Währenddessen ist der Satellit nicht mehr über diesem potentiellen Tatort, wodurch man auch das Geschehen nicht mehr direkt beobachten kann. Jetzt bleiben nur mehr die Beobachter vor Ort. Sie wurden angewiesen, sich sofort über Funk zu melden, wenn sich etwas anbahnt.
Die Zeit läuft ab und kein einziger Passant hat sich an das Gebäude der deutschen Bank angenähert. Ein Mann verlässt die Bank, aber er geht vom Gebäude weg; er scheint zum Essen zu gehen. Es ist jetzt 12 Uhr 50 und nichts hat sich getan!
Es konnte natürlich sein, dass der Täter die Bank aus größerer Entfernung mit einem Fernglas beobachtet hat. Als dann niemand aus der Bank kam, um das Geld zu übergeben, hat der Erpresser seine eigenen Schlüsse daraus gezogen. Oder aber die Beamten vor Ort waren zu auffällig und hatten den Täter verscheucht.
Densham macht über seinen Computer einen Statuscheck für das Flugzeug und er erhält folgende Info auf den Bildschirm:
„ Sorry. We are unable to determine the current location of this flight. It may be that the flight is temporarily beyond the range of our tracking network or over a large body of water .”
Es gibt also kein Signal von der Maschine. Dass die Maschine über dem Meer sein kann, hätte er auch so gewusst. Hoffentlich ist sie noch über dem Meer und nicht bereits im Meer!
Wenn alles nach Plan geht, dann müssten sie bald in der Gegend von Vannes sein, also vor dem kleinen Zipfel Frankreichs, der auf der Flugroute liegt.
Dienstag, 17. September 2013 – 13:15
An Bord des Fluges 8894 - kurz vor St. Malo
Kapitän Harper hat etwas Rückenwind und dies ist durchaus in seinem Sinn, denn er hat bisher noch keinerlei Entwarnung erhalten. Harper denkt kurz an den Iren, der auf C1 sitzt. Er sitzt in der ersten Reihe und dazu noch auf der Gangseite, also praktisch hinter der Tür des Cockpits.
Der Mann mit den Narben macht ihm weniger Sorgen, denn dieser sitzt in Reihe 14 und vor allem am Fensterplatz. Erfahrungsgemäß sitzen Attentäter nicht beim Fenster, sondern direkt am Mittelgang, um schneller eingreifen zu können.
Andererseits sind sie nur mehr eine Stunde von London-Gatwick entfernt, während sie schon mehr als zwei Stunden ohne Probleme unterwegs waren. Es wird wahrscheinlich doch nur ein dummer Scherz gewesen sein.
36 Minuten später sind sie bereits über London und ändern ihren Kurs auf 163° Süd, jetzt sind es nur mehr 20 Minuten bis zur Landung. Kapitän Harper entspannt sich langsam und freut sich auf den Abend.
Seine jüngere Schwester hat ihn und seine Frau zu einer kleinen Feier eingeladen, weil sie ihr Studium erfolgreich beendet hat. Auf diese Fete freut er sich schon seit langem, denn die Schwester hat im letzten Abschnitt ganz schön gebummelt. Sie war sogar einmal knapp dran, alles hinzuschmeißen, nur weil ihr das Glück irgendwie abhandenkam. Er hat ihr dann ziemlich die Leviten gelesen, weil…
Der Höhen- und Geschwindigkeitsmesser
„Was ist das?“ schreit Harper. „Der Höhen und der Geschwindigkeitsmesser – sie flackern – und gehen aus!“
„Bei mir auch“ – ergänzt der First Officer. Harper knallt seine Faust auf die Instrumententafel, aber dies ändert leider nichts. Mitten im Sinkflug sind dies wohl zwei der dümmsten Defekte, die auftreten können. 143 Passagiere sind an Bord und dazu die Crew, das ist ein echter Alptraum.
Die letzten acht Minuten dieses Fluges lassen auch keine Alternative zur Landung zu. Der Treibstoff ist weitgehend verbraucht, die Reserven sind kalkuliertermaßen gering und auch die Flughöhe ist bereits deutlich reduziert. Selbst wenn man durchstarten würde, stünde man in ein paar Minuten vor demselben Problem. Vor allem weiß man nicht, was noch alles ausfällt. Die nächsten beiden Sätze die ihm entgleiten, sind nicht ganz jugendfrei.
Plötzlich ist die angekündigte Drohung wieder sehr präsent, obwohl Harper schon fast sicher war, dass dies nicht erst gemeint sein konnte. Offenbar doch!
Es folgt die Info an die Chefflugbegleiterin, die Info an die Passagiere über die zu erwartende Landung, die Info an den Tower und eine sehr angespannte Betriebsamkeit im Cockpit.
Nach einer extrem harten Landung um 14 Uhr 14 bringt Harper die Maschine zum Stillstand. Das Flugzeug wird evakuiert und Harper ist froh, dass er so routiniert reagiert hat.
Natürlich ist die Aufregung unter den Passagieren sehr groß, auch wenn sich niemand ernsthaft verletzt hat, von kleineren Blessuren einmal abgesehen. Der Ärger wird allerdings noch größer, weil alle Passagiere wegen der versuchten Erpressung zur polizeilichen Einvernahme müssen. Es dauert Stunden und bringt keinerlei neue Erkenntnisse. So wie es aussieht, ist der Attentäter nicht an Bord gewesen.
Die Techniker signalisieren ein paar Stunden später, dass der Ausfall der Instrumente kein normaler technischer Defekt war, sondern wahrscheinlich Sabotage. Auch der Schaden an der Maschine ist durch die harte Landung ziemlich hoch, jedenfalls ein Vielfaches der geforderten Summe.
So sehr sich alle Beteiligten über diesen sanften Ausgang der Situation freuen, so steckt ihnen doch der Schreck in den Gliedern. Fliegen steht für die nächste Zeit nicht auf ihrem Programm, umso mehr die Passagiere den Vorfall für einen technischen Defekt halten müssen. Natürlich werden sie über keine Hintergründe informiert, auch wenn sie die Vernehmung nicht bloß für Routine gehalten haben.
Die Polizei ist in dieser Phase sehr darum bemüht, keinerlei Details durchblicken zu lassen, um den oder die Täter nicht vorzuwarnen. Abgesehen davon werden in der nächsten Zeit mehrere der Flugpassagiere observiert, um der Wahrheit auf die Schliche zu kommen.
Der gereizte Passagier von F14, mit den Narben im Gesicht hatte jedenfalls eine gute Erklärung zu bieten. Er war vor zehn Wochen nach Marrakech gekommen um dort einen 3-wöchigen Urlaub zu verbringen.
Am zweiten Tag seines Aufenthalts war er als Fahrgast eines Taxis in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt, der viele Verletzungen und damit auch die Narben im Gesicht nach sich zog. Das Spital entsprach ohnehin keinen europäischen Standards, brachte aber auch mit sich, dass er materiell ziemlich ausgenommen wurde. Man erklärte ihm immer wieder, was man medizinisch nur gegen Kreditkartenzahlungen für ihn tun konnte. Dabei konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sein Aufenthalt künstlich hinausgezögert wurde.
Als es ihm zu dumm wurde, schlich er sich heimlich davon, denn er wollte nicht weiter wie eine Weihnachtsgans ausgenommen werden. Anderseits wusste er jetzt aber auch nicht, ob vielleicht die Polizei hinter ihm her war. Vielleicht würde die Polizei mit den Leuten von der Klinik zusammenarbeiten. Also musste er sich mehrere Tage verstecken, bis er einen Rückflug buchen und erreichen konnte. Auf diese Weise war er natürlich so gut wie nie an der Sonne. Daher auch seine blasse Farbe, trotz des langen Aufenthalts.
Somit waren seine Blässe und seine Narben geklärt. Unprofessionell wie die Behandlung war, wird er die Narben wohl durch sein weiteres Leben als Erinnerung mitnehmen. Seine Nervosität und Gereiztheit kamen von der Flucht vor den dortigen Behörden. Er fühlte sich erst wieder in London sicher. Eine kurze Recherche bei der Kreditkartengesellschaft bestätigte die Abbuchungen der Klinik, wodurch seine Aussagen schließlich auch bestätigt wurden.
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