Es ist 16 Uhr 30 und das Boarding in Budapest hat bereits begonnen, aber diese ‚(zensiertes Wort)‘ Ungarn rufen einfach nicht an. Fast wäre ihm jetzt ein noch schlimmeres Wort entschlüpft. Zehn Minuten später läutet endlich das Telefon.
Die Lage hat sich bei ihnen ein wenig zugespitzt. Während die Passagiere bereits mit dem Einchecken begonnen haben, führte der Pilot noch einen letzten Kontrollgang durch und dabei stieß er auf kleinere Ungereimtheiten. Nichts Großes, aber Grund genug für einen Wechsel der Maschine.
Die Ungarn haben sich entschieden nicht zu zahlen und sahen darüber hinaus nur die Möglichkeit, die Piloten über die gegenwärtige Situation zu informieren. Immerhin müssten sie eine besondere Sensibilität an den Tag legen und auf Störfälle gefasst sein. Daraufhin weigerten sich die Piloten den Flug anzutreten, umso mehr, als das Geld nicht bezahlt werden soll.
Die gewerkschaftliche Vertretung, welche in Ungarn noch sehr schwach organisiert ist, machte aber ausreichend Wind unter den anderen Piloten, sodass sich auch keine Ersatzmannschaft finden ließ, nicht einmal mit einer ausgetauschten Maschine.
Während dieses Gespräches mit Densham werden die Passagiere bereits von einem technischen Defekt informiert und dann auf neue Flüge ab Samstagmorgen umgebucht. Die Fluglinie bietet den Passagieren die Übernachtung in einem nahegelegenen Hotel als Entschädigung an.
Der Flug ist definitiv abgesagt. Densham will dann noch wissen, warum die Entscheidungsfindung so lange dauerte und ob dieses lange Prozedere nur ein Einzelfall war. Die Antwort ist eine einzige Ausflucht und damit weiß Densham, dass dies wohl kein Sonderfall ist.
Das Krisenteam bekommt die Entwarnung, führt aber die Ermittlungen noch weiter. Auch das Beobachtungsteam in Bern soll weiter arbeiten. Vielleicht ergeben sich doch noch brauchbare Ansätze.
Densham steht wieder vor einem Berg von Berichten, die er zu ergänzen, zu berichtigen und abzuändern hat. Densham hasst diesen Teil des Jobs, denn dafür sollte es eigene Beamte geben, deren Lieblingsbeschäftigung der Kampf mit dem Papier ist. Die Aussicht, dies in Einsparungszeiten bewilligt zu bekommen, ist allerdings gering bis aussichtslos.
Da Densham die Ungarn nicht gerade als verlässliche Partner kennengelernt hat, möchte er über sein Flugradar am Computer nachprüfen, ob die Maschine wirklich am Boden bleibt. Wenn man sich die kontrollierenden Behörden vom Hals geschafft hat, so fällt vielen Fluglinien ein kreativer Weg ein, wie sie ihre materiellen Interessen retten können.
Nein, die Maschine bleibt am Boden und es startet auch keine andere in die ursprünglich geplante Destination. Etwas gedankenverloren scrollt er am Bildschirm nach unten und da fällt ihm noch etwas anderes ins Auge.
Der winzige Punkt oberhalb der Schrift zeigt den Flughafen Thessaloniki und darunter das rote Signal (das Fragezeichen) für ‚ein verloren gegangenes Signal‘.
Densham weiß, dass es viele Ursachen dafür geben kann, aber dass es ausgerechnet bei der Zieldestination des bedrohten Fluges auftaucht, ist wohl ein bisschen viel des Zufalls. Mal sehen, was dort unternommen wird. Er lädt den Browser neu und vergrößert den Bildausschnitt.
Zwei Flugzeuge suchen bereits das Gebiet ab. In den nächsten Stunden überfliegen immer wieder neue Maschinen diesen Ort.
Kurz nach 19 Uhr kommt dann eine andere Meldung herein. Eine Boeing 777 der Airfrance, Flugnummer AFR10, hat auf dem Weg nach New York umgedreht und möchte wieder zum Ausgangspunkt in Paris zurückkehren.
Densham möchte sich auch das auf dem Flugradar ansehen. Dort wird angezeigt, welche Route geplant war, und zugleich die wirklich eingeschlagene Flugroute.
Densham ist ganz froh, dass er sich um diese Fälle nicht kümmern muss; sollen seine Kollegen auch etwas arbeiten. Für heute hat er genug und so verabschiedet er sich im Büro und macht, dass er nach Hause kommt.
Zu Hause warten bereits seine Kollegin Jasmin, seine Tochter Yvette und ein leckeres Irish Stew auf ihn. Jasmin ist schon seit 4 Jahren mit ihm zusammen und natürlich nennt sie ihn zu Hause nicht Mr. Densham, sondern Phil, aber in der Arbeit verhalten sie sich nur wie Kollegen zueinander. Yvette stammt aus seiner ersten Ehe, wobei seine Frau bei einem Flugzeugabsturz das Leben verlor. Damals war Yvette gerade mal ein Jahr alt. Phil war damals völlig geknickt und so kam es, dass Jasmin sich zunächst um das Baby und dann auch um Phil kümmerte.
Jasmin kam aus Iowa und hatte in Afrika beim Aufbau einer Flugsicherung mitgearbeitet. Womit sie damals nicht zurecht kam, war die Mentalität der Leute, mit denen sie zu tun hatte. Es schien dort weder Zeit noch Dringlichkeit zu geben und so verloren sich alle Bemühungen in dieser endlosen Gelassenheit. Jasmin hatte ständig das Gefühl zu versagen, weil nichts voran ging. Schließlich bewarb sie sich nach Europa und landete bei Phils Abteilung.
Da es Mitarbeitern strengstens untersagt ist, als Paare zusammenzuarbeiten, bleibt ihre Beziehung im Verborgenen und nur sein Freund Woody ahnt etwas von der Lebensgemeinschaft, aber auf dessen Verschwiegenheit kann man sich verlassen.
Normalerweise mag Phil Lammfleisch und er hat sich sogar auf das Stew gefreut, aber jetzt, wo es vor ihm steht, überfällt ihn doch eine gewisse Appetitlosigkeit. Irgendwie kommt er sich heute wie ein Opferlamm vor. Seit Dienstag hatten sie diese Vorwarnungen des potentiellen Attentäters Jimmy, was auf eine gewisse Weise ein Vertrauensbeweis war. Jimmy hätte sich auch gar nicht an die IATA wenden müssen und es hätte auch genügend andere Wege gegeben, das Geld zu erpressen.
So hatten sie die Chance, dem Spuk ein Ende zu machen. Es war aber weder eine Zusammenarbeit mit der Bank möglich noch mit den Ungarn, und damit war sein Team für die weitere Entwicklung aus dem Spiel. Sie waren auf dem Altar des Hochmuts geopfert worden, wie ein Opferlamm. Wo waren die Zeiten, als das Wort der Obrigkeit noch Gesetz war, dem sich alles unterwarf?
Jasmin kennt diesen bedrückten Gesichtsausdruck von Phil schon sehr gut und irgendwie hat sie dies auch für heute erwartet, als sie von der Absage des Fluges W6 2447 hörte. Jasmin hat Yvette deshalb schon zu ihrer Cousine Polly gebracht, die ebenfalls in dieser Gegend wohnt. Jasmin hoffte dennoch, dass sie einen gemeinsamen, ruhigen, aufregungsfreien und kuscheligen Abend verbringen könnten.
Phil fällt erst jetzt auf, dass Yvette offenbar bei Polly ist, aber dies ist durchaus auch in seinem Sinn, denn in der letzten Zeit hatten sie wenig Zeit füreinander.
„Glaubst du, hören wir nochmals von Jimmy?“ möchte er von Jasmin wissen. „Dass wir noch von seinen Taten hören werden? Bestimmt, aber ob er sich nochmals an uns wendet ist doch sehr fraglich.“
Jasmin kredenzt ihm seine Lieblingsnachspeise. Während er danach greift, zieht sie die Nachspeise wieder weg und meint: „Erst nach dem Irish Stew!“
Phil muss lachen und dann macht er sich doch über das Stew her. Es schmeckt wie immer phantastisch und dies sagt er ihr auch. Nach dem Dessert gibt es einen Liebesfilm im Fernsehen, den die beiden kuschelnd genießen. Die Handlung des Films ist aber nicht der Hauptakteur des heutigen Abends. Die beiden lassen sich weder durch die Dialoge, noch durch das aufdringliche Läuten an der Wohnungstür stören. Sie beschließen in dem Moment einfach, nicht da zu sein.
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