»Was für eine Frage! Sowas kann man nicht eindeutig beantworten. Kommt auf die Stimmung an.«
»Möchten sie ihren gemeinsamen Urlaub aktiv oder passiv verbringen?«
»Unsinn! Ich will weder den ganzen Tag herumrennen, noch von früh bis spät, im Liegestuhl liegend, eine Schachpartie nach der anderen mit meinem Schachcomputer spielen, während meine Partnerin mit dem gutaussehenden Mann, der sich sowieso schon viel zu oft und ganz zufällig an unserem Frühstückstisch breitgemacht hat, Tennis spielt.«
»Noch so eine Frage und ich ziehe es vor, den Rest meiner Tage allein zu bleiben!«
»Könnten sie ihrer Partnerin einen Seitensprung verzeihen?«
Das ging dann doch zu weit. Ich war nahe daran, das Partnervermittlungsportal zu verlassen. Aber war es nicht besser, von vornherein klare Verhältnisse zu schaffen?
Was das betrifft, war meine Toleranz bei null. Wie war ich tolerant meiner Ex-Frau gegenüber, einmal, zweimal, und dann hat sie mich doch verlassen.
Ich beantwortete diese Frage mit einem eindeutigen Nein . Ohne Wenn und Aber – nein .
»Wenn du die Richtige finden willst, musst du so ehrlich wie möglich sein«, sagte ich mir und schrieb hin, was der Wahrheit entsprach, auch als nach dem äußeren Erscheinungsbild meiner Herzdame in spe gefragt wurde.
Schlank sollte sie sein, zierlich, mit brünetten Haaren. Hier konnte und wollte ich ebenfalls keinen Kompromiss eingehen. Wahrscheinlich würde das meine Chancen erheblich schmälern, aber ich mochte nun mal keine molligen, großgewachsenen, blonden Frauen.
»Entweder es gibt da draußen oder besser gesagt da drin eine, die zu dir passt oder eben nicht. Du bist zwar ein alleinstehender, aber kein einsamer, von Sehnsuchtsanfällen heimgesuchter, jede Nacht in sein Kissen weinender Mann, der ohne weibliches Pendant einem unerträglichen, sinnlosen Dasein entgegengeht. Du hast deine Freunde, deinen Schachclub, deinen Sport, du kannst dich stundenlang in deine Gedichtbände vergraben. Wenn nichts dabei rauskommt, wirst du ganz bestimmt nicht in Agonie verfallen«, resümierte ich und schloss das Portal der Partnervermittlung.
Ich hatte das Foto vergessen und lockte mich erneut ein.
»Eigentlich noch ganz passabel«, urteilte ich, als ich das Bild betrachtete, das mich in heller Freizeithose und dunkelblauem Leinensakko, lässig an einen Baum gelehnt, zeigte und sah mich, entgegen meiner eben noch aufgekeimten Zweifel, schon in Begleitung einer hübschen Brünetten.
Eine Woche lang tat sich nichts. Vielleicht hätte ich den Kreis der bindungswilligen schlanken, zierlichen Brünetten um schlanke, zierliche Hellhaarige und schlanke, zierliche Schwarzhaarige erweitern sollen. Von meiner Gelassenheit, mit der ich das Ganze anging, war nicht mehr viel übriggeblieben.
»Die Sache mit dem Seitensprung ist es, das ist der Grund, warum sich keine mit dir einlassen will«, stellte ich mit Ernüchterung fest. »Nicht eine einzige Antwort wirst du erhalten, wahrscheinlich halten sie dich für einen unnachgiebigen, selbstgerechten Vertreter deiner Gattung, der bei der ersten Meinungsverschiedenheit die Beziehung wieder beendet.«
Die Vorschläge der Partnervermittlung, die ich am zehnten Tag – es war der Abend, an dem ich mich mit meinen Schachfreunden im Club verabredet hatte – vorfand, zerstreuten meine Zweifel mit einem Schlag. Ich rief Rainer an und erfand eine glaubhafte Ausrede für mein Nichterscheinen. Er und die anderen wussten nichts von meinen Aktivitäten im Internet, dazu hatte ich erst einmal geschwiegen. Wenn es soweit wäre, würden sie es sowieso als Erste erfahren.
Drei Damen wurden mir angeboten , die eine Kontaktaufnahme wünschten. Wem sollte ich zuerst antworten? Der leidenschaftlichen Schachspielerin, die jedoch nichts mit Lyrik anzufangen wusste, der Frau, die sympathisch und außerordentlich hübsch vom Bild lächelte, aber gemütliche Stunden am Kamin Wandern und Schifahren vorzog oder derjenigen, die ihre Begeisterung für Lyrik zum Ausdruck brachte, aber dem Schachspiel eher neutral gegenüberstand. Schlank, zierlich und brünett waren sie alle und das Wunschalter, das ich mit sechzig bis sechsundsechzig angegeben hatte, passte ebenfalls.
»Schach spielst du ohnehin im Club, und wer weiß, vielleicht kannst du ihr Interesse dafür noch wecken«, überlegte ich.
Ich entschied mich für die Dame, die Lyrik liebte.
Noch am selben Abend erhielt ich eine Rückmeldung auf meine Mail, die ich an sie geschickt hatte. Darin sprach ich unsere gemeinsame Leidenschaft an, teilte ihr mit, dass ich mich außerordentlich glücklich schätze, sie, eine Frau mit Sinn für Poesie, kennenlernen zu dürfen, und machte ihr ein vorsichtiges, kleines Kompliment, indem ich ihre Frisur erwähnte, die ihr brünettes Haar wunderbar zur Geltung bringe. Ihre Antwort fiel aus, wie ich es mir erhofft hatte: Sie freue sich ebenfalls auf ein gegenseitiges Kennenlernen bei einem Glas Wein in der Weinstube, die ich als Ort des ersten Treffens vorgeschlagen hatte. Um sie nicht zu verfehlen, werde sie einen kleinen Hund mit gräulich gelocktem Fell bei sich haben.
»Wieso Hund?« fragte ich mich. »Schlank, zierlich, brünett, apartes Gesicht, ich erkenne sie auf jeden Fall wieder.«
Außerdem werde sie einen Gedichtband in der Hand halten, für alle Fälle.
»Ich freue mich auf sie«, schrieb sie abschließend und fügte diese Zeilen an das Ende des Textes:
O glücklich, wer ein Herz gefunden,
Das nur in Liebe denkt und sinnt,
Und mit der Liebe treu verbunden
Sein schönres Leben erst beginnt!
»Dass ich so einer Frau begegne, kann kein Zufall sein«, dachte ich. Hoffmann von Fallersleben! Sie antwortet mit Fallersleben .
Der Ex-Schwager des Freundes von Rainer hatte recht. Wie hatte der gesagt? So eine findest du nicht um die Ecke.
Wo liebend sich zwei Herzen einen,
Nur Eins zu sein in Freud' und Leid ,
ergänzte ich.
Die nächsten Strophen fielen mir leider nicht mehr ein.
»Wir werden es gemeinsam aufsagen«, sagte ich mir.
»Gemeinsam«, das Wort kam mir nur allzu leicht über die Lippen.
Zwei Tage später – ich war aufgeregt wie ein Junge, der zum ersten Mal mit einem Mädchen ausgeht –, stand ich prüfend vor dem Spiegel. Ich hatte mir ein paar Spritzer vom teuren Eau de Toilette, das ich sonst so gut wie nie benutzte, gegönnt, die Augenbrauen glattgestrichen und die Haare länger geföhnt als sonst. Perfekt!
»Wer da nicht zugreift, ist selbst schuld!«, sagte ich mir und musste laut lachen, als alle Versuche, einen nonchalanten Gesichtsausdruck nach dem anderen vor dem Spiegel einzuüben, misslangen. Ich knöpfte mein Hemd zu und band die Krawatte um, die ich mir bereitgelegt hatte. Gut geföhnt und gut riechend, in heller Freizeithose, dunkelblauem Leinensakko und hellblauem Hemd – beinahe dasselbe Outfit, das ich auf dem Foto trug – betrachtete ich mich erneut im Spiegel und war zufrieden mit dem, was ich sah.
»Die Krawatte passt nicht, zu streng«, urteilte ich und band sie wieder ab.
Ich versuchte noch einmal so lässig wie möglich zu schauen und musste wieder lachen.
Ich betrat die Weinstube und ließ meinen Blick unauffällig durch das Lokal schweifen. Die meisten Tische waren besetzt. Ich ging gern hierher. Irgendein Gast war immer anzutreffen, dem der Wein in Gesellschaft besser mundete als allein. Aber heute musste ich nicht Ausschau halten nach einem möglichen Gesprächspartner. Ich war verabredet.
»Das ist sie!«, dachte ich erleichtert, als ich eine Frau mit brünetten Haaren am letzten Tisch hinten rechts entdeckte. Aber ganz sicher war ich mir nicht. Ich mochte das schummerige Licht, das der Weinstube eine heimelige Atmosphäre verlieh, aber heute wäre mir eine grelle Neonbeleuchtung lieber gewesen. Der Mann, der eben in das Lokal gekommen war und schnurstracks auf den Tisch zuging und die Frau umarmte, nahm mir die Entscheidung ab, ob ich zu ihr hingehen sollte oder nicht.
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