, wie eine Jagdhundemeute bei der Fütterung nach der Hatz, um einem jaulend und um sich beißend die besten Stücke weg zu schnappen!
So bestimmen Argwohn und Neid die familiären Bande und nicht Liebe oder Verbundenheit.
Die Schattlings repräsentieren eine uralte Kaufmannsdynastie in der Stadt, die sich auch während der Zeit der DDR ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit wahrte und durch gute Beziehungen zu allen lokalen Größen aus der Partei und dem Staatsapparat ihr einigermaßen Vermögen unbeschadet auch über die Zeit der massiven staatlichen Reglementierung hinüber gerettet hatte.
Im Organisieren von Waren, im Eröffnen von Beschaffungsquellen, im Verhandeln und Feilschen, hatten sie bereits während der Mangel- und Hungerjahre des Ersten Weltkrieges, ausgelöst durch die britische Seeblockade, eine besondere Geschicklichkeit entwickelt und daher zu den wenigen Privilegierten in der Stadt gehört, die niemals Hunger litten, stets über einen reich gedeckten Tisch verfügten und die vor allem immer etwas zum Tauschen im Lager hatten.
Darüber waren ihnen Neid und Missgunst in der Stadt erwachsen, zugleich aber ein quasi angeborenes Bewusstsein, etwas Besonderes unter den Menschen dieser Stadt zu repräsentieren. Eine Familie zu sein, die in besonderer Art und Weise vom Herrgott gesegnet war und geliebt wurde und die daher immer ein Leben für sich beanspruchen konnte, das ein wenig luxuriöser sein musste, als jenes der Menschen in der Nachbarschaft.
Begonnen hatte ein Urgroßvater mütterlicherseits, ein gewisser Hermann Christoph Schattling, etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts herum, in dem kleinen, anfangs noch gemieteten Ladengeschäft, einen Obsthandel aufzubauen, um die Bürger der Straße und des benachbarten Viertels mit Obst zu versorgen, das ihm die Bauern der Umgegend und sogar die Bauern aus dem Gebiet um Werder, in ihren Wagen und Karren anlieferten.
Es waren zunächst lediglich heimische Waren gewesen. Also Kern-, Stein-, Beeren und Schalenobst, wobei später schließlich die besonders begehrten importierten Waren hinzu gekommen waren. Nämlich nahezu sämtliche exotischen Früchte und die wie Obst verwendeten exotischen Gemüsesorten.
Während der Hungerjahre des Ersten Weltkrieges hatte eine Großmutter, die Männer der Familie standen ja überwiegend im Felde, schließlich die von den Bäuerinnen angelieferten Obstmengen in Tafel- und in Wirtschaftsobst unterteilt, wie es auch allgemein im Einzelhandel mit Obst bereits üblich war.
Das Tafelobst, Waren von höchster Qualität und für den direkten Verzehr bestimmt, wurde im Ladengeschäft an die Kunden verkauft oder unter dem Tresen gegen andere Güter eingetauscht, das Wirtschaftsobst wurde hingegen zu Saft oder Most verarbeitet oder hinten im Lager eingemacht und dann im Glas teurer als Einmachobst verkauft.
Im stets kühlen, aber trockenen Keller, wurde Lagerobst zur Nachreifung eingelagert und da Kochobst aufbewahrt.
Mit Schläue und Geschäftssinn hatte es die Großmutter Amalia Augustine Schattling schließlich, während der Gatte als Vizefeldwebel in Frankreich stand, so weit gebracht, dass die Familie das gesamte Gebäude nebst Grund und Boden aufkaufen konnte und somit ein repräsentatives Bürgerhaus mit zugehörigem Ladengeschäft im Erdgeschoß in bester und zugleich repräsentativer Vorstadtlage besaß.
Der Schattlingsche Obsthandel war schließlich nicht nur bei den Bürgern der Straße geschätzt, sondern auch der Konditormeister und der Gastwirt Henze um die Ecke und noch andere Gewerbetreibende aus der Stadt und der näheren Umgebung, kamen häufiger vorbei, um auch größere Mengen an Obst oder Eingemachtem zu ordern.
So war das „Geschäft“, wie es der Großvater stets zu nennen pflegte, nicht nur eine Erwerbsquelle, sondern spätestens seit den 1920er Jahren zu einer regelrechten Goldgrube geworden, die unzweifelhaft das Potential haben würde, der gesamten Familie und auch noch den nachfolgenden Generationen eine propere Existenz zu sichern, sofern keine gravierenden wirtschaftlichen Fehler gemacht würden.
Aber mit der Freude über den erreichten Wohlstand wuchs auch die Sorge, diesen beständig erhalten, sichern, vermehren und bewahren zu können.
Die Zeit des Dritten Reiches hatte die Familie Schattling nicht nur unbeschadet überstanden, sondern auch noch erheblich Kapital daraus schlagen können, wovon allerdings niemand wusste.
Die kleine enge Straße, in der die Schattlings ihr Geschäft hatten, eigentlich viel eher eine ruhigere Nebenstraße, war ein Paradies für kleine Ladenbesitzer und Handwerker. Darunter besonders viele Juden.
Da gab es die Gaststätte in jüdischem Besitz, den jüdischen Teppichhändler, den Schuhmacher, den Zahnarzt, der ein Jude war, den Rechtsanwalt und den bärtigen alten Herrn, der in seinem ebenerdigen Ladengeschäft die Nähmaschinen anderer Leute reparierte.
Und es gab die Familie Hirschmann, die die Herrenburger Lichtspiele schon einige Jahre vor der Machtergreifung eröffnet hatten. Mit einer Eröffnungsanzeige in der lokalen Zeitung, welche Kläre Schattling, der seinerzeitigen Inhaberin, nicht nur freundliche Töne entlockte, sondern auch ein leises zorniges Murren über den wirtschaftlichen Erfolg all der Juden in ihrer Straße, der scheinbar regelrecht mühelos gelang.
„Herrenburg: Heute, Donnerstag, Eröffnung der Kino-Schauspiele“, so hatte die große und teure Annonce damals allzu prahlerisch, wie Kläre Schattling fand, verkündet:
„In diesem Neubau vereinen sich alle Anforderungen, welche an ein modernes Lichtbild-Theater gestellt werden.
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