»Aber ich soll doch verschwinden.«
»Das werden Sie schön bleiben lassen. Wir sind Ihre Freunde und werden Sie beschützen. Mit Zähnen und Klauen, wenn’s sein muss.«
Beatrice schien zu überlegen, dann sagte sie: »Eigentlich habe ich Verständnis für Charlotte. Es ist völlig in Ordnung, dass sie sich um Barbara sorgt. Jede Mutter, die ihr Kind liebt, sollte das tun. Ich habe mein Kind verloren, weil ich die Gefahr nicht erkannte und nicht genug aufgepasst habe. Umso mehr mag ich die Kleine, und manchmal wünschte ich, sie könnte ganz bei mir sein.«
»Das behalten Sie besser für sich, denn wenn Charlotte davon erführe, hinge vermutlich bald ein zweiter Drohbrief an Ihrer Tür.«
»Sie glauben auch, dass Charlotte dazu fähig wäre?«
»Immerhin hätte sie ein Motiv. Und Reinhold läge richtig: Sie befürchtet, dass Sie ihr unschuldiges Mädchen mit unanständigen Schriften verderben könnten.«
»Deswegen sollte sie mich ermorden wollen? Ich habe doch keine Werbung für Inzest gemacht. Zudem war ich selbst Opfer dieser Affäre. Das muss sie, falls sie das Buch gelesen hat, doch begriffen haben.«
»Woher sollte sie das denn gewusst haben? Sie haben die Namen verändert, nirgendwo im Buch taucht eine Beatrice Walther auf. Für Charlotte sind Sie nichts weiter als eine anstößige Person, die sich mit Themen beschäftigt, an die man ihrem Glauben nach noch nicht einmal denken darf. Aber vorerst ist es ja nur eine Warnung, allerdings eine sehr ernstzunehmende.«
»Dann sagen Sie mir doch, was ich tun soll, Doris.«
»Sie tun gar nichts. Oder doch: Lassen Sie sich von Ihrem Zahnarzt schleunigst einen Termin geben. Die Lücke sieht einfach scheußlich aus.«
Die Ohrfeige
Montag, 14. November 2011
»Sie benutzt tatsächlich Wäschestärke, und Herbert hatte recht. Sie behandelt damit hauptsächlich die Talare ihres Mannes und die Altartücher in der Kirche.«
Evi überschlug sich fast, als sie am Montagvormittag bei Doris anrief.
»Sehr gut, Evi. Dafür spendiere ich Ihnen eine Flasche Likör.«
»Einen Auftrag habe ich übrigens auch erhalten«, verriet sie kichernd. »Einen Mantel aus Angorawolle. Das wird nicht billig.«
»Herzlichen Glückwunsch! Wir sollten uns alle umgehend treffen. Am besten gleich heute Nachmittag.«
Um 15 Uhr hatte sich der Club abermals versammelt, diesmal ohne Reinhold.
»Das Geschäft geht vor, liebe Evi«, sagte er zu mir, »vor allem dann, wenn es sich um eine so aussichtslose Angelegenheit wie die einer gewissen Beatrice Walther handelt.« Sie hob ihre Hände, als wollte sie sich für Reinholds Worte entschuldigen, doch Beatrice winkte nur ab. »Reden Sie einfach weiter.«
»Er bat darum, dass wir ihn telefonisch auf dem Laufenden halten. Dann hat er noch betont, dass er bis zum Wochenende komplett ausgebucht sei.«
»Dieser Lackaffe«, sagte Herbert verächtlich und verschränkte seine Arme vor der Brust.
»Wollen wir dann zum Thema kommen oder weiter über Reinhold lästern?«, fragte Doris.
»Beachten Sie ihn am besten gar nicht«, empfahl Margot und sah ihren Mann strafend an.
»Also«, eröffnete Doris ihren Bericht. »Es geht um das Taschentuch. Ich fürchte, dass wir damit nichts anfangen können. Selbstverständlich muss es sorgfältig aufbewahrt werden. Wer weiß, ob wir es irgendwann nicht doch der Polizei übergeben müssen. Aber keine Sorge. Wir haben etwas viel Besseres. Evi, wenn Sie so freundlich wären.«
Die Schneiderin berichtete von der Wäschestärke, die sie im Pfarrhaus entdeckt hatte und deren Duft mit dem auf dem Briefbogen identisch ist.
»Vielleicht riecht der Brief gar nicht wirklich danach«, sagte Herbert. »Wenn das Zeug im Poncho von Backhaus steckt…«
»Talar«, bemerkte Evi knapp.
»…und auch im Altartuch, dann müsste ja die ganze Kirche danach riechen. Verstehst du? Du hattest den Geruch so stark in der Nase, dass du dir nur eingebildet hast, dass der Brief danach riecht. Die Lehrerin hat das mit den Kochdünsten verglichen, und ich finde das auch. Jedes Mal, wenn Margot Erbsensuppe kocht, kann man das schon draußen am Eingang riechen, und bis sich der Mief verzogen hat, können schon mal Tage vergehen.«
»Mief? Meine Erbsensuppe?« Margots Gesicht schwoll vor Ärger rot an.
»Der Brief riecht aber danach, verdammt noch mal«, erwiderte Beatrice aufgebracht. »Wieso glaubt mir hier eigentlich niemand?«
»Ich habe es doch auch gerochen«, beruhigte Evi. »Und ich habe eine kleine Probe mitgebracht.«
Aus ihrer Handtasche kramte sie ein Plastiktütchen hervor, in der sich ein Wattebausch befand. Sie nahm ihn heraus und reichte ihn Beatrice. »Hier, riechen Sie mal dran.«
Beatrice lüftete ein wenig den Verband, damit sie die feuchte Watte so dicht wie möglich unter ihre Nase halten konnte. »Genau so riecht der Brief«, bestätigte sie siegessicher. »Putzen Sie sich mal die Nase, Klöbelschuh. Vielleicht hilft das Ihrem Riechorgan auf die Sprünge. Jedenfalls ist das der Duft. Kein Zweifel.«
»Dann können wir also davon ausgehen, dass der Brief tatsächlich im Pfarrhaus geschrieben wurde«, sagte Evi und steckte Tüte und Wattebausch zurück in ihre Tasche.
»Das ist aber eine ziemlich gewagte Behauptung«, warf Lothar ein. »Dieses Zeug findet man wahrscheinlich in jedem zweiten Haushalt, und dass sowohl der Brief als auch Barbara danach riechen, beweist höchstens, dass beide damit in Berührung gekommen sind, sagt aber überhaupt nichts darüber aus, ob nun zuhause oder irgendwo anders. Es könnte ja auch Waschpulver sein oder Haarspray, vielleicht auch Weichspüler oder …«
»…Backofenspray?« Evi griff genervt nach ihrem Glas und schluckte den Inhalt in einem weg. »Es handelt sich weder um den Duft eines Waschpulvers noch um den eines Weichspülers. Er kam mir gleich bekannt vor, und dann fiel es mir wieder ein. Eine ausländische Kollegin hatte vor Jahren dieses Mittel wegen seiner hohen Qualität und des besonderen Dufts von Moschus verwendet, und genau das gleiche benutzt Charlotte. Wozu sonst sollte sich das Zeug in ihrem Haus befinden? Aber wenn Sie das immer noch nicht überzeugt, dann vielleicht das: Wenn es sich um ein deutsches Produkt handeln würde, wären Ihre Zweifel sicherlich gerechtfertigt, aber es ist ursprünglich ein amerikanisches, das in einigen Ländern Europas vertrieben wird, unter anderem auch in der Schweiz. Und jetzt hören Sie gut zu: Im August des vergangenen Jahres haben Charlotte und Hortensius Backhaus in der Schweiz an einem internationalen Kirchentreffen teilgenommen!«
»Da waren sie bestimmt nicht die Einzigen«, konterte Lothar.
»Ach hören Sie doch auf!«, widersprach Evi verärgert. »Warum wollen Sie nicht einfach zugeben, dass dies kein Zufall sein kann? Sie besitzt davon drei Kanister zu zehn Litern und mindestens vier volle Sprühflaschen. Sie stehen alle in ihrer Waschküche.«
»Und da konnten Sie unbemerkt rumschnüffeln?«, fragte Margot ungläubig.
»Natürlich nicht. Ich hatte für den Besuch extra mein ältestes Kleid angezogen und ungeschickterweise Kaffee darauf vergossen, Sie verstehen? Charlotte, die sich darüber erschütterter gab, als ich selbst überhaupt vortäuschen konnte, bugsierte mich sofort in ihre Waschküche, wo wir uns gemeinsam abmühten, den Fleck herauszuwaschen. Ohne Erfolg natürlich, aber wie ich schon sagte. Es war ein altes Kleid, vollkommen aus der Mode und viel zu lang.«
Gefolgt von den Blicken der anderen sah sie auf ihre makellosen Beine mit den entblößten Knien und tippte einige Male geziert mit der Spitze ihres Pumps auf den Boden.
»Ich könnte in diesen Dingern nicht laufen«, bemerkte Margot und rümpfte ihre Nase.
»Wie auch? Bei den …«
»Evi!«
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