»Meine Frau geht putzen!«, sagte Herbert baff. »Und wieso weiß ich davon nichts?«
»Wozu denn? Das geht dich überhaupt nichts an.« Margot hatte zum Zeichen ihrer Verstimmung die Arme vor der Brust gekreuzt.
»Und ob mich das was angeht«, pochte Herbert. »Ich bin immerhin noch dein Mann.«
»Dem ich dumme Gans, anstatt das sauer verdiente Geld für sich selbst zu behalten, einen neuen Mantel gekauft habe«, herrschte Margot ihn an. »Der alte ist doch nur noch ein Kartoffelsack. Frag mal Evi, was sie davon hält.«
»Ich will’s gar nicht wissen«, kam umgehend zurück.
»Du bist so was von undankbar«, erregte sich Margot von Neuem. »Undankbar und egoistisch. Aber so warst du ja schon immer.«
»Können wir dann weitermachen?«, fragte Lothar gedehnt.
»Lassen Sie sich von mir nicht aufhalten«, antwortete Margot, vom sinnlosen Hin und Her offenbar ebenso bedient, doch eine letzte Bemerkung, die sie mit einer wegwerfenden Handbewegung aufs Deutlichste unterstrich, wollte sie sich wohl nicht nehmen lassen. »Ich habe meinem Mann sowieso nichts mehr zu sagen!«
»Umso besser, denn so kann Beatrice uns endlich etwas über den Brief erzählen«, bedankte sich Lothar mit angezogenen Mundwinkeln.
»Richtig«, übernahm Doris. »Wenn nicht Ihre Schwägerin, wer sonst könnte ihn geschrieben haben? Vielleicht haben Sie einen Verdacht? Hatten Sie früher schon einmal ähnliche Briefe erhalten?«
»Sie reden immer von einem Brief. Dabei sind es doch nur zwei Sätze auf einem großen Blatt Papier. Ich habe das überhaupt nicht ernst genommen«, antwortete Beatrice.
»Ein Drohbrief! Mit einer Nagelschere an Ihre Haustür gespießt!«, ereiferte sich Lothar. »Und das haben Sie nicht ernst genommen?«
»Ich konnte mir ja denken, dass es sich mal wieder um eine Reaktion auf meine Bücher handelte, also das heißt, auf ein bestimmtes Buch. Aber das ist nichts Neues, glauben Sie mir.«
»Soll das heißen, dass so etwas schon einmal vorgekommen ist?«
»Zugegeben, diese Variante ist auch für mich neu. Ich meine, bisher hatten sich die Kritiker auf ganz normale Briefe und E-Mails beschränkt.«
»Dass der sogenannte Kritiker weiß, wo Sie wohnen, muss Ihnen doch zu denken gegeben haben.«
»Hm. Jetzt, wo Sie es sagen…«
»Was steht denn nun eigentlich in dem Brief?«, wollte Herbert endlich wissen. »Ich dachte, deswegen sind wir hier.«
»Außer mir und Beatrice kennt niemand den genauen Inhalt«, erwiderte Margot und machte ein bedeutsames Gesicht. »Ich finde, wir sollten zuerst fragen, ob sie es überhaupt erlaubt, dass wir ihn alle kennen.«
»Was ist das denn für eine blödsinnige Idee?«, rief Lothar mit Zeigefinger am Kopf. »Natürlich erlaubt sie es. Wenn Sie es schon wissen, dann werden wir es wohl erst recht erfahren dürfen.«
»Tun Sie sich keinen Zwang an«, sagte Beatrice und hob zum Zeichen ihrer Einwilligung lahm eine Hand.
Doris hielt Herbert eine neue Champagnerflasche hin. Er nahm sie und entfernte den Korken so geschickt, dass dabei nicht das leiseste Geräusch zu vernehmen war. Er schenkte ein und stellte die leere Flasche unter den Tisch. Dort stand eine neue, die er nahm und in den mit Eis und Wasser gefüllten Kühler setzte. Doris hatte sich neben den Bestatter gesetzt.
»Sie sehen wieder hinreißend aus, gnädige Frau. Die Anmut in Person«, flüsterte er.
»Sie sind ein schlechter Lügner«, entgegnete Doris scheinbar tadelnd. »Sehen Sie mal den altmodischen Rock, der stammt noch aus den Siebzigern.«
»Stimmt«, bemerkte Evi, die mit gespitzten Ohren das Gesäusel verfolgt hatte. »Sie sollten sich dringend mal beraten lassen. Das gilt auch für Sie, Beatrice.«
Margot hatte inzwischen den Brief aus ihrer Handtasche genommen und zog nun alle Blicke auf sich.
»Können wir dann?«
»Worauf warten Sie denn noch?«, gab Evi zurück, in deren rechten Mundwinkel eine fast abgebrannte Zigarette steckte, die bei jedem Wort auf und nieder hüpfte.
Margot machte noch einmal pff, dann begann sie: » An die Sündhafte! Der seidene Faden wird bald zerschnitten sein, und dann tauchst du hinein in die Kloake, kopfüber bis zum tiefen Grund. Doch gehst du fort von hier, wird dir vergeben. Ein Erlöser. «
Herbert reagierte als Erster: »Das klingt mir ganz nach Backhaus. Der will dich loswerden. Wundern tut mich das nicht.«
»Das ist nicht zum Lachen, Sie grober Kerl.« Evis Stimme, von Likör und Nikotin belegt, klang empört.
»Gib der Sündhaften noch ein Glas von der Brause«, schlug Herbert vor, »dann kann sie selbst drüber lachen.«
»Und Sie geben mir bitte den Brief.« Doris nahm ihn Margot aus der Hand und setzte ihre Lesebrille auf. »Ganz gewöhnliches Papier«, stellte sie fest, nachdem sie das Blatt von beiden Seiten betrachtet und ein wenig gewedelt hatte. Beim Lesen des Textes hingegen machte sie ein nachdenkliches Gesicht.
»Sündhafte, Erlöser«, wiederholte sie die religiös anmutenden Worte. »Das klingt wirklich ein wenig nach dem Pfarrer oder eher nach seiner Frau. Charlotte ist ganz außerordentlich gläubig.«
»Backhaus will die Schreiberin ins Jenseits befördern, wenn das keine Erlösung ist«, wieherte Herbert drauflos.
»Aber nur, wenn sie nicht verschwindet«, schränkte Margot ein.
»Das ist doch Unsinn«, schimpfte Lothar.
»Wieso Unsinn?« Evi schüttelte ihren Kopf. »Backhaus ist ein Erlöser, weil er in der Kirche Sünden vergibt. Zum Beispiel beim Abendmahl wie damals Jesus.«
»Genau«, stimmte Margot zu. Sie beugte sich hinüber zu Doris und tippte mit dem Zeigefinger auf das Papier. »Dort steht es schwarz auf weiß: Er vergibt ihr, wenn sie von hier fortgeht.«
»Doris, wollen Sie nicht endlich einschreiten?«, flehte Lothar mit erhobenen Händen. »Das ist ja kaum noch auszuhalten.«
»Haben Sie eine Idee, wer das geschrieben haben könnte?«, erfüllte die Vorsitzende Lothars dringenden Wunsch, wohl auch aus eigenem Interesse.
»Nicht die mindeste. Es könnte auf jedem x-beliebigen Computer geschrieben worden sein.«
»Sie sagten eben, es könne eine Reaktion auf ein ganz bestimmtes Buch sein. Welches meinten Sie?«
»Nun ja, ich nehme an »Am seidenen Faden« , meinen Bestseller, also keins von den neueren Büchern.«
»Worum geht es in dem Buch?«, wollte Evi wissen.
»Wenn’s geht, in einem Satz«, verlangte Herbert.
»Ich kenne es«, unterbrach Doris. »Es ist die Abrechnung mit einem Mann, der seinen Sohn entführte. Er unterhielt ein inzestuöses Verhältnis zu seiner bildschönen Schwester, das er aber löste, als er seine Frau kennenlernte. Die Schwester wollte das nicht hinnehmen und stellte sich zwischen ihren Bruder und die Schwägerin. Sie schaffte es, ihn immer wieder in ihr Bett zu ziehen, und erst nach drei Jahren erfuhr seine Frau davon. Als diese den Schlussstrich zog, hetzte die Schwester ihren Bruder auf, das Kind zu entführen, da der Mutter das alleinige Sorgerecht zugesprochen werden sollte. Er drang in die Wohnung seiner Frau ein und nahm es in seinem Wagen mit. Unterwegs baute er einen Unfall, der Wagen überschlug sich, wobei das Kind hinausgeschleudert wurde und in einem Wassergraben ertrank. Der Mann überlebte und kam ins Gefängnis. Kurze Zeit später beging er in seiner Zelle Selbstmord. Er tauchte seinen Kopf in die Toilette und sog mit einem einzigen Atemzug so viel Wasser in seine Lungen, dass er auf der Stelle tot war.«
»Und so was lesen die Leute?« Herbert verzog sein Gesicht. »Das können nur Verrückte sein.«
»Geht das überhaupt?« Margot rümpfte ihre Nase. »Ich meine, wie soll er mit dem Kopf denn bis… Ich mag gar nicht dran denken.«
»Fragen Sie die Autorin«, riet Doris. »Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie er das geschafft hat.«
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