Maschinen schickten wir Menschen schon vor vielen Jahren, die ihn umkreisten und es noch immer tun. Andere landeten, auch flogen einige wieder davon. Eine sehe ich in mir: Westlich des Kraters Mie steht noch immer die Landeeinheit von Viking 2 inmitten von Sand, Geröll, Raureif und Eis. Und das bedeutet Wasser auf dem Mars. Wolken fallen mir ein.
In mir flüstert die Stimme: „Der höchste Berg, den wir Menschen bisher kennen, ist ein erloschener Vulkan. Olympus Mons haben wir ihn nach dem Göttersitz der alten Griechen genannt, 27 Kilometer ragt er auf, und sein Haupt umkrönt eine Wolke.“
Wolke sein. In dieser Wolke steige ich vom Gipfel des Berges auf. Nun schaue ich aus Menschenaugen und sehe die Farben des Mars, wie ich sie einst vor langer Zeit in Büchern auf Erden sah: Rot ist der Staub, der Sand, rot vom Eisenoxid, das alles überzieht. Eine verrostete Welt, die einst einmal blühte. Wie wird die Erde in Jahrmilliarden aussehen?, frage ich mich.
Dunst am Horizont zeigt mir die dünne Atmosphäre an. Das Kohlendioxid ist da, das irdische Pflanzen brauchen. Marspflanzen sehe ich, nicht die aus alten Zeiten, sondern die aus der Zukunft, die speziell gezüchtet an die derzeitigen Temperaturextreme angepasst sind. Mit ihren Wurzeln holen sie Wasser aus der Erde und mit den Blättern atmen sie Kohlendioxid und Sonnenlicht. Ein Pflanzenparadies ist dieser Planet.
Ich schaue in die Weite, wo Stürme wüten und Sand aufwirbeln. Sie hüllen alles ein, wo einst in dichterer Atmosphäre gewaltige Flüsse flossen, deren Canons heute noch zu sehen sind. Roter Sand weht dort unten über ödes Land.
Dann ist Stille.
S t i l l e.
Nirgendwo fahren jetzt diese niedlichen, immer noch aktuellen Roboter auf Rädern, noch gehen da die zukünftigen auf allen Achten, Sechsen, Vieren, noch laufen Menschen über die Weiten. Der Himmel wird klar bei Nacht. Dort oben gehen die gleichen Sterne wie über der Erde auf. Ich lausche, bin tot und lebe. Alles ist gut.
S t i l l e.
„Einst, das war im Jahr 2003, lange war der Mars nicht mehr der Erde so nah gewesen, schauten viele Menschen auf. Manch einer dachte an die Invasion der kleinen grünen Marsianer aus der Science Fiction Literatur, die doch eigentlich gut getarnt eher rot und groß sein sollten. Andererseits sähen Marswesenaugen anders als Menschaugen, also ...“, spricht die Stimme in mir und fährt fort, eine unsichere Zukunft auszumalen, spricht von 2011, dem Landungsjahr der Roboter, und von 2030, dem Jahr, in dem die ersten Menschen den Planeten betreten sollen.
Nun ja, die ersten lebenden Menschen werden’s nicht leicht haben, es sei denn, die Kälteschlaftechnik ist bis dahin ausgereift und schnellere Antriebe sind entwickelt. Denn sonst werden sie große Mengen an Lebensmitteln mitnehmen oder sie anbauen müssen. Muskeln und Knochen heißt es in der Schwerelosigkeit zu bewahren und wieder aufzubauen. Dann sind da die starke Weltraumstrahlung, die Temperaturen und das Fehlen von Sauerstoff draußen im Raum und hier auf dem Mars. Ja, so oder so ähnlich wird das alles geschehen, wenn auch die zeitlichen Angaben noch nie stimmten. Wen wundert’s, wenn auf Erden noch immer Milliarden für Kriege von Menschen gegen Menschen ausgegeben werden.
Menschenprobleme, die die heute Lebenden und zukünftige Generationen lösen müssen.
Ich aber bin doch tot, habe all das längst hinter mir gelassen, sollte man meinen. Doch so ist es ja nicht.
Bin jetzt hier allein in der Stille.
Das muss man erlebt haben: Valles Marineris , diesen Canyon aller Canyons. Hier hindurchschweben, -fliegen, -rasen und in die Tiefen tauchen, fällt mir ein. Welch ein Menschentraum!
Ich tue es, erlebe es, ohne am Leben zu sein.
Berauscht tauche ich schließlich wieder an der Oberfläche auf und fliege in der dünnen Marsatmosphäre nach Norden, der weißen Polkappe zu.
„Schon bald wird hier Phoenix landen und das Wasser auf Leben analysieren“, flüstert die Stimme in mir.
Schon von der Erde aus zu erkennen, hier aber so dicht unter mir einfach gigantisch und fantastisch, erstreckt sich die nur im Sommer ein wenig abschmelzende kilometerdicke Eisdecke über Tausend Kilometer rings um mich herum. Hier ist Eis, gefrorene Flüssigkeit, gefrorenes Kohlendioxid, aber auch Wasser, das einst über die Oberfläche in Flussbetten floss? War es so und wenn es so war, wann war das? Gibt es noch immer flüssiges Wasser in den Tiefen? Hatte der Mars einst eine Atmosphäre? Gab es hier Leben? Und wie sah es aus?
Ja, ja, ja.
Ach, einen weiteren kleinen Scherz nach meinen Steinzeichen auf der Mondin möchte ich mir doch noch erlauben. Dorthin, wo die Stürme sind, zieht es mich. Und sind sie nicht da, so entfache ich sie. Mit dem Sturm über die Weite treiben, Staub sein und eine Wolke umformen, sie wieder verlassen und hinaustreiben in die Schwärze, das tue ich - jetzt.
Und wieder wie schon einmal sind viele auf Erden außer sich. „Da ist ja der Beweis von intelligentem Leben auf dem Mars“, jubeln und schreien sie, „das nun erwacht mit den Menschen kommuniziert.“ Denn die Sonden haben es aufgezeichnet und an die Erde übermittelt, ein Wort nur, nicht mehr, doch nicht die Menschenzeichen, die eine Kreuzspinne in ihr Netz spann, um ein kleines Schwein vor dem Schlachten zu retten, sondern ein einfaches „Hallo“ aus Menschengeist. Und die Naturwissenschaft spricht von Zufall. Und das Wolkenwort verweht. Kein Beweis ist geblieben. Kein Marsmensch hat es gebildet, wie wir alle wissen, und auch kein Lebewesen anderer Art, sondern ein Toter, nun ja, die Seele eines Toten, Manfred der Magier hat es getan und sich köstlich amüsiert.
Jetzt schaue ich doch kurz noch bei den beiden Marsmonden vorbei. Ach, sie sind ja nur kleine, eingefangene, unregelmäßig geformte Felsbrocken - Planetoide. Und sie tragen die Namen der Pferde, die den Kampfwagen des Kiegsgottes Mars zogen: Furcht und Schrecken - Phobos und Deimos . Doch wo ist der Wagen, den sie ziehen? Und den Mars ziehen sie sicher nicht, auch wenn alles mit allem verbunden ist und sich hier und da und allüberall die Raumzeit krümmt.
Phobos ist der äußere. Der sieht wie eine Kartoffel aus und trägt einen riesengroßen Krater. Ich sehe und verstehe: Ein einschlagende Meteorit erzeugte ihn und wandelte Phobos in einen Geröllhaufen um. Also könnten in ihm viele Höhlen verborgen sein.
Ich bin in seinem Innern, schließe alle äußeren Sinne und sehe hier Raumschiffe landen und starten, denn Phobos’ Schwerkraft ist gering. Füße wirbeln die schwarze meterdicke Staubschicht, zerpulverter Stein, beim Gehen auf. Für einen lebenden Menschen ohne Schutzanzug ist es abgesehen vom Fehlen der Atmosphäre hier ein wenig extrem. Die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht reichen von unter Null bis über 110°C. Das wäre ja schon wieder was für die Tourismusindustrie, denke ich gerade und sehe, höre und fühle auch schon den ganzen Trubel: Einmal den Roten Planeten sehen und sterben.
„Irgendwann wird Phobos vom Mars auseinandergerissen werden und einen Marsring bilden oder aber auf den Mars stürzen“, flüstert mir die Stimme zu.
Oder aber unsere Nachfahren halten ihn in der Zwischenzeit, 50 Millionen Jahre sind ja eine lange Zeit, davon ab, fällt mir ein. Das müsste doch wohl zu schaffen sein.
Deimos hingegen wird in einer noch ferneren Zukunft dem Mars entfliehen, es sei denn, unsere Nachfahren haben mit ihm ganz etwas anderes vor.
In nur 6000 Kilometer Entfernung sehe ich gelblich den gewaltigen Mars aufgehen. Dann erweitere ich meinen optischen Sinn über den Spektralbereich eines Menschenauges nach unten ins Infrarote und nach oben ins Ultraviolette, wechsle hin und her in den Spektren, schließe meine Augen und sehe ihn in mir, und meine Seele lacht.
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