Morghans Körper verkrampfte sich, als wollte sie mit ihrem Pferd über ein hohes Hindernis springen. Sie richtete sich auf, zog die Beine an und ihre Bewegungen wurden schneller. Sie keuchte, als würde sie wirklich galoppieren. Als sie zum Sprung ansetzte und sich auf mich warf, zerbarst ich in einem Funkenflug der Lust.
Für einen winzigen Augenblick fühlte ich mich Gott nahe. Dann war er wieder so fern wie zuvor.
Morghan rollte sich von mir herunter und lag in meinem Arm.
»Seid ihr endlich fertig?«, hörte ich Turai von jenseits der Feuerglut fragen. »Das muss ja mächtig Spaß gebracht haben!«
Ich warf ihm einen giftigen Blick zu und zog Morghans Terleg über uns, denn Jesutai hatte die Schlafdecke mitgenommen.
Als ich bei Sonnenaufgang erwachte, war sie verschwunden. Turai und Jesutai schliefen noch, als ich mich anzog, um zum Fluss hinunter zu gehen.
Ich war froh, dass ich Morghan noch nicht begegnete. Ich hätte ihr nicht in die Augen sehen können. Ich war in Dschamugas Ordu gekommen, um einen Vater zu suchen. Ich hatte all meinen Mut aufbringen müssen, um mich meiner Vergangenheit zu stellen, wie auch immer die Konsequenzen waren. Nun war alles anders. Ich war verliebt in Dschamugas Tochter, die vielleicht meine Schwester war. Wie sollte ich mich ihr gegenüber verhalten?
Ich setzte mich an das Ufer des Flusses und betrachtete das Wasser. Was geschehen war, war geschehen. Ich hatte mit ihr geschlafen. Der Fluss fließt nur in eine Richtung. Stromabwärts. Sollte ich den Mann, den ich fragen wollte, ob er mein Vater war, um die Hand seiner Tochter bitten? Und wenn ich nun doch sein Sohn war? Dann hätte ich mit meiner Schwester die Nacht verbracht. Ich schüttelte den Kopf, um die irrsinnigen Gedanken loszuwerden, aber es gelang mir nicht. Was sollte ich tun? Den Weg weitergehen, den Morghan und ich beschritten hatten? Vor ihr fliehen und in mein Ordu zurückkehren, um sie nie wiederzusehen? Ich wollte beides, mich ihr hingeben und vor ihr fliehen, ich wollte nichts von beidem, wollte bleiben und die fremden, süßen Gefühle genießen, die schon ihre Blicke in meinem Körper hervorriefen und sie einfach nur ansehen.
Jesutai setzte sich neben mich ins Gras, nachdem er sich das Gesicht gewaschen hatte. Ich war froh, dass er mir nicht einmal einen guten Morgen wünschte, sondern einfach nur neben mir saß. »Jetzt hast du wirklich ein Problem«, sagte er, als ob ich das nicht wüsste.
An diesem Nachmittag kehrten Dschamuga und seine Gefolgsleute von der Jagd zurück. Noch während die erlegten Murmeltiere von den Sätteln gehoben wurden, traf ein Pfeilbote des Khan ein.
Dschamuga machte sich nicht die Mühe, ihn in seine Jurte zu führen, sondern nahm die Nachricht seines Anda entgegen, bevor der Bote noch absteigen konnte, um eine Schale Airag zu leeren. Dschamugas Verhalten war dem Boten des Khan gegenüber unhöflich und beleidigend. Ich sattelte mit Aldschai zusammen Dschamugas Lastpferde ab, die mehrere Dutzend Murmeltiere trugen und so konnte ich hören, was der Bote auszurichten hatte.
»Was will Temudschin von mir?«, fragte Dschamuga, als sei ihm nicht bekannt, dass sein Anda nun Dschingis Khan war.
»Der Khan bittet Euch, an dem Feldzug teilzunehmen, Fürst Dschamuga.«
»Er hatte mir vor Wochen bereits einen Boten gesandt, den ich mit meiner Antwort zu ihm zurückgeschickt hatte.«
»Der Khan hofft auf eine Antwort, die ihm besser gefällt als die letzte.«
»Ich kann nichts dafür, wenn ihm meine Antworten nicht gefallen.«
»Ich soll Euch ausrichten, dass Togrul Khan Euch einen erheblichen Beuteanteil versprochen hat, Fürst Dschamuga.«
»Togrul Khan verspricht mir Beute? Ist der alte Falke schon wieder in Amt und Würden? Ist sein Bruder denn bereits geschlagen? Große Worte eines alten Mannes!« Dschamuga spuckte ins Gras. »Warum schickt mir Togrul keinen Boten, wenn er Krieg führen will?«
»Die Kereit stehen unter dem Kommando von Dschingis Khan.«
»Dann erwartet Temudschin also allen Ernstes, dass ich für ihn Krieg führe, dass ich das Leben meiner Männer riskiere, um ihm zu helfen, den alten Falken wieder in den Sattel zu helfen? Das ist ...« Dschamuga verriet dem Pfeilboten nicht, was er davon hielt und ging einige Schritte auf und ab.
Aldschai half mir, den Sattel vom Pferd zu heben und die Murmeltiere ins Gras zu legen.
Dschamuga hatte seine Wanderung beendet und war zum Boten zurückgekehrt, der wie eine Statue auf seinem Pferd hockte und nicht abzusteigen wagte. »Reite zurück«, befahl er dem Reiter, »und sag dem Khan, dass ich kommen werde. Mit meinen Männern.«
In der gleichen Nacht begann Dschamuga seine Pfeile zu sortieren, sein Schwert zu schärfen und seine Söhne halfen ihm dabei, die Satteltaschen mit Proviant aus Trockenfleisch und Käse zu füllen.
Ich saß stumm daneben. Ich hatte nichts zu tun als zuzusehen. Und zuzuhören.
Ich hatte während des ganzen Nachmittags keine Gelegenheit, allein mit Dschamuga zu sprechen. Die meiste Zeit war er von seinen Offizieren umringt gewesen, die aus den Nachbarlagern herbeigerufen worden waren.
Den ganzen Nachmittag und den halben Abend waren Pläne wie Schwerter geschmiedet, an Heeresformationen und Schlachtordnungen herumgefeilt worden wie an Pfeilen. Dschamuga war nicht eine Minute allein gewesen.
»Werdet Ihr Euch nun doch dem Khan anschließen?«, fragte Turai.
»Nein, Turai. Ich werde mich Togrul anschließen. Ich habe Temudschin keinen Treueschwur geleistet. Ich folge, wem ich will.«
»Warum unterstützt Ihr Togrul, wenn der sich doch bereits Dschingis Khan unterworfen hat?«
Dschamuga sah Turai an, als wollte er ihn schlagen. Aber Turai war zwölf Jahre alt und ließ sich von seinem Vater nicht einschüchtern.
»Togrul ist nicht zu trauen. Wenn ich ihn unterstütze und er wieder Khan der Kereit ist, wird er sich gegen Temudschin wenden und mit mir ein Bündnis schließen.«
»Aber wenn ihm nicht zu trauen ist, Vater, wieso sollte er dann den Khan verraten und Euch nicht?«
Dschamuga sah Turai nachdenklich an. »Togrul ist ein Mann mit dem Blick und den Gedanken eines Falken, während Cousin Temudschin von seinen eigenen Vision geblendet ist. Er hält vieles für die Wirklichkeit, was nur in seinen Gedanken und Träumen existiert. Togrul wird Temudschins Himmelsreise beenden und ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Das wird Temudschin nicht gefallen. Er ist in den letzten Jahren sehr selbstgefällig geworden. Er hat vergessen, wie schwach wir Mongol sind. Er hat aus Angst vor einer Niederlage vorsichtshalber gar nicht erst Krieg geführt. Jetzt fühlt er sich stark und glaubt, die Kereit und die Naiman besiegen zu können. Und wenn er einem dankbaren Togrul seinen Titel zurückgegeben hat, dann wird er sich auf mich stürzen. Er wird nicht erst in sein Ordu zurückkehren und seine Pferde absatteln, sondern nach Osten ziehen.«
Turai sah seinen Vater mit großen Augen an. »Ihr meint, dass er uns angreifen wird?«
»Warum sollte er das tun, Vater?«, fragte Aldschai, der bisher geschwiegen hatte.
»Ich war einer der wenigen Fürsten, die ihn vor acht Jahren nicht gewählt haben. Satscha, Altan und Kuschar haben ihn gewählt, wenn auch nur widerwillig. Satscha und Buriboko sind bereits tot. Man sagt, dass er gerade einen Streit mit Altan und Kuschar anfacht. Der Khan wird seine ganze Familie umbringen, um an der Macht zu bleiben.«
»Sind wir auch mit ihm verwandt, Vater?«, fragte Alschai.
»Weitläufig«, sagte Dschamuga. »Aber verwandt genug, damit er sich mit mir anlegt. Ich bin ihm im Weg, wohin er auch gehen will. Und er weiß, dass ich das weiß und deshalb will er mich lieber tot als lebendig sehen. Er ist geradezu besessen von der Idee, mich aus dem Weg zu räumen.«
»Aus dem Weg zu räumen? Aus dem Weg wohin, Vater?«
Читать дальше