Anke-Larissa Ahlgrimm
7 Jahre Schneeregen
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Inhaltsverzeichnis
Titel Anke-Larissa Ahlgrimm 7 Jahre Schneeregen Dieses ebook wurde erstellt bei
Teil 1 Teil 1 And pretty soon you‘ll be floating away And I‘ll hold on to the words you spoke of Anchored down in my throat - Ed Sheeran
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
Teil 2
XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
XVII
XVIII
XIX
XX
XXI
XXII
XXIII
Teil 3
XXV
XXVI
XXVII
XXVIII
XXIX
XXX
XXXI
XXXII
XXXIII
XXXIV
XXXV
XXXVI
XXXVII
XXXVIII
Danksagung
Impressum neobooks
And pretty soon you‘ll be floating away
And I‘ll hold on to the words you spoke of
Anchored down in my throat
- Ed Sheeran
Havens Sicht
[10. August, 2002]
„Versuche dich zu beeilen“, rief Mum mir nach, als ich bereits die Treppen vor unserem Haus runterlief. In meinen Händen hielt ich ein Tablett mit kleinen Muffins, die wir gerade erst aus dem Ofen geholt hatten. Wie immer war es meine Aufgabe, das Gebäck bei der Bäckerei vorbeizubringen. „Und grüße Barbara von mir!“
„Mach ich!“ Meine Stimme war wahrscheinlich so laut, dass die ganze Straße mich hören konnte, aber ich kannte jeden hier und ich war mir sicher, ich würde niemanden stören. Zumindest nicht, wenn ich einmal am Tag laut schrie.
Der Weg zur Bäckerei dauerte nur zehn Minuten und da ich ihn öfter ging, war es auch nicht sonderlich aufregend. Es war Hochsommer, die meisten Stadtbewohner – oder zumindest, die, die Kinder hatten – waren buchstäblich ausgeflogen und sonnten sich nun in der Sonne Italiens. Mum, meine Schwester Jada und ich blieben wie immer hier, da wir das Geld, das wir für einen Urlaub ausgeben würden, lieber für andere Sachen ausgaben und dann im Herbst vielleicht für ein Wochenende wegfuhren. Das machten wir schon so, seit dem ich denken konnte und ich hatte nie ein Problem damit.
„Haven! Wie schön dich zu sehen“, begrüßte mich die ältere Dame hinter der Theke, kaum hatte ich die Bäckerei betreten. Wie immer trug sie ihre rote Schürze und ihr freundlichstes Lächeln.
„Hallo, Barbara“, grinste ich und stellte das Tablett auf der Glastheke ab. Während Barbara noch die Muffins begutachtete, nahm ich mir einen davon und entfernte das Papier vorsichtig. „Ich soll dich noch von Mum grüßen.“
„Gruß zurück, aber ihr müsst das wirklich nicht dauernd machen. Wir sind eine Bäckerei, wir können gut selber Muffins backen“, sagte Barbara in einem strengen Ton und zog ihre Augenbrauen hoch. Amüsiert, da sie es nicht wirklich ernst meinte, rollte ich mit den Augen und biss in den Muffin.
„Aber dann könntet ihr sie nicht verschenken.“
„Sprich nicht mit vollem Mund“, lachte sie kopfschüttelnd und beugte sich über die Theke, um mir einen Krümel von den Mundwinkeln zu wischen. Schmunzelnd kaute ich weiter auf dem Gebäck. „Und was hat mein Lieblingsjunge heute noch vor?“
„Lesen“, antwortete ich ehrlich und verlagerte mein Gewicht von einem Bein auf das andere. Die grauhaarige Frau stieß ein leises Lachen aus. Wenn sie lachte, sah sie viel jünger und entspannter aus. Ich liebte es Menschen zum Lachen zu bringen und bei Barbara liebte ich es fast noch mehr.
„Ich sehe, du bist ein vielbeschäftigter Mann.“ Barbara löste die Schleife ihrer Schürze, um sie danach etwas fester zu binden. Dann richtete sie das Tablett auf der gläsernen Theke und stellte dann ein kleines Papierschild daneben, das die Kunden höflich aufforderte sich einen Muffin zu nehmen. Das Schild hatten Jada und ich vor ein paar Monaten gebastelt und die Bäckerei hatte es nun behalten, da Barbara wusste, wir würden nicht aufhören für sie zu backen. „Dann überlasse ich dich mal wieder deiner Lektüre.“
„Danke, Babs. Schönen Tag noch!“ Lächelnd winkte ich ihr und ihren Kolleginnen zu und verließ dann das kleine Geschäft. Ich konnte es kaum erwarten, nach Hause zu kommen und mein Buch weiter zu lesen. Mum hatte mir letztens erst Harry Potter und der Stein der Weisen geschenkt und seit dem war ich gerade zu gefangen in der Welt der Zauberer.
Ich war schon fast Zuhause und gerade in unsere Straße eingebogen, als ich jemanden entdeckte. Dieser Jemand war ein kleines Mädchen, das mitten auf dem Bürgersteig saß und sich mit großen Augen umsah. Verdutzt blieb ich stehen. Ich hatte sie noch nie hier gesehen, weshalb ich nicht wusste, ob irgendwer ein Auge auf sie hatte. Also ging ich vor sie in die Hocke, damit wir etwas mehr auf Augenhöhe waren.
„Hallo, ich bin Haven und du?“ Das Mädchen mit den hellblonden Haaren sah mich neugierig an, während sie weiterhin auf ihren Fingernägeln kaute.
„ Maman m’appelle chérie “, nuschelte sie. Meine Augenbrauen schossen sofort in die Höhe. Fremdsprachen waren nicht sonderlich meine Stärke, aber wenn ich mich nicht täuschte, handelte es sich hierbei um Französisch. Eine Sprache, die ich weder sprechen konnte noch lernte
„Cherry?“, hakte ich deswegen unsicher nach. „Ist dein Name Cherry?“ Ein ziemlich großer Stein fiel mir vorm Herzen, als die Kleine nickte. Zumindest wusste ich ihren Namen. „ Wohnst du hier in der Straße?“
„Paris“, antwortete Cherry kopfschüttelnd. „ Chez Mamie .“
„Du wohnst in Paris?“ Das würde die französische Sprache erklären. „Aber ist deine Mutter nicht hier in der Nähe?“
Cherry zuckte mit den Schultern und murmelte etwas auf Französisch. Nachdenklich sah ich in ihre blauen Augen. Ich konnte sie ja schlecht hier auf dem Boden sitzen lassen und dazu ganz alleine.
„Weißt du was? Wir werden deine Mum schon finden. Na komm“, sagte ich lächelnd und stellte mich wieder aufrecht hin. Ich erwartete, dass Cherry aufstand und mir folgte, doch sie blieb stumm sitzen und streckte ihre Arme nach mir aus. Schmunzelnd hob ich sie hoch und setzte sie auf meine Hüfte. „ Wo hast du Mummy zuletzt gesehen?“
„ Là-bas .“ Mit ihrem kleinen Finger deutete sie die Straße entlang, wo ein großer Anhänger parkte. Als wir näher kamen, bemerkte ich, dass der Wagen vor unserem Haus stand. Wie hatte ich ihn davor nicht bemerken können? Auch Cherry betrachtete das Fahrzeug mit gekräuselter Stirn. Es schien so als würde sie seinen Anblick nicht mögen. Plötzlich trat eine Frau aus unserem Nachbarhaus. Sie trug einen Karton in den Händen, jedoch fiel ihr das aufgrund ihres Schwangerschaftsbauches etwas schwer.
„Wie hätte ich denn ahnen sollen, dass du auch Sachen deiner Mutter in Kartons gepackt hast?“, rief sie ins Haus. Ihre Stimme war von einem dicken französischen Akzent geprägt, weswegen ich keine Zweifel hatte, dass sie zu Cherry gehörte. Vor allem merkte ich es aber daran, dass Cherry zu strahlen begann und ich sie absetzen musste, damit sie nicht aus meinen Armen sprang. Also stellte ich sie wieder auf ihre eigenen Füße, damit sie zu der brünetten Frau rennen konnte. Diese sah sie erst überrascht an und nahm sie dann auf den Arm.
„ Chérie, qu’est-ce que tu as fait?Oú étais-tu? Je me suis fait du souci ! “ Ich hörte noch eine Weile zu, wie die Frau – die Cherrys Mutter zu sein schien – zu dem Mädchen auf französisch sprach. Für mich klang es sehr wie eine Standpauke, jedoch verstand ich wirklich kein Wort. Erst als ein Mann dazu trat, wandte ich meinen Blick von den Beiden ab, um ihn zu beobachten. Ich war mir ziemlich sicher, dass er Cherrys Vater war. Sein blondes Haar und die hellen Augen ähnelten denen von Cherry sehr und auch seine Gesichtszüge glichen ihren. Er war auch derjenige, der mich endlich bemerkte.
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