»Ängstliche Kuh«, wandte sich mein Verstand glücklicherweise noch rechtzeitig an mein offensichtlich wieder in Wallung geratenes Gemüt, »der hier ist ein harmloser, überaus freundlicher, gut erzogener junger Mann, aus welchem Land auch immer.
»Ihr Deutsch ist hervorragend«, sagte ich und hoffte, meine Unfreundlichkeit von vorher damit vergessen zu machen.
»Ich bin hier geboren, meine Mutter ist Deutsche«, klärte er mich auf, »und ruft jeden Tag an, ob es ihrem Sohn an irgendetwas fehlt.«
Er grinste wie ein kleiner Junge, obwohl ich ihn auf Anfang dreißig schätzte.
Der Lift war angekommen. Er bückte sich nach meiner Einkaufstasche und reichte sie mir.
»Darf ich sie vielleicht auf eine Tasse Tee einladen, natürlich nur, wenn sie Zeit haben?«, fragte er mich, als wir nach oben fuhren.
Um sechzehn Uhr saß ich auf Herrn Pals gemütlichem, rotbraunem Sofa, hatte die Wahl zwischen schwarzem Tee oder Chai, entschied mich für ersteren, denn Chai gehörte nicht wirklich zu meinen Lieblingsgetränken.
»Was für ein Glück, dass ich heute Nachmittag frei habe!«, sagte er, während er den Tee in der Küche zubereitete.
»Und dass ich mich krankgemeldet habe«, dachte ich.
Das Paket kam mir wieder in Erinnerung. Jetzt, da ich bei Herrn Pal am Tisch saß, mit ihm Tee trank, mit ihm redete und mit ihm lachte, schämte ich mich für mein dümmliches, vorurteilsbehaftetes Denken und Handeln.
Er erzählte mir, dass sein indischer Vater, der vor achtzehn Jahren gestorben war, Ende der sechziger Jahre nach Deutschland kam, um Ingenieurwesen zu studieren und bald nach Abschluss des Studiums seine Mutter geheiratet hatte, die jetzt in Köln, bei seiner Schwester und ihrer Familie lebte.
»Möchten sie Kekse?«, fragte er mich, nachdem er mir eine zweite Tasse eingegossen hatte. »Nan Khatai, indische Gewürzplätzchen.«
Er ging in die Küche, kam mit einer Dose und einem Glasteller zurück und füllte ihn mit den Plätzchen.
»Bitte nehmen sie«, sagte er, »indische Spezialität, hat meine Mutter gebacken.«
Die Kekse sahen toll aus, waren mit gehackten Pistazien verziert und schmeckten vorzüglich. Ich lernte, dass die Hauptzutaten aus Mehl, Kichererbsenmehl, Ghee – eine Art Butterschmalz, Zucker und verschiedenen Gewürzen bestanden, von denen ich Zimt und Kardamom erriet.
»Hat mir meine Mutter mit der Post geschickt, ich glaube, sie sieht durch das Telefon, wenn die vier Dosen leer sind«, sagte er schmunzelnd. »Ich habe das Paket erst heute erhalten, es lag am Morgen vor der Tür. Eigenartig, sie hatte es bereits vor einer Woche abgeschickt.«
»Und, hatten sie denn keine Benachrichtigung im Briefkasten?«, fragte ich vorsichtig.
»Nein. Ist doch merkwürdig, oder? Die Dame, die direkt neben mir wohnt, nimmt die Pakete immer für mich an, aber von dem neuen wusste sie auch nichts.«
Ich glaube, ich war etwas blass geworden und hoffte, dass er nicht bemerkte, wie es in meinem Kopf ratterte: Paket, Blechdosen, Klirren.
»Sagen sie bitte ihrer Mutter, die Plätzchen schmecken himmlisch«, sagte ich schnell.
»Aber gern«, entgegnete er, »das wird sie sicher freuen.«
»Was es mit diesem Zeichen auf dem Paketaufkleber zu tun hat, wirst du aber wohl nie erfahren«, dachte ich.
Als ich einige Monate später für Amit – wir waren inzwischen Freunde geworden – ein Paket seiner Mutter entgegennahm und auf dem Aufkleber wieder ein ähnliches Zeichen fand, fragte ich ihn danach.
Er lachte.
»Das Werk meiner vierjährigen Nichte Sara«, klärte er mich auf.
»Plätzchen für Onkel Amit?«, fragt sie jedes Mal, wenn Mutter einen Aufkleber schreibt und auf das Paket kleben will. »Darf ich etwas darauf malen?«
»Außen Plätzchen, innen Plätzchen«, sagte ich.
»Hm, so habe ich das ja noch nie gesehen«, entgegnete er.
Schlank, zierlich, brünett oder die Liebe zur Lyrik
Das war bereits die fünfte Annonce, die ich mir aufmerksam durchgelesen hatte. Und wieder stand das Gleiche darin. Natürlich nicht exakt das Gleiche, aber es kam auf das Gleiche heraus. Hübsch waren sie, die meisten sogar eine wirkliche Schönheit mit wunderschönen Haaren, ausgestattet mit großer Oberweite, saubere, ordentliche Hausfrauen, die zudem vorzüglich kochen konnten und nur dazu geboren wurden, einen Mann zu verwöhnen und ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Warum nur war ich nicht einer dieser Männer, die noch nie einen Putzlappen in der Hand hatten, Wasch- und Spülmaschine ausschließlich für das weibliche Geschlecht entwickelte Geräte hielten und denen die Zubereitung einer Tütensuppe den Schweiß auf die Stirn trieb. Für diese praktischen Dinge brauchte ich weiß Gott keine Frau. Dass diese liebreizenden Wesen mir dann noch jeden Tag Berge von Essen auftischten und beleidigt den Mund verzogen, wenn ich nur einen einzigen Bissen auf dem Teller liegen ließ, mochte ich mir erst gar nicht vorstellen. Und auch nicht, wie sie mich mit ihren wunderschönen Haaren umgarnten und ihre Brüste an mich drückten, um mich zu belohnen, wenn ich doch artig aufgegessen hatte. Dann blieb ich doch lieber allein, ohne vertraute Gespräche, ohne gemeinsame Unternehmungen, ohne Zärtlichkeiten, ohne Liebe.
Ich legte die Zeitung beiseite. Vielleicht sollte ich es im Internet versuchen und mich einer Partnervermittlung anvertrauen, man musste schließlich mit der Zeit gehen. Mein Freund Rainer aus dem Schachclub kannte jemanden, dessen Schwager, das heißt Ex-Schwager, durch eine Partnerbörse eine Frau kennengelernt hatte. Er könne das nur empfehlen, solche Frauen findest du nicht um die Ecke, hatte dieser mit breiter Brust verkündet.
Name: Winterstedt , Vorname: Waldemar .
Alter: achtundsechzig .
Der Anfang war gemacht.
»Mit Ende sechzig jemanden zu finden, das wird schwer, da weiß man ganz genau, was man will und was nicht.«
Dieser Gedanke kam jedes Mal auf, wenn ich mich mit dem Thema Partnersuche beschäftigte.
»Aber bei der Scheidungsrate – heutzutage ist doch jede oder jeder Dritte, ich eingeschlossen, geschieden –, auch nicht unmöglich«, machte ich mir Mut.
Dass der größere Teil davon aber wesentlich jünger als achtundsechzig war, durfte ich ehrlicherweise nicht außer Acht lassen.
Weiter!
Beruf: Beamter .
»Immerhin, gehobener Dienst«, dachte ich und ergänzte: Im Ruhestand .
Hobbies: Schach, Wandern, Schifahren .
Sollte ich wirklich Schach als mein Hobby angeben, kam das gut an bei den Frauen? Wohl eine eher unspektakuläre Freizeitbeschäftigung, aber eine gebildete Frau – und das war wonach ich suchte –, würde diese gewiss richtig einzuordnen wissen. Dennoch beschloss ich, es an die letzte Stelle zu setzen, nach Wandern und Schifahren. Ebenfalls keine aufregenden Zeitvertreibe, aber mit Fallschirmspringen oder Hochseesegeln konnte ich nicht aufwarten. Beinahe hätte ich die Literatur vergessen. Lyrik ist meine geheime Leidenschaft. Sollte sie geheim bleiben? Welcher Mann, der ein echter Kerl ist, beschäftigt sich mit Gedichten! Aber wollte ich ein echter Kerl sein?
»Ach was!«, dachte ich. »Was ist das für einer, ein echter Kerl? Einer der eine Frau mit seiner Harley abholt oder mit dem Pferd vorbeikommt und mit ihr durch die Stadt reitet, und der jeden mit einem Faustschlag zu Boden streckt, der es wagt, ihr auch nur einen Millimeter zu nahe zu kommen?«
Ich änderte die Reihenfolge: Lyrik, Schach, Wandern, Schifahren .
»So ist es richtig«, sagte ich mir. »Den schönen Künsten zugewandte Herren stehen bei gebildeten Damen sicher ganz oben auf der Auswahlliste.«
Jetzt ging es ans Eingemachte.
»Würden sie vorziehen, den Abend mit ihrer Partnerin zu Hause zu verbringen oder mit ihr auszugehen?«
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