Und weiter zurück reichen meine Erinnerungen, die niemals die von einem Lebewesen sein können und es auch nicht sind, denn damals gab es mich noch nicht und auch sonst keinen Menschen noch Leben noch Erde, als es geschah:
Alles ballt sich zusammen und entzündet sich. Das ist die Geburt des Sonn. Planeten fangen Trümmer ein und wachsen. Wir alle treiben. Die kleineren von uns schlagen auf den größeren ein, wir verbinden uns und formen Erde und Mondin. Wir werden eins mit den großen Planeten. Wir kreisen allein für uns in den leeren Zonen mit all den anderen, die es auch heute noch gibt.
„So alt bist du, sind wir alle, so alt und noch viel älter, denn alles, was ist, das wandelt sich beständig. Seit 4,6 Milliarden Jahren schweben all die Objekte hier im Kuipergürtel“, spricht Er Dort Oben in mir.
Wo bin ich?
Ich suchte meinen Weg von der Erde nach außen. So müsste ich also nun ... So fern wie nie zuvor bin ich dem Sonn. Besäße ich noch einen Menschenkörper, er wäre längst zu Eis gefroren.
Noch einmal schaue ich zurück, doch nicht mit äußeren Sinnen. Tief blicke ich in mich hinein und sehe die dunklen Sonnenflecken.
Und die Stimme in mir flüstert: „Das sind die Stellen, wo Magnetismus Materie hält, Strahlungseruptionen. Alle elf Jahre nehmen sie zu. Dann vermehren sich die Polarlichter im Magnetfeld der Erde, der Satellitenfunk wird gestört. Das geschieht schon seit Jahrmillionen, doch jetzt erst berührt es uns, zu dieser Zeit mit dieser Technik. Bald ist diese und dann sind auch wir nur noch Vergangenheit. Denn die, die uns folgen, werden keine Menschen mehr sein. Und irgendwann wird auch unsere alte Heimat untergehen, denn dann dehnt sich Vater Sonn aus, schluckt Merkur und Venus und verbrennt Mutter Erde. Und alles, was dann noch darauf lebt, vergeht. So wird es geschehen.“
Mag sein, mag sein, denke ich, der ich hier und jetzt nicht in ungeborenen Feuern brenne, sondern hier draußen an den Grenzen des Sonnensystems schwebe, die gar keine Grenzen sind, denn das All ist grenzenlos.
„Oortsche Wolke“, flüstert die Stimme in mir einen Namen, der nur ein Menschenwort ist, nicht mehr.
So viel Leere überall, dort innen, dort außen. Und hin und wieder ein Körnchen Staub, ein Bröcklein Gestein, ein wenig Eis.
Ich bewege mich und setze die Bewegung in Gang. Einer der eisbedeckten Felsen treibt nach innen, hin zum Sonn. Einst wird er in den Augen der Menschen als neuer Komet aufgehen. Ich sehe ihn sich entzünden im Sonnenwind, spüre seinen Schweif, bin jetzt ein Teil von ihm, eins mit der Materie – Stein und Eis, taste mich durch ihn hindurch hin zur sonnenzugewandten Seite, beginne mich auch schon aufzulösen, empor- und davonzuwehen. Das hat doch was. So etwas ...
Jahrzehnte später schauen Menschen der Erde den Kometen. Diesmal jedoch waren es nicht Priester, die ihn als Zeichen Gottes und nahenden Unheils begreifen, Buße tun und auf das Ende der Welt warten, sondern Naturwissenschaftler, also Gläubige anderer Art, die ihn nicht mit bloßem Auge, sondern mit viel Technik viel eher, als es früher möglich war, entdeckten. Einer unter ihnen ist außer sich vor Freude, denn er meldete ihn als erster und gab ihm eine Nummer, und nun trägt der Komet seinen Namen. Jetzt ist dieser Mensch unsterblich - heißt es. Milliarden schauen - nicht in den Himmel, sondern meist über die Medien, staunend und ergriffen den neuen Kometen am Himmel aufgehen und wissen doch nicht, weshalb er da ist, wo er ist, und dass da ein Teil von ihm einst einmal von Manfreds Seele durchdrungen war. Der aber hat sich längst weiterentwickelt, ist nicht mehr allein, sondern mit den anderen verbunden, die sind wie er, es immer waren und sein werden.
Träume ich?
Ich sehe Kometen, Planetoiden, Monde, Planeten und Sonnen. Nach innen, nach außen, ringsherum im Kreis und hin und her, überallhin schweben sie im Raum, werden eingefangen, lösen sich, stürzen hinab, prallen auf, enden und enden doch nicht, sondern existieren weiter als Teil von etwas anderem. Solches geschieht mit Gasen, mit Flüssigkeiten, Gesteinen und den Körpern von Lebewesen. Menschen sehe ich. Nein, ich erkenne keinen unter ihnen, die da in Kitteln herumwuseln, als wären es Ameisen in einem Ameisenhaufen. Ja, jetzt erkenne ich, was sie da bauen. Mit Raketen schicken sie diese Satelliten von der Erde ins All. Die meisten von ihnen sind Augenblicke, Tage, Wochen, Monate, Jahre später nur noch Weltraumschrott. Weniger aber sind noch immer aktiv.
„Voyager“, flüstert die wohlbekannte Stimme in meinem Traum.
Ich sehe die beiden Voyager-Sonden dort schweben, jede mit einer goldenen Schallplatte unter der Schutzhülle auf der Außenseite, die für die „Ewigkeit“ und außerirdische Zivilisationen gemacht sein soll. Sehr lustig, denke ich. Dabei ist es doch ein Mensch, nun ja, eine menschliche Seele, der sie hier als erster findet. Andere Menschen in Weltraumschiffen werden mir folgen. Also stellt sich nicht die Frage nach den Aliens, sondern eine ganz andere über das Schicksal dieser und all der anderen Sonden: Wer wird sie - nach mir - zuerst finden? Werden es Weltraumpiraten sein, die sie ausschlachten, Konzerne oder eher doch eine Weltregierung, die sie einfängt und in ein Museum auf der Erde stellt? So oder so, wie es auch immer kommen mag, hier bei Voyager 2 frage ich mich nun, wo da ein Abspielgerät für die Platte ist. Kann keins entdecken. Doch halt, da ist es ja unter der Goldplatte mit der spinnennetzartigen Struktur verborgen. Schon ist die Scheibe aufgelegt, ein wenig Energie hinzugefügt, und die Grußworte in ach so vielen Sprachen an, aha, Deutsch, von einer Frauenstimme gesprochen, ist ja auch dabei, erklingen: „Herzliche Grüße an alle!“ Dann vernehme ich die Worte eines amerikanischen Präsidenten, der es längst nicht mehr ist, und stimme ihm zu. So ist es. Die Menschheit hat tatsächlich so lange überlebt, um mein Zeitalter zu erleben. Haha. Ach so, wird mir klar, ich bin ja gar nicht der Adressat, gemeint ist ja eine ferne außerirdische Zivilisation. Ich lausche dem Wind und dem Donner. Tierstimmen erklingen und die Musik der Welt - die alten Lieder der Völker, Bach, Mozart und Jazz.
Weine ich?
Ich tue es - tränenlos.
Und schon flüstert die Stimme mir ein anderes Wort zu, das da lautet: „Pioneer 10.“
Ich sehe den Satelliten in mir, während ich durch die Leere schwebe. Nein, er trägt keine Schallplatte, sondern eine goldene Plakette: Mann und Frau, Sonn mit seinen Planeten und der Kurs, der vom dritten nach außen führt, und weitere Zeichen.
Wo bist du jetzt? Noch immer auf dem rechten, sorry, richtigen Weg?
„Aldebaran ist der Name des Sterns, den du in zwei Millionen Jahren erreichen sollst“, höre ich es flüstern.
Ich kichere. Welch ein Witz, als ob sich die menschliche Raumfahrt nicht weiterentwickeln würde. In ein paar Jahren werden Pioneer 10 und all die anderen alten Sonden sowie der Weltraumschrott von Menschen oder deren Maschinen eingesammelt werden. So wird es sein und nicht anders.
Doch das ist Zukunft.
Ich bin hier und jetzt, auf Erden gestorben, doch immer noch existent.
In alle Ewigkeit? In dieser Form? Allein? Und wohin geht meine äußere Reise überhaupt, von der inneren einmal ganz zu schweigen?
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