Mutter schon aufgezogen und dich auch, als du klein
warst und auf meinem Schoße saßest.« Sie nahm
neben der schönen Frau Platz, und diese ließ ihr Kaffee
kochen und Essen vorsetzen. Die Alte sprach zu
ihr: »Herrin, du sendest mich doch nicht ohne Hoffnung
wieder weg?« Die schöne Frau erwiderte: »Nur
zu! Gott befohlen! Was du bedarfst, werde ich dir
schon verschaffen!«
Die Alte begann: »Ja, da ist ein reicher Kaufmann
erst seit kurzem hier angekommen; der erkundigte
sich nach deiner Wohnung und fragte nach dir; er sendet
dir dieses Kästchen; das ist ein prächtiges Geschenk,
das du (behalten mußt und) mir nicht zurückgeben
darfst!« Die schöne Frau empfing das Kästchen
von der Alten und barg es in ihrer Truhe. Dann fragte
sie die Alte: »Was beabsichtigt denn jener?« Diese erwiderte:
»O, er will bloß zwei Stündlein bei dir verweilen!
« Die schöne Frau sprach: »Nun gut, dann
geh' zu ihm und sage ihm, er solle zwei Stunden nach
Sonnenuntergang kommen!« Der Wesir freute sich
über diese Kunde, begab sich ins Bad, rasierte seinen
Körper und sein Haupthaar und machte sich fix und
fertig. Die schöne Frau hatte der Alten gesagt: »Wenn
er das Haus nicht kennt, so zeig es ihm und geh dann,
wohin du willst.« Als die Nacht einbrach, machte sich
auch die schöne Frau fix und fertig und richtete eine
Abendtafel her: »Sie bedeutete die Dienerin und
sprach zu ihr: ›Wenn ein Kaufmann zu mir kommt, so
laß ihn hier neben mir fünf oder zehn Minuten sitzen
und poche dann tüchtig an die Thür, schleich dich
hinaus vor die Thür und poche an dieselbe!‹«
Der Kaufmann kam, trat ein, und sie empfing ihn,
sie bewillkommte ihn mit diesen Worten: »Sei gegrüßt!
Willkommen! Segen hat uns aufgesucht!« Er
entgegnete ihr: »Du bist der Ort des Segens!« Dann
nahm er neben ihr Platz. Beide hatten eben erst begonnen,
den ersten oder zweiten Bissen zu genießen,
da erdröhnte die Thür. Der Wesir blickte die schöne
Frau an und fragte sie: »Wer ist das?« Da sprang sie
auf, schlug auf die Schenkel und rief: »Wo verstecke
ich dich jetzt?« Er fragte sie nochmals: »Was ist's
denn?« Sie antwortete: »Das ist der Bruder meines
Mannes, der ist ein Mörder; jeden Tag kommt er so
um diese Zeit, er giebt Obacht auf mich und auf das
Haus seines Bruders!« Er fragte: »Was ist da zu
thun?« Sie erwiderte: »Ich habe ein Kellerloch, in das
werde ich dich hinablassen, und dort wirst du zehn
oder fünfzehn Minuten verweilen müssen; wenn mein
Schwager wieder fort ist, werde ich dich herauslassen!
« Der Wesir entgegnete: »Gott befohlen!« Nun
machte sich die Frau nebst der Dienerin ans Werk,
und die beiden hoben den Stein oben auf dem Kellerloche
ab, banden den Wesir an ein Hanfseil und ließen
ihn hinab in das Kellerloch; dort ließen sie ihn.
Dann deckte sie wieder den Stein oben darauf und
ließ ihn da unten bis zum nächsten Morgen. Am nächsten
Morgen öffnete sie wieder das Kellerloch, in dem
sich jener befand, und rief hinab: »Wie geht dir's?« Er
entgegnete: »Eine Ratte von der Größe einer Katze
und die Nässe hier macht meinen Geist verwirrt!
Auch hatte ich garnichts zu essen,« fuhr er fort; »denn
seit gestern Mittag habe ich nichts genossen!« Die
Frau sprach: »Auf, Magd, bring jetzt die Wolle, eine
Karde und eine Laterne herunter, damit er ordentlich
sehen könne, wenn er arbeitet.« Sie rief ihm zu:
»Wohlan, mein Junge, arbeite nach Herzenslust! Arbeitest
du tüchtig, so sollst du tüchtig zu essen bekommen;
arbeitest du aber wenig, so bekommst du
wenig zu essen!« Er entgegnete: »Das war nicht die
Beschäftigung meines Vaters und Großvaters!« Sie
entgegnete: »Ganz wie du willst! Wenn du ordentlich
kardest, bekommst du zu essen; kardest du nicht, so
kannst du verhungern!« Er entgegnete ihr »Gieb her!
Ich will arbeiten!« Sie ließ ihm ein ordentlich Stück
Brot hinab, acht Oliven und einen Milchnapf voll
Wasser. Er begann die Wolle zu karden; seine Hände
wurden mit Blasen bedeckt, da konnte er nicht tüchtig
arbeiten, sondern nur wenig. Da ließ sie ihm weniger
Essen hinunter und gab ihm nur ein viertel Brot. Er
kam beinah vor Hunger um, der Arme; er umwickelte
seine Hände mit Lappen und kardete die ganze Nacht
hindurch.
Am folgenden Morgen sandte er ihr hinauf, was er
fertig gemacht hatte. Sie fand, daß es die gewöhnliche
Aufgabe überstieg. Da guckte sie hinunter zu ihm und
rief ihm zu: »Wenn du viel arbeitest, gebe ich dir viel
zu essen; arbeitest du aber wenig, so erhältst du nur
viertel Ration!« Von nun an kardete er beständig gut
und bekam gut zu essen.
Die Erzählung möge jetzt zum Sultan zurückführen.
Er wandte sich an seinen zweiten Wesir, der
neben ihm saß und sprach: »Der Wesir, den ich aussandte,
bleibt recht lange aus; jetzt sind es schon drei
oder vier Monate, und er ist noch nicht zurückgekommen!
« Der zweite Wesir entgegnete: »Mein Herr,
vielleicht hat ihm jene Frau gefallen, und er hat sie
mitgenommen und ist mit ihr nach einer andern Stadt
gezogen!« Der Sultan blickte auf und sprach: »Da
werde ich für dich ein Schiff befrachten, wie ich für
jenen eines befrachtet habe; reise du ihm nach und
ziehe Erkundigungen ein!« Der Wesir entgegnete:
»Gott befohlen!« Hierauf beorderte der Sultan ein
Schiff her, befrachtete es für den Wesir mit Waren
und gab ihm, was er an Geld nötig hatte; dann empfahl
sich jener Gottes Schutz und reiste ab.
Er reiste übers Meer und gelangte nach jener Stadt.
Daselbst eröffnete er einen Laden, wie der erste Wesir
und begann zu handeln. Im Verlaufe des dritten Tages
kam die Alte zu ihm und sprach: »Guten Morgen,
mein Herr! Du bist offenbar erst seit kurzem hier: ich
habe dich früher nicht in der Stadt gesehen!« Er entgegnete
ihr: »Ja, ich bin erst seit drei Tagen hier.« Sie
fragte ihn: »Hast du wohl Seidenzeuge, Ambra, Zibeth
und Moschus?« Er entgegnete ihr: »Was du
brauchst, das habe ich.« Er legte ihr Waren vor, damit
sie sich dieselben ansähe. Sie sprach zu ihm: »Mein
Herr, dies ist viel zu viel für mich, ich habe nicht soviel
Geld, um den Preis hierfür bezahlen zu können!«
Er entgegnete: »Das soll ein Geschenk von mir sein,
und diese zwei Beutel voll Goldstücke laß dir ebenfalls
zu Gute kommen!« Sie nahm alles und ging
damit nach Hause. Am folgenden Morgen begab sich
die Alte wieder zu ihm und begann: »Mein Herr, du
bist in dieser Stadt noch fremd, bedarfst du vielleicht
irgend einer Sache? Was du nur wünschest, das soll
dir werden!« Er entgegnete der Alten: »Kennst du das
Haus von dem und dem?« Sie entgegnete ihm: »Das
kenne ich sehr genau.« Der Wesir sprach: »Diese
zehntausend Piaster hier schenke ich dir, und dieses
Kästchen bringe der schönen Frau und sage zu ihr:
›Ein Fremder möchte gern zwei Stündchen bei dir
verweilen?‹« Die Alte entgegnete dem Wesir: »Gott
befohlen!« Sie nahm das Kästchen nebst dem Gelde,
begab sich nach dem Hause der schönen Frau und
klopfte an die Thür; die Magd antwortete: »Wer
ist's?« Die Alte entgegnete: »Sag' deiner Herrin, die
Hebamme ihrer Mutter sei da!« Die Magd begab sich
zu ihrer Herrin. Dieselbe sprach: »Laß jene herein!«
Die Alte trat ein; jene bewillkommte sie und sprach
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