mit der Erzählung Goso, eine Geschichte aus
Mombassa, zu finden. Diese Übereinstimmung des
Aufbaues, der Ideen, ja der Worte der verschiedenen
Sprachen ist zwar überraschend, wenn man bedenkt,
daß die Neger Afrikas sich untereinander absolut
nicht verstehen, sowie sie verschiedenen Ländern angehören;
dennoch ist sie natürlich durch die enge Verwandtschaft,
in welcher scheinbar sämtliche Afrikaneger
zueinander stehen. Wir finden das Wort nyoko sowohl
bei den Kapkaffern, Zulus und Suahelis, bei
allen dreien heißt es: Schlange, und dennoch sind die
drei Sprachen im ganzen sehr verschieden voneinander
trotz gelegentlicher Übereinstimmungen, die nur
den gleichen Stamm bedeuten. Auch bei den im Südwesten
Afrikas wohnenden Hereros fanden sich
Worte, welche eine entschiedene Vetternschaft mit
den ostafrikanischen Stämmen zu erkennen geben, so
z.B. heißt onganga im Dialekt der Herero Zauberer,
Arzt; das Wort mganga ist dasselbe in der Sprache
der Suaheli.
Die fliehenden Kinder.1
Ein Hereromärchen.
Es waren einmal mehrere Schwestern, die gehörten
den Hereros an. Als sie mit ihren Eltern an einen
Platz gekommen waren, der sehr schöne Weiden und
viele Bäche und Flüsse hatte, fingen sie an, sich hübsche
kleine Hütten an den Ufern des Wassers zu
bauen, und in ihnen wohnten sie. Bald aber waren die
Weiden von ihrem Vieh abgegrast, und die Hereros
zogen deshalb weiter und nahmen auch ihre Kinder
mit sich. Indessen waren sie noch nicht weit gewandert,
als die Mädchen, welche sich die Hütten gebaut
hatten, beschlossen, wieder zurückzugehen; denn sie
sehnten sich nach ihrem alten Spielplatz. Deshalb
gaben sie die Lasten, welche sie zu tragen hatten, und
die in Tüchern, Kochgeräten und Schemeln bestanden,
an ihre Eltern und traten den Rückweg an. Als
sie zu ihren Hütten gekommen waren, fanden sie, daß
Bergdamaras Besitz von ihnen genommen hatten. Da
fürchteten sich die Mädchen und versteckten die älteste
Schwester. Sie hieß Cnihova. Als die Bergdamaras
die Mädchen sahen, beschlossen sie, dieselben zu
Weibern zu nehmen.
»Diese gehört mir,« sagte der eine.
»Und diese hier mir,« sagte ein anderer.
Schließlich war nur ein alter Mann übrig, der noch
keine Frau hatte. Zufällig fand er die versteckte älteste
Schwester und rief:
»Diese gehört mir!«
»Nein,« rief der Häuptling. »Sie soll auch noch mir
gehören; denn ich bin euer Häuptling.«
Dann begaben sie sich zur Ruhe. Am folgenden
Tage gingen die Damaras auf die Jagd. Nur der alte
Mann blieb zurück. »Ich werde euch bewachen,«
sagte er zu den Mädchen und legte sich quer vor die
Schwelle der Hütte. »Solange ihr hört, daß ich grrrr,
grrr, grrr sage, wißt ihr, daß ich noch nicht fest schlafe;
hört ihr mich aber pfuh, pfuh sagen, dann bin ich
fest eingeschlafen.« Da warteten die Mädchen, bis sie
den Alten »pfuh, pfuh« sagen hörten. Dann standen
sie auf, befestigten allen Zierat an den Gewändern,
damit er keinen Lärm machen konnte und horchten
noch mal, ob der Mann auch wirklich schliefe. Als sie
dessen ganz sicher waren, schritten sie über ihn fort
aus der Hütte hinaus, nahmen Asche und bestrichen
sich mit ihr gegenseitig die Gesichter.
Der Häuptling der Damaras hatte einen großen
Stein vor der Hütte liegen, den benutzte er als Sitz.
Diesen Stein nahmen die Mädchen und zerschmetterten
mit ihm den Kopf des schlafenden Mannes. Dann
gingen sie eilends fort und folgten den Spuren der
fortgewanderten Hereros; denn sie wollten nicht bei
den Damaras bleiben. Bald kamen sie an einen großen,
flachen Felsen, der wie ein Haus aussah. Vor
ihm stand das älteste Mädchen, welches Cnihova
hieß, still und rief:
»Felsen, öffne dich!«
Darauf tat der Felsen sich auf und ließ die Mädchen
eintreten, voran die, welche gerufen hatte.
Die jüngste der Schwestern hieß Cahavandye und
folgte nach. Als sie alle in dem Felsen waren, schloß
er sich wieder; aber der Raum in ihm war etwas eng
für sie alle.
»Wenn es sehr eng hier wird,« sagte Cnihova zu
ihren Schwestern, »so dürft ihr nicht schelten«.
»Wie,« rief Cahavandye, »nicht genug Raum will
er uns geben, und wir sollen nicht einmal schelten? Es
ist ein ganz abscheulicher Felsen!«
Dann schwiegen sie alle.
Als die Bergdamaras zurückkamen, fanden sie, daß
die Mädchen alle verschwunden waren und den alten
Mann getötet hatten. Sofort machten sie sich auf den
Weg, um die Entlaufenen zu verfolgen. Als sie zu
dem großen flachen Felsen kamen, konnten sie die
Spuren nicht mehr sehen und fragten einander:
»In welcher Richtung mögen sie weitergegangen
sein?«
Da hörten sie den leisen Klang der Glocke, welche
das älteste Mädchen an ihren Kleidern trug.
»Was war das?« riefen die Damaras. »War es nicht
der Klang einer Glocke? Oder war es die Stimme
eines Vogels, die wir gehört haben? Sind sie aber
fortgenommen, so war es der Klang einer Glocke, und
die Mädchen waren hier versteckt.«
Dann gingen sie wieder zurück zu den Hütten.
Sobald die Mädchen merkten, daß die Damaras
fortgegangen waren, sprach Cnihova zu dem Felsen:
»Öffne dich!«
Da öffnete er sich und ließ die Mädchen hinaustreten.
Als aber Cahavandye, die jüngste der Schwestern,
den andern folgen wollte, schloß er sich geschwind
und hielt sie gefangen.
Die Mädchen nahmen nun von dem Felsen, was die
Damaras dort hatten liegen lassen; aber ehe sie weitergingen,
baten sie den Felsen:
»Gib uns unsre Schwester! Sie ist ein Kind und hat
gesprochen wie ein Kind; ihre Worte haben kein Gewicht.
«
Aber der Felsen öffnete sich nicht. So zogen denn
die Kinder weiter und kamen nach langem Wandern
dahin, wo ihre Eltern und Freunde sich niedergelassen
hatten. Große Freude herrschte, und Feste wurden
veranstaltet, weil die Mädchen und besonders die Älteste
wiedergekommen waren. Von nun an blieben sie
stets da, wo auch ihre Eltern waren.
Cavahandye, die in dem Felsen geblieben war,
weinte bitterlich und rief fortwährend:
»Öffne dich, öffne dich! Ich habe gesprochen, wie
ein Kind redet.«
Aber der Felsen erhörte sie nicht. Wenige Tage
darauf kam ein Löwe des Weges, der rief den Felsen
an:
»Öffne dich!«
Da gehorchte der Felsen. Als Cahavandye aus der
Offnung heraustrat, verfolgte sie der Löwe; doch das
Mädchen rannte, so schnell es konnte, und erreichte
beinahe den Platz, wo es seine Mutter und Schwestern
zu finden hoffte. Da es aber vom Laufen ermattet war
und in der Schnelligkeit nachließ, wurde es doch noch
eine Beute des Löwen, der es verschlang. Als die Damaraleute
zu dem Felsen kamen und ihre Schilder und
Speere fort waren, wußten sie, daß es die Hereromädchen
gewesen waren, welche sie genommen hatten;
deshalb folgten sie ihren Spuren, aber sie erreichten
sie nicht und kehrten wieder zurück.
Fußnoten
1 Die Herero sind ein Nomadenvolk, daher in dieser
Erzählung die Rede davon ist, daß sie, sobald ihr
Vieh die Weide abgegrast hat, weiterziehen. Die älteste
Tochter genießt in jeder Hererofamilie eine besonders
bevorzugte Stellung und heißt allgemein »das
große Mädchen«. – Mit den in dieser Sage angegebenen
Lauten »grrrr, grrrr« und »pfuh, pfuh« sind jedenfalls
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