Buch
Detective Malcolm Ainslie von der Mordkommission Miami ist auf dem Weg in den Urlaub, als das Telefon klingelt: Der Pfarrer des Staatsgefängnisses von Florida teilt ihm mit, daß der Mörder Elroy Doil ihn vor seiner Hinrichtung im kommenden Morgengrauen unbedingt sprechen will. Er will »beichten«.
Vor vielen Jahren hat der Ex-Priester Ainslie dafür gesorgt, daß dieser Psychopath mit religiösen Wahnvorstellungen hinter Schloß und Riegel kam. Widerwillig macht er sich daher auf den Weg. Als er dem völlig veränderten Doil eine halbe Stunde vor der Hinrichtung gegenübersteht, ziehen an seinem inneren Auge jene unauslöschlichen Bilder von den Opfern Doils vorüber: sechs alte Ehepaare, grausam getötet. Nun gesteht Doil noch zwei weitere Taten, doch den prominentesten Fall, den Mord an City-Commissioner Gustav Ernst und seiner Frau, bestreitet er vehement. Inbrünstig bittet er Ainslie, ihn von dieser Schuld freizusprechen.
Dieses Flehen im Anblick des nahen Endes läßt Ainslie keine Ruhe. Nach der Hinrichtung, bei der er seine ehemalige Geliebte Cynthia Ernst trifft, nimmt er schließlich auf eigene Faust die Ermittlung wieder auf - und stößt prompt auf einige Ungereimtheiten: Doil hatte stets Zeichen am Tatort hinterlassen, die sich auf die »Offenbarung« in der Bibel bezogen. So wurde am Tatort Ernst ein totes Kaninchen gefunden, doch in der Bibel tauchen keine Kaninchen auf. Ainslies Spürnase bringt ihn auf eine heiße Spur. Und er muß sich die Frage stellen, welche zwielichtige Rolle eigentlich Cynthia Ernst, die Tochter der Mordopfer, spielt...
Autor
Arthur Hailey ist einer der erfolgreichsten Spannungsautoren aller Zeiten. Seine legendären Romane »Airport« und »Hotel« erreichten Auflagen in Millionenhöhe und wurden weltweit in dreißig Ländern verlegt. Im C. Bertelsmann Verlag erschien zuletzt sein Bestseller »Reporter«. Der Autor, 1920 in England geboren, lebt heute auf den Bahamas.
Zum Gedenken an
STEPHEN L. (STEVE) V1NSON, ehemals Detective-Sergeant (Mordkommission), Miami Police Department, Berater und guter Freund, der kurz vor Vollendung dieses Buchs mit zweiundfünfzig Jahren gestorben ist.
Das Leben gleicht dem Gastmahl des Damokles, das Schwert hängt stets über uns.
VOLTAIRE
1
Am 27. Januar um 22.35 Uhr war Malcolm Ainslie schon auf halbem Weg zur äußeren Tür des Morddezernats, als hinter ihm ein Telefon klingelte. Er blieb automatisch stehen und sah sich um. Später wünschte er sich, er hätte es nicht getan.
Detective Jorge Rodriguez trat rasch an einen unbesetzten Schreibtisch, nahm den Hörer ab, meldete sich, hörte kurz zu und rief: »Für Sie, Sergeant!«
Ainslie ging an seinen Schreibtisch zurück, um diesen Anruf entgegenzunehmen. Seine Bewegungen waren ruhig und flüssig. Mit einundvierzig war Detective-Sergeant Ainslie muskulös, etwas über einsachtzig groß und sah nicht viel anders aus als in der High-School, wo er Fullback in der Footballmannschaft gewesen war. Nur ein leichter Bauchansatz zeugte von häufigen Mahlzeiten in Schnellrestaurants: die Standardverpflegung für viele Kriminalbeamte, die praktisch im Gehen essen mußten.
Heute abend war es in den Büros der Mordkommission im vierten Stock des Hauptgebäudes des Miami Police Departments ruhig. Insgesamt arbeiteten hier sieben Ermittlerteams mit jeweils einem Sergeant als Leiter und drei Detectives. Aber alle Mitglieder des Teams, das diese Nacht Dienst hatte, waren unterwegs, um wegen der drei Morde zu ermitteln, die in den letzten Stunden gemeldet worden waren.
Offiziell dauerte eine Schicht in der Mordkommission zehn Stunden; in der Praxis war sie wegen laufender Ermittlungen oft länger. Auch Malcolm Ainslie und Jorge Rodriguez, die eigentlich seit Stunden dienstfrei hatten, waren bis vor wenigen Augenblicken noch beschäftigt gewesen.
Ainslie vermutete, daß seine Frau Karen am Telefon war. Sie würde wissen wollen, wann er heimkam, damit ihr lange geplanter Urlaub endlich beginnen konnte. Nun, ausnahmsweise würde er antworten können, er sei mit der Arbeit fertig, habe alles erledigt und sei nach Hause unterwegs. Morgen früh würden Karen, Jason und er mit der ersten Maschine der Air Canada von Miami nach Toronto fliegen.
Ainslie fühlte sich urlaubsreif. Obwohl er körperlich fit war, fehlte ihm die unerschöpfliche Energie, die er besessen hatte, als er vor einem Jahrzehnt zur Polizei gegangen war. Gestern war ihm beim Rasieren aufgefallen, daß sein schütteres braunes Haar rasch grauer wurde. Auch ein paar neue Falten hatte er entdeckt; daran war bestimmt sein dienstlicher Streß schuld. Und sein Blick - wachsam und forschend - verriet Skepsis und Desillusionierung, nachdem er über Jahre hinweg die Abgründe der Condition humaine studiert hatte.
In diesem Augenblick war Karen hinter ihm aufgetaucht, hatte wie so oft seine Gedanken erraten, war ihm mit fünf Fingern durchs Haar gefahren und hatte ihm versichert: »Mir gefällt noch immer, was ich sehe.«
Er hatte Karen an sich gezogen und umarmt. Sie reichte ihm nur bis zu den Schultern, und er genoß den Duft ihres seidigweichen kastanienbraunen Haars, während dieser Körperkontakt sie beide noch immer erregte. Er legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht hoch, um sie zu küssen.
»Ich bin eine Kleinpackung«, hatte Karen ihm bald nach ihrer Verlobung erklärt. »Aber sie enthält viel Liebe - und alles andere, was du brauchen wirst.« Und so war es gewesen.
Ainslie lächelte, weil er Karens Stimme zu hören erwartete, und nickte Jorge zu, er könne das Gespräch durchstellen.
Eine tiefe, volltönende Stimme verkündete: »Hier ist Pater Ray Uxbridge. Ich bin der Anstaltsgeistliche im Florida State Prison.«
»Ja, ich weiß.« Ainslie war Uxbridge mehrmals begegnet und mochte ihn nicht. Trotzdem fragte er höflich: »Was kann ich für Sie tun, Pater?«
»Einer unserer Häftlinge soll morgen früh um sieben hingerichtet werden. Sein Name ist Elroy Doil. Er behauptet, Sie zu kennen.«
»Natürlich kennt er mich«, bestätigte Ainslie knapp. »Ich habe mitgeholfen, Animal nach Raiford zu bringen.«
Die Telefonstimme klang steifer. »Der Häftling, von dem wir sprechen, ist ein menschliches Wesen, Sergeant. Ich ziehe es vor, diesen Namen nicht zu verwenden.«
Diese Reaktion erinnerte Ainslie daran, warum er Uxbridge nicht mochte. Der Mann war ein wichtigtuerischer Esel.
»Jeder nennt ihn Animal«, antwortete Ainslie. »Er verwendet diesen Namen sogar selbst. Außerdem haben seine scheußlichen Morde bewiesen, daß er schlimmer als ein Tier ist.«
Tatsächlich hatte Dr. Sandra Sanchez, eine Gerichtsmedizinerin aus Dade County, beim Anblick der beiden ersten verstümmelten Mordopfer Elroy Doils ausgerufen: »Barmherziger Gott! Ich habe schon schreckliche Dinge gesehen, aber hier ist eine Bestie, ein menschliches Tier am Werk gewesen!«
Ihr Ausruf war oft wiederholt worden.
Am Telefon sprach Uxbridge weiter. »Mr. Doil hat mich gebeten, Ihnen mitzuteilen, daß er Sie sprechen möchte, bevor er stirbt.« Eine Pause, in der Ainslie sich vorstellte, wie der Geistliche auf die Uhr sah. »Das ist in etwas über acht Stunden.«
»Hat Doil gesagt, warum er mich sprechen will?«
»Er ist sich bewußt, daß Sie mehr als jeder andere zu seiner Verhaftung und Verurteilung beigetragen haben.«
»Was heißt das?« fragte Ainslie ungeduldig. »Will er mich anspucken, bevor er stirbt?«
Ein kurzes Zögern. »Der Häftling und ich haben miteinander diskutiert. Aber ich erinnere Sie daran, daß alles, was zwischen einem Geistlichen und einem zum Tode Verurteilten gesprochen wird, dem Beichtgeheimnis unterliegt und...«
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