Jörg Nitzsche - Das Leben auf der anderen Seite
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Endlich auf nach Ost-Berlin
Schon wenige Tage später, am Donnerstag, breche ich dann endlich wieder nach Ost-Berlin auf. Die Transitstrecke Hamburg – Berlin ist über alle Maßen todlangweilig und ich habe Zeit meinen Gedankengängen ausgesprochen weitschweifig zu folgen. Ich muß an meine vielen Bekanntschaften denken, die in der ganzen DDR verteilt sind und die für mich so was wie einen Indikator für ostdeutsche Kultur darstellen. Mit ihnen will ich das andere Deutschland kennen lernen. Ich freue ich mich auch schon auf die Begegnungen. Menschen, die so viel anders sein müssen als wir, die anders denken, anders arbeiten, anders leben und andere Träume haben. Oder? Ich überlege, wie z.B. das Wetter, die Landschaften und die Arbeitsverhältnisse bestimmte Charaktere hervorbringen können. Die Mecklenburger sind bestimmt ganz andere Typen als die Sachsen, und ich überlege wie sie sich wohl unterscheiden. Oder, genau das möchte ich doch heraus finden, sind die Unterschiede unter diesem sozialistischen Schatten gar nicht so groß. Und jetzt in Ostberlin beginne ich endlich damit meine Idee zu verwirklichen, und Petra aus Bulgarien ausfindig machen. Und somit ist auch die Gaststätte „Gastmahl des Meeres“ ein Anlaufpunkt, in dem arbeitet sie angeblich. Ich hoffe, auch heute noch. Ich kenne nur ihren Vornamen Petra, ihren Nachnamen kenne ich nicht. Nur ein Urlaubsfoto, welches ich halbnackt von ihr gemacht habe habe ich bei mir. Wie schon erwähnt ist die Transit-Strecke Hamburg-Berlin furchtbar langweilig, aber dazu noch diese blöde 100-Stundenkilometer-Begrenzung. Und Radarfallen stehen mindestens eine zwischen 2 Ausfahrten auf der ganzen Strecke bereit. Die holen sich die Devisen jetzt auf diese Weise, Umtauschen brauchen wir ja nicht mehr. Doch ausgerechnet die entgegen kommenden Ostdeutschen zeigten sich da sehr fair, in dem sie mit Lichthupe signalisieren, daß da was in dergestalt kommen muß. Sofort bin ich mit dem Tempo runter. Wow, gerade noch mal davon gekommen. Da ich immer Führerschein und Fahrzeugschein vergesse, wäre ich vielleicht in eine ganz blöde Situation geschlittert. Verzichte ich gerne drauf. Viele kleine Dörfer links und rechts der Strecke, und auch immer wieder diese typischen Betonklötze zum Wohnen. Phantasielos hin geklatscht, aber dann kommt mir beim öden Cruisen der geniale Gedanke ob das nicht auch eine Spitzfindigkeit des Zentralkomitees gewesen sein könnte, ob man nicht die Phantasie der Bürger mit diesen Prachtbauten anregen wollte. Auf diesen blöden Gedanken ist bestimmt noch keiner außer mir gekommen. Bestimmt ist so in Sachen Kreativität einiges anders dort drüben und so ich auch Anderes als bei uns entstanden. Mit Sicherheit friemeln die Menschen an Sachen herum, mit denen sich bei uns keiner mehr abgibt. Die Kunst hat bestimmt Formen ihres Lebens angenommen, sind Ausdruck ihrer Schreie nach Freiheit und individuellem Denken und Reisefreiheit. An den Brücken sehe ich Werbeschilder von VEB-Betrieben, die dreißig Jahre durch Subventionen am Leben erhalten wurden. Ich frage mich unwillkürlich, wofür diese Schilder? Der DDR-Bürger hatte doch sowieso nie nichts kaufen können, also für uns, hmmm??? Und trotzdem bewirken diese Schilder, direkt farblos sind sie zwar nicht, Assoziationen des grauen DDR-Alltags. Und so geht meine Fahrt weiter. Abzweigungen nach Schwerin, Abzweigung nach Ludwigslust. Ich würde schon gerne mal kurz abbiegen, aber Berlin lockt. In Berlin zum Brandenburger zu kommen ist auch nicht gerade einfach. Ist blöd ausgeschildert. Endlich bin ich in der Straße des 17. Junis und sehe die Menschenmassen. Da kann ich mir ein Bild machen was hier Sylvester abgegangen sein muß. An einen Parkplatz ist überhaupt nicht zu denken, so parke ich noch vor der Bahnunterführung. Als ich aussteige, fühle ich mich wie gelähmt. Ich hatte während der Fahrt solche Rückenschmerzen bekommen, das ist nun das Resultat. Ich brauche ein paar hundert Meter, bis ich mich wieder in aufrechter Lage befinde. Das Brandenburger Tor, ich kann es sehen, es ist schon ein überwältigendes Gefühl davor zu stehen. An die ganzen Dokumentationen übers Kriegsgeschehen muß ich denken und an den Mauerbau. Ich erinnere mich auch an mein letztes Mal vor Jahren hier in Berlin, wo ich rüber schauen konnte, und dachte, was sind das da für Menschen drüben. Was für ein komisches Gefühl die Menschen auf der anderen Seite keine 200m von mir entfernt ganz normal in ihrem Alltagstrott bewegen zu sehen und Du kannst nicht zu ihnen hin, und sie nicht zu Dir. Erschreckend unwirklich und faszinierend zugleich. Das Geschehnis damals mit Worten zu beschreiben, das plätscherte an jedem Zuhörer einfach vorbei, haben die meisten einfach so abgeschüttelt. Schon komisch, das interessierte kaum jemanden, nahm jeder einfach so hin. Das ist vielmehr ein Gefühl, daß man selbst live erlebt haben muß, denke ich, um es zu verstehen. Aber es braucht vielleicht auch eine spezielle Sensibilität um sich in solche unwirkliche Situationen hinein fühlen zu können. Unter den Linden, wie beschaulich mag das noch bis kurz vor der Wende hier gewesen sein. Ost-Berlin gefällt mir irgendwie besser als West-Berlin. Ost-Berlin hat, und das ist verrückterweise dem DDR-Regime geschuldet, ein sehr reizvolles und abwechslungsreiches Stadtbild. Nun gut, über abwechslungsreich und reizvoll kann man natürlich streiten. Aber wo gibt es schon Prunkbauten und Museumsinsel, historische Stadthäuser, Plattenbauten und Trümmerlandschaften auf so einem überschaubarem Areal. Jetzt brummt das Leben rund um den Alex sehr intensiv. Das mag man oder eben auch nicht. Muß mir unbedingt auch ein Stück Mauergestein besorgen fällt mir bei dieser Hämmerorgie ein. Hier herrscht eine Euphorie als hätte einer Mondgestein anzubieten. Die Mauer steht noch, allerdings schon überall leicht angeschlagen. Hier wird gehämmert was die Mauer hergibt. Schon von weitem höre ich die Klopperei der Mauerspechte. Las ich nicht mal was von Asbest? Nur mal so nebenbei: Nach der Preußischen Niederlage 1806 beim Kampf um Jena-Auerstedt wurde die Quadriga von Napoléon nach Paris verschleppt. Nach seiner Niederlage 1814 brachten Blüchers Truppen die Quadriga zurück nach Berlin. Dies wird im Berliner Volksmund Retourkutsche genannt. Die Nazis wiederum verwendeten das Tor als Parteisymbol. Als 1961 die Mauer gebaut wurde, wurde es Teil der Russischen Zone und später schließlich das Symbol der Deutschen Wiedervereinigung am 9. November 1989, als Ost- und Westberliner gemeinsam auf und vor dem Tor feierten.
Meine Stimmung ist zum Bersten gespannt. Meine Euphorie geht schon jetzt fast mit mir durch. Ich kenne Ostberlin bisher nur Unter den Linden entlang bis zum Alexanderplatz. Dabei stehe ich gerade in der Warteschlange vor dem Grenzposten. Wie mag es drüben aussehen, hat sich dreißig Jahre nichts verändert? Zu beiden Seiten des Brandenburger Tores ist die Mauer ganz durchschlagen und Grenzposten kontrollieren die Pässe. "The same procedure ...". Aber es geht flott, ohne diese gewohnte Schikane. Ich habe es auch nicht so eilig. Und dann sehe ich den Todesstreifen zu beiden Seiten in seiner unerhörten Breite. Ein Wahnsinn! Was hier bloß zu welchem Schutze errichtet wurde. Ich stehe hier auf einem Gebiet, das für Jedermann dreißig lange Jahre tabu gewesen ist. Ich muß unwillkürlich an die Momente denken, als ich Mitte der 80iger zweimal in Berlin war und jedesmal ein Blick auf die andere Seite riskierte. Ich weiß gar nicht mal mehr genau ob ich mir nicht auch ein Tagesvisum hätte besorgen können. Auf jeden Fall, bei dem Einblick in diese andere Lebensrealität im Osten habe ich wirklich überlegt, ob ich nicht vielleicht eine Macke bekommen hätte wenn ich auf der anderen Seite der Mauer gewohnt hätte. Klar, so kann man nur als Wessi denken. Ich, der da im Westen über die Mauer spähte und die Menschen auf der anderen bestaunte. Was war das doch für ein kurioses Gefühlserlebnis, die Menschen da drüben, keine 200m von mir entfernt, in ihrem ganz alltäglichen Tagesablauf zu beobachten. Kam mir fast der Vergleich mit dem Warschauer Getto, das ich in Dokumentationen gesehen habe. Natürlich hinkt der direkte Vergleich in vielerlei Hinsicht, aber diese klaustrophobische Atmosphäre empfand ich schon sehr ähnlich. Hat sicherlich auch was mit dem vielen Grau und der alten Architektur zu tun. Und, na ja, auch irgendwie eingesperrt alles hier. Und die Trabis und Wartburgs, die auch wiederum was von einer Filmkulisse hatten. Auf jeden Fall eine irgendwie irritierende Art der Wahrnehmung des Ganzen überfiel mich damals. Ich konnte nicht mal eben da hin rennen, sie waren für mich in diesem Moment unerreichbar. Da lief direkt ein Film vor mir ab, aber der war gespenstig real. Da gingen vereinzelt Menschen mit ihren Einkaufstaschen entlang, ein Trabi bog von einer in eine andere Straße, und das alles in diesen düsteren Grautönen wie kurz nach dem Krieg. Ich konnte mir gut vorstellen gerade einer Filmeinstellung in einem Filmstudio beizuwohnen. Da muß man doch mit der Zeit einen Koller bekommen, dachte ich damals überheblicher Weise. Wenn ich da jetzt so die Vögel beobachtete, wie sie mal locker von Ost nach West fliegen, dann kommt mir doch sofort der Gedanke wie plemm-plemm wir Menschen doch eigentlich sind. Die vielen menschlichen Schicksale die damit verbunden sind, macht das alles noch mal komplexer als ich das mit meiner banalen Aussage überhaupt vermitteln kann. Die andere Seite der Stadt geriet unter das Joch eines System, das statt Freiheit und Wohlstand Bevormundung und Mangel brachte. Ich frage mich gerade, wie die Mauerschützen sich heute fühlen, flüchten sie sich in Ausreden gar nicht anders gehandelt haben zu können, weil sonst sie bestraft worden wären. Nun, dafür ein Menschenleben zu opfern beweist nicht gerade viel Rückgrat. Aber wenn man nicht selbst in so einer Situation steckt ist es immer leicht zu urteilen. Klar ist, auf beiden Seiten der Grenze gibt es solche und solche. Und nun sehe ich die Prachtstraße „Unter den Linden“direkt vor mir. „Unter den Linden“ galt als eine der schönsten Straßen Europas die jeder einmal gelustwandelt haben sollte habe ich gelesen. 1390 m benötigt man dafür – eigentlich wollte ich sagen, 4170 Schritte benötigt man vom Brandenburger Tor bis zur Schloßbrücke. Aber ob nun jeder, ob Mann oder Frau, einen Schritt von genau 33,33 cm tut, bezweifle ich dann doch ein wenig. Aber ursprünglich sind es nicht nur Lindenbäume gewesen, in gleicher Anzahl sollen es auch Nußbäume gewesen sein. Einiges an dieser Straße ist aber eindeutig zu streng sachlich geraten – beispielsweise der Palast der Republik. Trotzdem, West-Berlin wirkt hiergegen eher wie eine Vorstadt ohne Baudenkmäler. Die Menschen um mich herum nehme ich gerade nicht wahr. Es ist grandios, um mal ein anderes Wort zu gebrauchen, hier auf einer Breite von 60 Metern zu schlendern. Meine Gefühle in diesem Moment kann ich selbst nicht in Worte fassen. Es ist alles irgendwie überdimensional und irgendwie auch nicht real. Alles so gewaltig groß und weit. Ich gehe langsam, diese Eindrücke verarbeitend, bis ich einen kleinen Stand erreiche, an dem eine junge Ostberlinerin Stadtpläne verteilt. Ich frage sie nach dem Gastmahl des Meeres. Nach einigem Überlegen schildert sie mir sehr ausführlich den Weg obwohl es eigentlich nur geradeaus geht. Auf dem kleinen Stadtplan zeichnet sie mir ein Kreuz ein. Ich bedanke mich freundlich, sie ist wirklich sehr aufmerksam gewesen. Ich drehe mich wieder in alle Himmelsrichtungen. Es sieht anders aus als in Wismar, viel moderner. Viele Bestimmungen sind noch geblieben, Ostmark zum Beispiel darf nicht eingeführt werden. Zuerst müßte man sie ja mal ausgeführt haben um sie wieder einführen zu können muß ich gerade schmunzeln. Auch die Britische Botschaft ist vertreten. Wo die Konsulatsmitarbeiter wohl gewohnt haben, und wie haben die über das Leben in der DDR gedacht? Die Lindenallee gefällt mir gut. Sie ist schön breit. Ich mag dieses Großflächige und die Weite sehr gerne, und es ist auch alles sehr sauber. Hier stören direkt mal die Trabis im Stadtbild. Zu Ostberlin passen die Autos einfach nicht so richtig in Stadtbild, denn Ostberlin ist eine Weltstadt, zumindest im Kern. Dummerweise ist es heute sehr schwül und die Luft nicht anders als in Wismar, eher noch schlimmer. Es fällt mir schwer zu atmen. Drüben auf der anderen Straßenseite biegt ein Trabifahrer in die Charlottenstraße ab und zieht eine riesige blaue Wolke hinter sich her. Ich kann es gerade noch rechtzeitig fotografieren. Fahren doch schon viele Westautos hier rum. Komische Feststellung, ist ja irgendwie auch verständlich. Was ist an den Ostberlinern anders, versuche ich zu beobachten. Aber hier sind zu viele Touristen. Im Stadtkern finde ich auch nichts Uriges. Später werde ich ja noch mal auf Abwegen lustwandeln. Schönes Wort, gefällt mir. Paßt direkt zu dem was ich gerade mache, bzw. empfinde. Lust zum wandern. Eine Kunstgalerie mit interessanten Projekten. Preise gehen hier in die Tausende. Ok. Ost-Mark, aber trotzdem unerschwinglich für mich. Bei meinem Glück wird Petra nicht aufzufinden sein, nicht mehr dort arbeiten, oder sie wohnt weit, weit draußen. Ich frage noch einen Vopo. Auch er erklärt mir sehr freundlich den Weg. Ist der auch früher so freundlich gewesen? Es ist nicht weit vom Alex. Der Palast der Republik mit seiner goldfarbenen Fensterfront kommt in Sicht. Ein Schandfleck, ich weiß nicht, ob ich den Kasten nun gut finden soll oder nicht. Er paßt nicht unbedingt in seine historische Nachbarschaft. Gegenüber führt ein großer Platz zur Museumsinsel. Wer von weit her kommt, der fragt zuerst nach der Sehenswürdigkeit Nr.1 in Berlin: Dem Pergamon-Altar. Und der liegt ausgerechnet in Ost-Berlin. Zur Zeit dürfte aber noch die Mauer dieses Prädikat für sich in Anspruch nehmen dürfen, die Sehenswürdigkeit Nr. 1 zu sein. Einen Museumsbesuch habe ich heute nicht vorgesehen. Ich schaue mir statt dessen die Museumsinsel von außen an und bin auch so schon beeindruckt. Es wirkt alles sehr weltoffen, und dazu kommt diese unwiderstehliche Atmosphäre des alten Berlins. Majestätisch steht der barocke Dom gegenüber. Ich bin erschlagen von diesen wunderschönen ziselierten Figuren. Dieser ganze großprotzige Eindruck ist nicht DDR-typisch. Die Mahnwache - erinnert mich ein bißchen an London. Wirkt hier etwas uncool, erinnert nämlich irgendwie auch an die NS-Zeit. Meinen Argusaugen soll nichts entgehen, nehme ich mir vor. Jede neue Entdeckung, jede neue Begebenheit wird von mir in Augenschein genommen. Ich kann einfach nicht genug einfangen. Schon lange nicht mehr sind meine Sinne so überreizt gewesen. Überall habe ich meine Augen, denn alles ist neu für mich. Ostberliner würden jetzt bestimmt denken, aus welchem Loch ist der denn gegrabbelt? Echt verrückt, so unbekümmert kann man heute hier entlang spazieren. Wer hätte das noch vor einem halben Jahr gedacht. Dieser Satz wirkt auch schon etwas ausgelutscht. Aber trotzdem kommt mir der immer wieder mal. Da ist das berühmte Palasthotel, und hier soll doch das Gastmahl auch irgendwo sein. Ist wieder typisch, selbst das Hotel sieht nicht wie ein Hotel aus, steht nur Hotel drauf. Und dieses Meeresdingsda übersehe ich dementsprechend genauso. Ich frage also noch einmal, und dabei stehe ich direkt davor. Sieht nach nichts aus von außen. So'n komisches Wandmuster aus handflächengroßen und verschiedenfarbigen Glasmosaiken, die den Berufszweig Fischerei mit Seegetieren und Schiffen darzustellen versuchen. Kurios auch die Marienkirche nebenan. Eine alte Kirche zwischen all diesen Neubauten. Ich habe das Restaurant recht früh erreicht, es ist gerade kurz vor zehn. Doch erst ab elf Uhr ist hier Einlaß. Hmmm, na gut, ich bummel also noch ein bißchen rum und stelle mir vor, wie ich plötzlich vor Cathrin stehe. Doll war's ja nicht mit uns in Bulgarien. Komische Nudel dachte ich damals. Ich hatte nicht den besten Eindruck von ihr. Kettenraucherin sowieso. Was heißt hier sowieso, Redewendung eben. Ich stehe nicht so auf Zwangraucherinnen. Undankbar war sie auch, na ja, waren sie alle irgendwie, genau wie die Leipzigerinnen. Alles so selbstverständlich in Anspruch genommen, aber von ihnen kam nichts. Bahnhof Alexanderplatz, und meine Erinnerungen schweifen zu dem Film „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin, mit einem fantastischen Günter Lamprecht in der Hauptrolle. Von Lamprecht habe ich mal ein tolles Foto gemacht, welches er mir später auch signiert hat. Komisch, da haben die einen Film über Berlin gedreht, welches sich zu diesem Zeitpunkt im Ostsektor befand. Klar, das Buch ist über sechzig Jahre alt. Der Alex macht heute nicht wirklich viel her. Die vielen jungen Leute sind hier echt im 70er-Jahre-Stil hängen geblieben. Doch der Platz wirkt trotzdem wie ausradiert, eine einzige Betonoase. Ich versuche krampfhaft das alte Berlin hier unterzubringen. Der alte Bahnhof steht noch wie eine Urgewalt. Als erste deutsche Stadt erhielt Berlin 1902 eine U-Bahn. Zwanzig Pfennige für eine Fahrkarte, genausoviel wie die Benutzung der Toiletten. Verrückte Welt. Der Fernsehturm ist zwar schön hoch, aber die Menschenschlange davor? Schlangen gehe ich immer gerne aus dem Weg. Muß diesen gleistlosen Schwachsinn einfach los werden weil er mir einfach so einfällt: Echte Schlangen finde ich faszinierend, könnte mich stundenlang mit diesen possierlichen Tierchen beschäftigen. Ich versuche mir permanent vorzustellen, wie es wohl gewesen ist, hier zu leben. Hier in Ost-Berlin wird schon einiges mehr geboten. Hat sich hier seit dem Mauerfall überhaupt etwas verändert? Liefen hier vielleicht schon vor dem Mauerfall so viele Touris herum? Alles geht weiter seinen Trott. So allmählich könnte ich mal 'ne Biege zurück zum „Mahl des Meeres“ machen. Ach nee, „Gastmahl des Meeres“ natürlich. Manchmal sinne ich aus langer Weile über neue Wortschöpfungen. Auf einer Ente las ich mal "I fly Bleifrei". So ein Kauderwelsch aus Englisch und Deutsch hört sich dann auf einmal wie chinesisch an: "Ei flei bleiflei". Endlich ist dieses Mistding auf. Wieder so eine blöde Schlange davor. In einem langen Flur stehen sie alle. Ich wollte vielleicht sogar etwas essen, aber nee danke. Das ist nun schön blöd. Ich muß irgendwie in's Restaurant ohne da jetzt anzustehen. Das ist schon echt uri hier, die haben hier wie im Theater so ne Garderobenabteilung mit Empfangsdame. Diese Kleiderdame werde ich mal fragen. Ich zeige ihr das Foto, vorsichtshalber in der Mitte geknickt, und sie tönt gleich, "... das ist die Petra ...", Petra wer?, habe ich nicht verstanden. Ich bin begeistert, kann ja nur noch besser werden. Den Oberkellner soll ich fragen. Die Schlange schaut schon, aber ich bleibe cool, das muß ich nun durchziehen. Der Oberkellner: "Petra ist im Urlaub." Scheiße, denke ich. Adresse? „Ist gerade umgezogen“. So ein Mist, nun ist mir alles egal, ich muß es wissen. Eigentlich geht es ruhig zu im Laden trotzdem wirken alle gestreßt. Viele Worte braucht man über diesen Schuppen nicht zu verlieren. Es wirkt optisch nicht wirklich einladend, mehr wie so eine schlichte Firmenkantine. Und von diesen Fischläden soll es in jeder größeren Stadt eines geben, na ja. Das Plazieren in Lokalen besteht darin, daß nach 20minütigem Warten eine Person erscheint, die einen wie einen Bittsteller oder einen hergelaufenen Penner gründlich von oben bis unten mustert. Dieses gastronomische Affentheater muß man auch über sich ergehen lassen wenn man der einzige Gast im Restaurant ist. Aber womöglich ist das Essen hier was Besonderes. Werde ich leider nicht in Erfahrung bringen. Jedenfalls habe ich keine große Lust auf Schlangestehen während draußen so viel zu erleben ist. Eine Freundin von ihr, eine herbeigerufene Kellnerin, weiß weiter. Sie will jemanden fragen. Etwas dusselig stehe ich da nun im Türrahmen mit diesem blöden Foto von der nackten Petra in der Hand. Im Ganzen konnte ich keinem das Foto zeigen. Die Freundin kommt zurückgeschossen, wirft mir den Straßennamen zu. Schamhofstraße Nr. 5 also. Ich stecke ihr schnell das Foto zu, versehen mit einigen paar Worten und meiner Adresse hinten drauf. Vielleicht verpasse ich Petra ja. "Steck bloß schnell weg", sage ich noch mit einem Schmunzeln und bedanke mich. Puh, endlich raus hier. Wie aber zur Schamhofstraße kommen? Schnell noch mal rein und die Kleiderdame fragen. Buslinie 57 geht zur Schamhofstraße habe ich verstanden. Super, also komme ich auch noch mal dazu mit einem echten Ostberliner-Bus zu fahren. Auch nur zwanzig Pfennige. Hatte ich nicht, macht nichts. Auch Schwarzfahren muß ich mal erleben. Meine Buslinie ist also die 57. Bis Endstation soll ich fahren, hoffentlich habe ich die richtige Richtung erwischt. Petra Nass habe ich verstanden. Ein Depp, den ich frage, läßt mich zwei Stationen zu früh aussteigen. Jetzt hänge ich in der Chausseestraße. Egal, ich sehe das alte Berlin, und das entschädigt schon ein bißchen. Ich frage weitere Passanten nach der Schamhofstraße. Bin also in der richtigen Richtung. Emsige, kleine Geschäfte, kleine Buchläden, eine graue Apotheke, Elektroartikelladen, Fotogeschäfte, Spielzeugläden, Tabakläden. Eine ganz eigene Welt um mich herum, für die mir die Vorstellungskraft gefehlt hätte. Ich tippel einfach kreuz und quer die Straße entlang. Bin plötzlich beim Grenzübergang „Invalidenstraße“. Hier stehen sich zwei große Gebäude Aug in Aug gegenüber. Auf der Ostseite, was früher die Militärakademie war, dann das Justizministerium und jetzt das Krankenhaus ist. Eine zeitlang war das auch ein Diplomatenkrankenhaus. Oberste Justizbehörde nach dem Krieg. Hier haben die berühmten und spektakulären, politischen Schauprozesse in den 50er Jahren stattgefunden, und hier sind die ganzen absurden Grenzfluchturteile gefällt worden. Maßgeblich dafür verantwortlich war die als Rote Hilde bekannt gewordene damalige Justizministerin Hilde Benjamin unter Walter Ulbricht. Irgendwie beklemmend hier zu stehen und zu wissen, daß hier einer nach dem anderen zum Tode verurteilt wurde. Da ist der Grenzübergang Invalidenstraße für Pkw's. Der war schon immer da. Der Hamburger Bahnhof auf der Westseite ist erhalten geblieben. Als erster Kopfbahnhof Berlins, gebaut Mitte des 19.Jahrhunderts, ist diese Kathedrale der Eisenbahngeschichte eine echte Augenweide. Oben auf dem Kupferturm standen die Russen drin, weil sie wohl das sowjetische Denkmal in ??? sehen wollten, wie hier gerne gescherzt wurde. Die Invalidenstraße gehe ich wieder in östliche Richtung, weit kann es nicht mehr sein. Durch den kleinen Park soll ich gehen und da ist dann auch schon meine Straße. Scharnhorststraße? Kann ich nicht mal richtig zuhören, oder kann ich nicht berlinern? Mehrmals fragte ich Passanten nach der Schamhofstraße und jeder wußte welche Straße ich meinte. Witziges Ostberlin. In Hamburgs Innenstadt wüßte ich nicht mal den Namen einer Querstraße. Scharnhorststraße Nr. 5 soll es sein, und wie könnte es anders sein, ich bin natürlich genau am anderen Ende der Straße. Hier reiht sich ein Trabi hinter dem anderen wie eine Perlenkette am Straßenrand ein. Und eine Poliklinik neben der anderen. Viele kleine Betonburgen, die aber schon älter sind. Links von mir ist ein Friedhof. Ich schaue durch das Tor, schaue genau auf die Mauer, gerade mal 100 m von mir entfernt. Bin verwundert, daß hier die Mauer direkt am Friedhof entlang läuft. Ein alter Friedhof. Keine neuen Gräber kann ich entdecken, dafür Grabsteine aus dem 19. Jahrhundert. Eingebrochene Grabplatten. Der ganze Friedhof ist verwildert. Das hier ist also der Invalidenfriedhof. Während des Mauerbaus wurde ein Teil des Begräbnisfeldes speziell für die Wachtürme und Schießanlagen zerstört. Wahrscheinlich war der Friedhof gar nicht zugänglich all die Jahre. Er ist teilweise sogar von der Mauer getrennt worden. Doch selbst auf dem Gebiet des Todesstreifens finden sich alte Grabsteinreste. Ich kann bis zur Mauer gehen. Hinter dem Grenzstreifen fließt schon die Spree. Die Mauer ist hier nicht so gewaltig, ich kann aber einen Wachturm erspähen, von dem man sicher alles gut im Augenschein hat. Als ich auf dem Turm mitten auf dem Todesstreifen stehe sehe ich das ganze Ausmaß des Wahnsinns. Als ich mich auf die Wohnhäuser hinter meinem Rücken konzentriere beschleicht mich so eine perfide Vorstellung, nämlich direkt hier an der Grenze zu wohnen und rüber schauen zu können. Doch ich kann mich einfach nicht hinein fühlen in diese Situation, verdammt. Wie hat jemand in einer solchen Lebenssituation darüber gedacht. Wird man frustriert und depressiv? Wird einem alles egal? Oder muß man einfach nur vom System überzeugt sein. Unbeschreiblich, wie gewaltig das von hier oben ausschaut. Die hatten den totalen Überblick von hier oben gehabt. Komplett die Spree im Visier. Das soll hier also als kapitalistischer Schutzwall gegolten haben. Da die Spree als S-Schleife verläuft, steht der Turm fast parallel zum Reichstagsgebäude. Was für Geschichten stoßen hier aufeinander. Gegensätze, bisher von der Mauer all die Jahre schön getrennt gewesen, stoßen nun zwangsläufig brutal aufeinander. Auf der einen Seite alles harmonisch, gepflegt und sauber, hier ein Chaos, dem Zusammenbruch preisgegeben. Na ja, ich muß schon etwas differzieren. Der Stadtkern Ostberlins ist schon vorbildlich, aber gleich nach den ersten Metern in Seitenstraßen hinein zerfällt dieser gute Eindruck in’s komplette Gegenteil.
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