Mein erster Trip geht nach Wismar
Es ist regnerisch und trübe, es könnte kaum ungemütlicher sein im Januar, eigentlich kein Tag um an einen Ausflug zu denken. Zudem geht zu dieser Jahreszeit die Sonne entsprechend früh unter. Ich fahre trotzdem erst gegen Mittag los, und dabei weiß ich noch nicht einmal ob ich Wismar oder Schwerin anfahren soll, geschweige denn erreichen werde. Genauso wenig habe ich mit einem Stau vor Schlutup gerechnet. Da ich nicht absehen kann, wo genau die Grenze passiert wird, hoffe ich natürlich daß es nicht so lange dauern wird. Es dauert eine ganze verdammte Stunde, schon etwas blöd. Wieder habe ich dieses mulmige Gefühl, wenn ich diese Grenze passiere, denn es wird immer noch kontrolliert. Obwohl ich auch von Durchwinken sprechen kann, denn Papiere will keiner mehr sehen. Ob die Grenzer überhaupt genau wissen was sie hier noch tun sollen? Dieses trübe, schmuddelige Wetter unterstreicht die ungewohnte Umgebung nach der Grenze, eine irgendwie bedrückende Atmosphäre. Bei Grenzübergängen in die DDR muß ich immer unwillkürlich denken, mich lassen die nicht durch. Aber alles geht gut. Gleich hinter der Grenze sehe ich zwei junge Leute von hier. Daß sie von hier sind erahne ich schon anhand ihrer Klamotten. Der eine heißt Bernd, und der andere ... habe ich vergessen.

Sie versuchen zu trampen, und so nehmen mir die beiden die Entscheidung ab, wohin es für mich heute gehen soll. Sie wohnen in Wismar. Das kommt mir ganz gelegen, denn Schwerin wäre ohnehin jetzt zu weit gewesen. Und ich habe von beiden Städten keine Vorstellung, also ab nach Wismar. Wir passieren gelegentlich Befestigungsanlagen, die direkt an der Straße entlang führen. Wir sind noch im Sperrgebiet. AIIgegenwärtig sind hier die schlechten Straßenverhältnisse und die Farbe grau. Hier täuscht das Regenwasser über die Tiefe so mancher Schlaglöcher hinweg. Dazu dieses atmosphärisch ideal passende kalte Schmuddelwetter. Um sich die DDR vorzustellen einfach die perfekte Stimmung. Alles wirkt nur noch karger, meine Vorstellung vom Leben der Menschen hier wird in allem bestätigt. Meine beiden Anhalter sind ausgesprochen nett, so kenne ich sie mittlerweile, die Ossis. Ihr Unterhaltungston mir gegenüber ist leicht untertänig, ich muß ihnen deshalb auch alles aus der Nase ziehen, wie man so schön sagt. Zwei Jugendliche, die sich auf das Abenteuer Hamburg eingelassen haben. Ich frage sie über Steinmetze und Schmieden aus, weil ich mir gerade so ein HiFi-Rack gezeichnet habe. Aber das Thema ist bei der Materialfrage beendet. "Hier gibt's ja nichts", sagt mir Bernd. Stimmt, den Satz kenne ich von irgendwoher. Wir durchfahren kleine, unscheinbare Dörfer. Früher konnte man hier die Autos zählen, die in einem Monat durchfuhren, heute bewegen die Dorfbewohner ihre Köpfe wie auf einem Tennisplatz. Die Mülldeponie Schönberg soll hier rechts abgehen, der Geruch beweist es. Mein Gott, denke ich, hier ist das also wovon so oft berichtet wurde. Hier wurde wie überall über den Köpfen der Bevölkerung hinweg Entscheidungen getroffen. Keiner käme hier auf den Gedanken über Umweltverschmutzung zu klagen oder zu protestieren. Mit vollem Wissen darüber stimmen mir die beiden zu. Viele wußten über vieles bescheid, duldeten es schweigend, hatten aber Augen, Ohren und Mund verschlossen gehalten, haben sich so mit vielem abgefunden. Ich muß gerade daran denken, daß auch unsere Gesellschaft an vielen solcher Art Problemen einfach vorbeirauscht. Wir Westdeutschen sind so gesättigt und hier ist man um jede Erneuerung, um jedes Ereignis dankbar. Ich weiß, typische Phrasen die mir passender oder unpassender Weise gerade einfallen. Und trotzdem hämmern die sich permanent in mein Hirn bei diesem trostlosen Anblick links und rechts. Während dieses Grau an uns vorbei rauscht wird mir plötzlich bewußt was ich doch alles habe um eigentlich glücklich sein zu können. Wieviel muß ich noch haben? Muß da an „Haben oder Sein“ von Erich Fromm denken. Gutes Buch. Und meine Freunde im Fond glauben noch an diese Verheißung zu der sie vielleicht als neues deutsches Wirtschaftswunder beitragen. Die Fahrt ist unsäglich, will kein Ende nehmen. Recht dunkel ist es geworden, ich ahne schon, daß ich wohl nicht mehr allzu viel von Wismar haben werde. Zu beiden Seiten eine Baumreihe wie in einer Allee, ich beachte sie kaum. Ich sehe nur alte Häuser, verwahrlost, dreckige Betriebshallen mit verrosteten Schrottteilen, unordentlich über das Betriebsgelände verteilt, eingefallene Dächer, kleine graue Dörfer, wo mal ein menschlicher Schatten vorbeihuscht, den ich mit meinem Scheinwerfer einfange, um ihn gleich wieder zu verlieren. Es riecht falsch, überall hier. Es hieß immer, man könne sofort riechen, daß man in der DDR sei. Eine ungemütliche Stimmung ergreift mich, macht aber auch neugierig auf mehr. Endlich in Wismar angekommen begrüßen uns die typischen Mietskasernen. Die Kinder auf den verkrüppelten Gehwegen schauen uns mit Gesichtern an als kommen sie gerade aus einem Kohleschacht. Ernst und abgeklärt verfolgen ihre Blicke uns, bis auch wir sie im kalten, grauen Nebel verlieren. Gleich das zweite Haus ist eine Schmiede," informiert mich Bernd, "da kannst Du mal fragen." Einen HiFi-Ständer für meine HiFi-Anlage geschmiedet bekommen, und so denke ich, fragen kostet nichts. Doch außer erstaunten Blicken und Sätze wie "Wahnsinn, früher wäre das alles nicht möglich gewesen", muß ich mich vertrösten lassen, denn der Papa ist nicht zu Hause. Ist nicht weiter wild, also weiter. An der ersten Kreuzung müssen wir links abbiegen, zu Bernd's Eltern. Wismar grüßt uns gleich zu Beginn mit seinen Einheitswohnbunkern. Eine interessante Entdeckung mache ich, nach rechts kann ich immer abbiegen, selbst bei Rot. Dieser grüne Pfeil, wie in Amerika. Eine sehr sinnvolle Einrichtung. Außerdem steht direkt auf der Kreuzung ein gläserner Turm, also mittig auf der Kreuzung. Na ja, vielleicht heißt das Ding ja auch Ampelturm, keine Ahnung. Und in dem steht doch tatsächlich ein VoPo auf gut 3m Höhe und regelt den Verkehr in dem er die Ampel entsprechend schaltet. Immerhin, er steht im Trockenen. Finde ich wohl nur deshalb so kurios, weil ich so etwas noch nie gesehen habe. Wie ich das finde? Interessant, oder doch komisch? Egal, das gibt Pluspunkte für die DDR, denn hier wird nach Bedarf geregelt. Wir fahren nun links ab zu den Wohnbunkern. Dort wohnen die beiden. Oh man, sieht die Gegend hier trostlos aus. Ob das bei schönem Wetter besser zu ertragen ist? Irgendwo lese ich auf einem Plakat was von Demokratischer Frauenbund. War wohl so was wie die FDJ, nur für Frauen. In der Rudolf-Breitscheid-Straße wohnt Rainer. Das 10-stöckige Wohnhaus, daß wie das „Empire State Building“ aussieht, erkennt man schon auf der Landstraße. Es mag ja idiotisch klingen, aber ich glaube fast, daß ich den Trabbigestank vermissen werde wenn es keine Trabbis mehr geben wird. Aber das wird sicherlich nicht so schnell passieren. Er gehört zur DDR wie ... na ja, egal.
Seit Bestehen der DDR sind in Wismar mehr Wohnungen gebaut worden als in 7 Jahrhunderten zuvor. 42% aller Wohnbauten in der Stadt sind Neubauten und in denen lebt 45% der Bevölkerung. Erfahre ich alles von Bernd. Dieses Wohnviertel erblüht in grau, grauer gehts nimmer. Ich kneife die Augen zu, reibe mir die Augen, ich kann's nicht fassen, als wäre ich durch eine Filmleinwand gerauscht und stecke plötzlich in einem SW-Film. Grauer geht's beim besten Willen nicht mehr. Nicht einmal die blauen Trabbiwolken bilden hier noch einen Kontrast. Die Stimmung, wie in einem Agententhriller. Ich muß jetzt echt mal wissen, ob es bei Bernd in der Wohnung auch so grau aussieht. Also frage ich ihn, ob ich mit zu ihm kommen kann. Kein Problem für ihn. Auch sein Freund kommt noch mit hoch. Er wohnt noch bei seinen Eltern. Im Hochhaus stinkt es total muffig. Nach der ersten Tür ist noch mal eine Glastür, d.h. ein Vorraum. 30 Briefkästen hat es alleine in diesem Wohnbunker.
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