Abdar nickte und zog einen Laptop hervor. Es schien sich um ein älteres Modell zu handeln, denn das Gerät war ziemlich dick und schwer. Er stellte den Computer neben den Koffer auf den Tisch.
Plötzlich schrillte eine Alarmsirene. Feueralarm. Verdammt, irgendetwas musste ja noch passieren! Chrissi und ich verständigten uns mit einem kurzen Blick. Jetzt galt es, besondere Obacht walten zu lassen! Auch Aaron Wenderlen reagierte und befestigte den Koffer wieder mit den Handschellen an seinem Handgelenk.
„Wir müssen über die Treppe runter“, rief ich, „keine Panik. Ich gehe voran, sie Herr Wenderlen und sie Herr Abdar folgen mir. Christine macht den Schluss.“
Ibn sal Abdar schrie in Panik auf. „Ich kann nicht. Mein Täubchen, mein Herz, mein Alles ist noch in dem Zimmer. Ich hole sie. Wir können doch Mira nicht zurücklassen!“
Schon war er in dem Zimmer verschwunden.
„Wir müssen hier raus“, drängte Christine.
Ich klopfte gegen die Türe. „Wir müssen runter“, schrie ich. Die Tür öffnete sich einen Spalt und sal Abdar trat vor mich. Jetzt klang seine Stimme weinerlich.
„Mira ist noch nicht fertig. Zwei Sekunden noch.“ Dann schien ihm etwas einzufallen. „Oder besser: Gehen sie doch schon vor. Schließlich finden wir die Treppe auch alleine. Das war doch direkt neben dem Fahrstuhl, oder?“
Ich nickte. „Aber beeilen sie sich.“
Die Sirenen gellten weiter und von der Straße mischte sich das Geheul der Feuerwehrwagen darunter.
Chrissi und ich waren noch unschlüssig, ob wir nicht doch auf Abdar und seine Gefährtin warten sollten. Allerdings nahm Wenderlen uns die Entscheidung ab, indem er voller Panik aus dem Hotelzimmer stürmte. Krachend schlug die Zimmertüre zu. Ich sah Chrissi an: „Wir müssen hinterher. Abdar soll selbst zurechtkommen. Unser Auftrag lautet schließlich Wenderlen und die Diamanten zu schützen!“
Ich klopfte noch einmal energisch an die Schlafzimmertür, dann folgten wir dem Diamantenhändler. Auf der Treppe holten wir den Mann ein. Wenigstens war er nicht in den Fahrstuhl gestiegen.
Auf der Straße sammelten sich nach und nach die Hotelgäste. Ein Absperrband hielt den Bereich vor dem Hotel frei. Mehrere Feuerwehrfahrzeuge standen bereit, bei einem davon beobachtete ich hektische Arbeiten. Auch sammelten sich immer mehr Schaulustige hinter der Absperrung. Erste Reporter von Funk und Fernsehen trafen ein.
Im fünften Stock trat dichter Rauch aus einem Fenster. Schon fuhr die Feuerwehr die Leiter aus. Wasserschläuche wurden ausgerollt und noch bevor die Leiter das Fenster ganz erreicht hatte, hetzten die ersten Feuerwehrmänner nach oben. Trotz aller Hektik ließ sich deutlich das koordinierte und durchdachte Handeln erkennen.
„Was ist da bei euch los?“, hörte ich Sams Stimme über das Headset.
„Feueralarm.“ - „Ja, soviel habe ich auch schon mitbekommen. Wo seid ihr jetzt?“
Chrissi antwortete: „Draußen vor dem Hotel. ‚ProP‘ ist bei uns und in Sicherheit. Im fünften Stock brennt es in einem der Zimmer. Die Feuerwehr ist jetzt oben und löscht. Wie es aussieht, kamen keine Menschen zu Schaden.“
„Was ist mit den Diamanten?“ - „ProP hat seinen Koffer wieder am Handgelenk. Jonathan und ich schirmen ihn so gut es geht ab. Mir wäre allerdings wohler, wenn wir im Auto wären.“
„Verständlich“, kam es von Sam. „Ich sitze immer noch im Wagen in der Tiefgarage. Bis auf zwei Frauen ist hier niemand durchgekommen. Vielleicht schafft ihr es über den Eingang der Tiefgarage bis zu eurem Wagen. Moment, wartet noch. Bernd ruft mich gerade auf dem Handy an.“
Die Verbindung zu Sam brach ab. Ja, wir sollten es durch den Eingang zur Tiefgarage versuchen und dann zurück nach Amsterdam fahren. Diamanten - Deal hin oder her.
Wenderlen zeigte schon seit einigen Minuten ein aufgeregtes Verhalten. „Was ist los, Mijnheer Wenderlen?“, fragte ich.
„Ich suche Ibn sal Abdar, kann ihn aber nicht finden. Vielleicht können wir das Geschäft ja noch woanders abwickeln. Oder zumindest eine neue Verabredung treffen. Können sie den Mann und seine Begleiterin irgendwo sehen?“
Christine und ich schauten uns um. Die auffällige Erscheinung des Arabers war nirgends auszumachen.
Jetzt ging ein Raunen und Klatschen durch die Menge. Offensichtlich war der Brand gelöscht. Die ersten Schaulustigen entfernten sich allmählich vom Schauplatz.
Plötzlich drang Sams Stimme wieder über das Headset: „Ihr müsst dringend die Diamanten überprüfen, Jonathan! Bernd hat mich eben angerufen. Er ließ Jennifer alle Raubüberfälle und Diebstähle in Bezug auf wertvollen Schmuck, Uhren oder Diamanten überprüfen. Dabei ist sie auf etwas gestoßen, dass eurem Szenario in etwa gleichen könnte: Ein Mann namens Holger Diester scheint vor acht Jahren einen großangelegten Betrug an einem Schmuckhändler vorgenommen zu haben. Er hat den Händler in ein Hotel gelockt und ihn dort um seinem hochwertigen Schmuck erleichtert.“
„Aber Wenderlen hat seinen Koffer am Handgelenk“, warf ich ein. Ich erinnerte mich an die kleine goldene Krone auf dem Koffer. „Und es muss derselbe Koffer sein, da war so eine kleine Krone ...“
Sam unterbrach mich. „Überprüft die Diamanten. Ich sage ja auch nicht, dass es so sein muss!“
Christine dirigierte inzwischen Wenderlen zum Hotel zurück. Mit knappen Worten informierte sie ihn über das, was Sam uns mitgeteilt hatte.
Wenderlen grinste. „Keine Sorge. Das ist mein Koffer. Sehen sie die goldene Krone? Spezialanfertigung. So einen Koffer gibt es nur einmal.“
Die Feuerwehr entfernte die Absperrungen und gab den Weg zum Hotel wieder frei. Aus Gesprächen, die ich aufschnappte, ging hervor, dass es sich wohl lediglich um einen Papierkorbbrand mit starker Rauchentwicklung gehandelt hatte. Die Hotelgäste konnten wieder zu ihren Zimmern zurückkehren.
Wenderlen, Chrissi und ich hielten weiter Ausschau nach Ibn sal Abdar, während wir auf die Rezeption zusteuerten.
„Wir brauchen kurz einen Raum, in dem wir ungestört sind“, machte ich dem Portier klar.
„Sie können ein Zimmer buchen. Warten sie i...“ - „Ich will kein Zimmer buchen. Hören sie, Mann, wir müssen lediglich etwas ungestört überprüfen. Und zwar dringend und jetzt sofort!“
„Da kann ich ihnen nicht helfen. Sie können aber ein ...“
„Sturkopf!“ Ich ließ den Mann stehen und wandte mich wieder Chrissi und Mijnheer Wenderlen zu: „Ich glaube, es wird einfacher, wenn wir in die Tiefgarage zu unserem Auto gehen.“
„Gute Idee“, kam es über Headset, „ich erwarte euch am Fuß der Treppe.“ Sam verfolgte unsere Gespräche aufmerksam über die Funkverbindung.
„Verdammt.“ Der Koffer, mittlerweile lag er auf der Motorhaube unseres Wagens, ließ sich nicht öffnen. Schweren Herzens hatte Wenderlen sich von den Handschellen mit denen der Koffer an seinem Handgelenk hing, getrennt. Immer nervöser fummelte er an den Zahlenschlössern herum.
„Das ist die Kombination. Ich schwöre.“ Mit steigender Aufregung fiel der Mann immer mehr in seinen holländischen Akzent zurück. Er hörte sich jetzt eindeutig schlimmer an als dieser Rudi Carrell.
„Dat is ook meine Koffer!“
Sam näherte sich jetzt mit einem großen Schraubendreher. Wir hatten den Händler und Sam zuvor miteinander bekannt gemacht und Wenderlen versichert, dass Sam zu uns gehörte. Jetzt setzte Sam kurzerhand den Schraubendreher an und hebelte den Koffer auf.
„Die schöne Koffer“, seufzte Wenderlen kurz auf, nur um daraufhin in einen Weinkrampf auszubrechen. Er lag vollkommen leer vor uns und eine Weile starrten wir entgeistert darauf. Sam war der erste, der sich wieder fasste. „Wir müssen die Polizei verständigen. Wie konnte es dazu kommen, dass die Diamanten fort sind?“
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