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Es war halb sieben, an einem Freitagabend im Januar. Lincoln International Airport, Illinois, war offen, wenn auch unter Schwierigkeiten.
Der Flughafen ächzte — wie der gesamte mittlere Westen der Vereinigten Staaten — unter dem schlimmsten, heftigsten Schneesturm seit einem halben Dutzend Jahren. Der Sturm hatte drei Tage gedauert. Jetzt brachen ständig, wie Schwären an einem mitgenommenen, geschwächten Körper, Gefahrenpunkte auf.
Ein Verpflegungswagen der United Air Lines mit zweihundert Abendessen war verlorengegangen und stak vermutlich irgendwo im Außenbezirk des Flughafens im Schnee. Die Suche nach dem Lastwagen — in Schneetreiben und Dunkelheit — war bisher ergebnislos geblieben. Weder das vermißte Fahrzeug noch sein Fahrer waren aufzufinden.
Flug 111 der United — eine DC-8 nach Los Angeles, ohne Zwischenlandung, den der Verpflegungswagen versorgen sollte — hatte bereits mehrere Stunden Verspätung. Die Panne mit dem Cateringwagen würde sie noch vergrößern. Ähnliche Verzögerungen betrafen aus den verschiedensten Gründen mindestens hundert Flüge der zwanzig anderen Fluggesellschaften, die Lincoln International anflogen.
Draußen auf dem Flugfeld war die Startbahn Drei-Null außer Betrieb, sie wurde von einer Düsenmaschine der Aereo Mexican — einer Boeing 707 — blockiert, deren Räder tief in den wasserdurch-tränkten Boden unter dem Schnee neben der Rollbahn eingesunken waren. Nachdem Aereo Mexican die eigenen Hilfsmittel erschöpft hatte, wandte sie sich jetzt an TWA um Hilfe.
Durch den Ausfall der Startbahn Drei-Null behindert, hatte die Flugsicherung Maßnahmen ergriffen, um die Zahl der Anflüge aus den benachbarten Luftfahrtzentren Minneapolis, Cleveland, Kansas City, Indianapolis und Denver einzuschränken. Trotzdem zogen zwanzig Maschinen Warteschleifen in der Luft, und einige näherten sich bereits dem Mindesttreibstoffbestand. Auf dem Boden machte sich die doppelte Anzahl startbereit Doch bis die Zahl der in der Luft wartenden Maschinen verringert werden konnte, hatte die Flugsicherung weitere Verzögerungen für den abgehenden Verkehr angeordnet. Inzwischen füllten sich die Rampe, die Taxiwege und die Wartepositionen immer mehr mit Maschinen, viele mit laufen- den Motoren.
Die Luftfrachtlagerhallen aller Fluglinien waren bis an die Grenze ihrer Verladepaletten mit Waren vollgestopft. Ihre übliche große Umschlaggeschwindigkeit wurde durch das Unwetter beeinträchtigt. Frachtinspektoren kontrollierten nervös leichtverderbliche Güter — Treibhausblumen aus Wyoming für Neu-England, eine Tonne Käse aus Pennsylvania für Anchorage in Alaska, gefrorene Erbsen für Island, lebende Hummern aus dem Osten für einen Flug über die Polarroute mit Bestimmungsziel Europa. Die Hummern waren für die Speisekarten in Edinburgh und Paris bestimmt, wo man sie als »frische einheimische Meeresfrüchte« anbieten und wo nichtsahnende amerikanische Touristen sie bestellen würden. Sturm oder nicht, Verträge schrieben vor, daß leichtverderbliche Luftfracht frisch und schnell am Bestimmungsort einzutreffen hatte.
Besondere Sorge verursachte bei American Airlines eine Lieferung von mehreren tausend Truthahnküken, die erst vor Stunden in Brutofen ausgeschlüpft waren. Der genaue Fahrplan für Schlüpfen und Versand war — wie ein komplexer Schlachtplan — vor, Wochen ausgearbeitet worden, noch ehe die Truthahneier gelegt waren. Er sah die Anlieferung der lebenden Vögel an der Westküste innerhalb von achtundvierzig Stunden nach dem Ausschlüpfen vor, die Existenzgrenze für die winzigen Geschöpfe, ehe sie das erste Wasser oder Nahrung erhielten. Normalerweise boten die Vorkehrungen eine Überlebenschance der Tiere von hundert Prozent. Beachten mußte man auch, daß die Vögel zu stinken anfingen, wenn man sie unterwegs fütterte und ebenso, noch Tage danach, das Flugzeug, das sie transportierte. Der Flugplan für das Geflügel war schon um Stunden aus den Fugen geraten, aber eine Maschine war bereits vom Personenverkehr auf den Frachttransport umgebucht worden, und heute abend würden die frischgebrüteten Truthühner Priorität vor allen anderen Personen, einschließlich menschlicher VIPs haben.
In der Haupthalle für Passagiere herrschte Chaos. Die Warteräume waren von Tausenden von Passagieren verspäteter oder gestrichener Flüge überfüllt. Überall lag Gepäck in Stapeln. Der breite Hauptzugang bot den Anblick einer Fußballschlacht oder des Weihnachtsverkaufs in einem Warenhaus. Der unbescheidene Werbespruch Lincoln International — Luftkreuz der Welt hoch oben auf dem Dach des Flughafengebäudes war im Schneetreiben völlig untergegangen.
Das Wunder war, überlegte Mel Bakersfeld, daß überhaupt noch etwas weiterfunktionierte.
Mel, der Generaldirektor des Flughafens — hager, gelenkig und eine Kraftstation beherrschter Energie —, stand neben dem Schnee-kontrollstand hoch oben im Kontrollturm. Er spähte in die Dunkelheit hinaus. Normalerweise war von diesem verglasten Raum aus der gesamte Komplex des Flughafens sichtbar — Rollbahnen, Taxistreifen, Endpositionen, der Verkehr auf dem Boden und in der Luft, wie ordentlich aufgestellte Häuserblöcke und Modelle. Selbst nachts wurden seine Formen und Bewegungen durch Lichter klar bestimmt. Nur noch eine höhere Aussicht existierte — die von der Flugsicherung, die das Stockwerk darüber einnahm. Doch heute nacht durchdrang nur der schwache Schimmer weniger naher Lichter den fast undurchsichtigen Vorhang des vom Wind getriebenen Schnees. Mel vermutete, daß dieser Winter noch für Jahre ein Diskussionsthema auf Meteorologentagungen sein würde.
Der gegenwärtige Schneesturm war vor fünf Tagen an der Leeseite der Colorado Mountains geboren worden. Bei seiner Geburt war es ein winziges Tiefdruckgebiet, nicht größer als eine Ansiedlung am Fuß der Berge, und die meisten Wettervoraussagen auf den Wetterkarten der Flugstrecken hatten es entweder nicht bemerkt oder ignoriert. Fast wie aus Rache hatte sich das Tiefdruckgebiet daraufhin ausgedehnt wie ein riesiger Krankheitsherd und war immer noch wachsend erst nach Südosten und dann nach Norden gewandert.
Es überquerte Kansas und Oklahoma, verharrte dann in Arkansas und sammelte dort ein Sortiment von Bosheiten. Am nächsten Tag polterte es fett und ungeheuerlich das Mississippi-Tal hinauf.
Über Illinois entlud sich der Sturm dann und lahmte den Staat fast mit Schneestürmen, Temperaturen unter dem Gefrierpunkt und fünfundzwanzig Zentimeter Neuschnee innerhalb von vierundzwanzig Stunden.
Auf dem Flughafen war diesen fünfundzwanzig Zentimetern Schnee ein ständiger, wenn auch leichter Niederschlag vorausgegangen. Jetzt folgte ihm mehr Schnee, von bösartigen Winden gepeitscht, die neue Verwehungen anhäuften — noch während die Schneepflüge die alten forträumten. Die Gruppen der Schneeräumer näherten sich der Grenze der Erschöpfung. Innerhalb der letzten paar Stunden waren verschiedene Leute nach Hause geschickt worden, übermüdet trotz der Pausen in den Schlafquartieren, die der Flughafen gerade für Notfälle dieser Art bereithielt.
Am Schneekontrollpult neben Mel sprach jetzt Danny Farrow — sonst ein Stellvertreter des Flughafendirektors, jetzt Schichtinspektor der Schneeräumung — über Sprechfunk mit der Schneeräum-zentrale.
»Die Parkplätze gehen uns verloren. Ich brauche sechs weitere Lastwagen und eine Banjomannschaft bei Y-74.«
Danny saß an dem Schneepult, das eigentlich kein Pult, sondern eine breite dreiteilige Konsole war. Vor Danny und seinen beiden Assistenten, einer auf jeder Seite, stand eine Batterie von Telefonen, Fernschreibern und Funkgeräten. Sie waren von Karten, grafischen Darstellungen und Tabellen umgeben, die den Zustand und den Standort jedes einzelnen Fahrzeugs des motorisierten Schneeräumungskommandos verzeichneten, wie auch der Männer und des Überwachungspersonals. Für die Banjogruppe, mit Schneeschaufeln ausgerüstete Einsatztrupps, war eine besondere Tafel vorhanden. Das Schneekontrollpult wurde nur für seine einmalige, jahreszeitlich bedingte Aufgabe besetzt. Während der anderen Jahreszeiten blieb der Raum leer und stumm.
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