Arthur Hailey - Letzte Diagnose

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Ein alternder Pathologe stellt immer häufiger falsche Diagnosen und weigert sich dennoch sich auf den Altenteil zurückzuziehen. Sein Gegenspieler ist ein junger, dynamischer Chirurg, der natürlich am Ende die Oberhand behält.

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I

Am späten Vormittag eines drückend heißen Sommertages verebbte das Leben im Three Counties Hospital und verlief sich wie das Meer bei Niedrigwasser um eine vorgelagerte Insel. Außerhalb des Krankenhauses schwitzten die Einwohner von Burlington, Pennsylvania, bei einer Temperatur von dreiunddreißig Grad im Schatten und achtundsiebzig Prozent Luftfeuchtigkeit. Unten bei den Stahlwerken und beim Güterbahnhof, wo es kaum Schatten und keine Thermometer gab, wären die Ablesungen - falls sich jemand die Mühe gemacht hätte - noch höher gewesen. In dem Krankenhaus war es kühler als draußen, wenn auch nicht sehr viel. Von den Patienten und dem Stab entgingen nur die Glücklichen oder die Einflußreichen in den Räumen mit Klimaanlagen der schlimmsten Hitze.

Die Aufnahmeabteilung im Erdgeschoß besaß keine Klimaanlage, und Madge Reynolds griff nach dem fünfzehnten Papiertaschentuch an diesem Morgen in ihren Schreibtisch, tupfte ihr Gesicht ab und entschied, daß es wieder Zeit sei, ihren Platz kurz zu verlassen, um sich durch ein desodorierendes Mittel zu erfrischen. Miss Reynolds war Leiterin der Aufnahme. Sie war achtunddreißig Jahre alt, und sie verfolgte aufmerksam die Anzeigen für Mittel zur Förderung der weiblichen Hygiene. Infolgedessen hatte sie einen Horror davor, nicht vollkommen gepflegt zu sein, und bei heißem Wetter unterhielt sie einen Pendelverkehr zwischen ihrem Schreibtisch und der Damentoilette am anderen Ende des Ganges. Zuerst allerdings, entschied sie, mußte sie vier Patienten benachrichtigen, die heute noch aufgenommen werden konnten.

Vor ein paar Minuten hatte sie von den Krankenstationen die Entlassungsscheine für diesen Tag erhalten. Daraus hatte Miss Reynolds ersehen, daß heute sechsundzwanzig Patienten nach Hause geschickt wurden, statt der vierundzwanzig, mit denen sie gerechnet hatte. Zusätzlich der beiden Todesfälle, die während der Nacht eingetreten waren, ergab sich daraus, daß sie aus der langen Warteliste des Krankenhauses vier weitere Namen zur sofortigen Aufnahme heraussuchen konnte. Irgendwo in vier Wohnungen in und um Burlington würde dann ein Quartett von Patienten, die entweder hoffnungsvoll oder furchtsam auf die Benachrichtigung warteten, einpacken, was ihnen unentbehrlich erschien, und sich der Medizin anvertrauen, wie sie im Three Counties Hospital praktiziert wurde. Mit ihrem sechzehnten Papiertaschentuch in der Hand schlug Miss Reynolds jetzt einen Aktendeckel auf, griff nach dem Telefon auf ihrem Schreibtisch und begann zu wählen.

Vom Glück begünstigter als die Angestellten in der Anmeldung waren bei der Hitze jene, die in den ambulanten Kliniken auf Behandlung warteten. Dort, im entgegengesetzten Flügel im Erdgeschoß, herrschte jetzt voller Betrieb. Die Patienten dort kamen wenigstens in den Genuß der Klimaanlagen, wenn sie an der Reihe waren, eines der sechs Sprechzimmer zu betreten, die an den allgemeinen Warteraum grenzten. In den Sprechzimmern standen sechs Fachärzte mit ihren besonderen Fähigkeiten jedem frei zur Verfügung, der sich die Honorare nicht leisten konnte, die diese Spezialisten von den Patienten in ihrer Privatpraxis im Medical Arts Building in der Stadt verlangten.

Der alte Rudy Hermant, der nur noch gelegentlich als Hilfsarbeiter arbeitete, wenn seine Familie ihn dazu zwang, lehnte sich in der komfortablen Kühle gelassen zurück, während Dr. McEwan, der Hals-, Nasen- und Ohrenspezialist, nach der Ursache für Rudys steigende Taubheit forschte. Im Grunde störte die Taubheit Rudy nicht sehr. Manchmal, wenn Vorarbeiter verlangten, daß er etwas anderes tun oder schneller arbeiten solle, fand er sie vorteilhaft. Aber Rudys ältester Sohn hatte entschieden, der alte Mann solle sich die Ohren untersuchen lassen, und folglich war er hier.

Dr. McEwan knurrte gereizt, als er das Otoskop aus dem Ohr des alten Rudy zurückzog. »Es wäre leichter für mich, wenn Sie sich den Dreck vorher herausgewaschen hätten«, bemerkte er bissig.

Diese Übellaunigkeit war für McEwan ungewöhnlich. Allerdings hatte seine Frau an diesem Morgen beim Frühstück eine Auseinandersetzung über die Haushaltskosten fortgesetzt, die sie am vorhergehenden Abend begonnen hatte, und dadurch war er so verärgert, daß er seinen neuen Oldsmobile ohne die nötige Vorsicht rückwärts aus der Garage fuhr und dabei den rechten hinteren Kotflügel verschrammte.

Rudy sah verständnislos zu ihm auf. »Was meinen Sie?« fragte er.

»Ich sagte, es wäre leichter... Ach, lassen Sie!« McEwan überlegte, ob das Leiden des alten Mannes eine Alterserscheinung oder ob es auf einen kleinen Tumor zurückzuführen sei. Es war ein interessanter Fall, und sein berufliches Interesse verdrängte bereits seine Gereiztheit.

»Ich habe nicht verstanden«, sagte der alte Mann wieder.

McEwan hob seine Stimme. »Es hat nichts zu bedeuten, lassen Sie nur.« In diesem Moment war er über die Taubheit des alten Rudy froh und schämte sich etwas über seinen eigenen Temperamentsausbruch.

In der Klinik für innere Medizin entzündete der wohlbeleibte Dr. Toynbee, ein Internist, eine neue Zigarette am Stummel der alten und sah den Patienten auf der anderen Seite seines Schreibtisches an. Während er den Fall überdachte, verspürte er ein leichtes Brennen im Magen und entschied, daß er für ein oder zwei Wochen auf chinesische Küche verzichten müsse. Doch das war in Anbetracht der zwei Diners, die ihm in dieser Woche noch bevorstanden, und des Gourmetclubs am nächsten Dienstag nicht allzu schwer zu ertragen. Während er seine Diagnose festlegte, sah er seinen Patienten an und sagte: »Sie sind zu dick, mein Lieber. Ich werde Ihnen eine Diät verordnen, und Sie müssen auch das Rauchen aufgeben.«

Etwa hundert Meter von dem Ort entfernt, wo die Spezialisten Hof hielten, eilte Miss Mildred, die Leiterin des Archivs im Three Counties Hospital, schweißüberströmt durch einen der belebten Gänge im Erdgeschoß. Doch Hitze und Unbehagen konnten sie nicht zurückhalten, und sie verfolgte ihr Wild, das sie gerade um die nächste Ecke verschwinden sah, noch schneller.

»Dr. Pearson! Dr. Pearson!«

Erst ab sie ihn einholte, blieb der alte Pathologe des Krankenhauses stehen. Er schob die große Zigarre, die er rauchte, in einen Mundwinkel und fragte gereizt: »Was gibt es? Was wollen Sie denn?«

Die kleine Miss Mildred, zweiundfünfzig, altjüngferlich und selbst mit ihren höchsten Absätzen gerade nur ein Meter fünfzig, zitterte vor Dr. Pearsons Stirnrunzeln, aber Akten, Formulare, Krankengeschichten waren ihr Lebensinhalt, und sie faßte Mut. »Diese Obduktionsbefunde müssen unterschrieben werden, Dr. Pearson. Das Gesundheitsamt hat Abschriften angefordert.«

»Ein andermal. Ich bin in Eile.« Joe Pearson war in denkbar ungnädiger Laune.

Miss Mildred ließ sich nicht einschüchtern. »Bitte, Doktor. Es dauert doch nur einen Augenblick. Seit drei Tagen versuche ich, Sie zu erreichen.«

Unwillig knurrend gab Pearson nach. Er nahm den Kugelschreiber und die Formulare, die Miss Mildred ihm reichte, trat an einen Schreibtisch und kritzelte brummend Unterschriften. »Ich weiß gar nicht, was ich hier unterschreibe.

Was ist denn das?«

»Der Fall Howden, Dr. Pearson.«

Pearson war immer noch ungehalten. »Howden! Howden! Ich kann doch nicht jeden Fall im Kopf haben.«

Geduldig erklärte Miss Mildred: »Das war der Arbeiter, der an den Folgen eines Sturzes von einem hohen Laufsteg starb. Sie erinnern sich bestimmt noch. Seine Firma behauptet, der Unfall sei durch einen Herzanfall verursacht worden, denn andernfalls hätten ihre Sicherheitsvorrichtungen den Sturz verhindert.«

Pearson grunzte: »Ah ja.« Während er weiter unterschrieb, fuhr Miss Mildred mit ihrer Zusammenfassung fort; denn wenn sie etwas anfing, führte sie es auch richtig und ordnungsgemäß zu Ende. »Die Obduktion ergab jedoch, daß der Mann ein gesundes Herz hatte und auch keine anderen Symptome aufwies, die einen Unfall veranlaßt haben könnten.«

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