»Es sieht ganz danach aus, als wäre die Sonde in eine kleine Öffnung gefallen, oder hat beim Aufsetzen eine dünnere Gesteinsschicht durchbrochen«, erklärte ihnen der Mann im Anzug.
»Entschuldigung!«, unterbrach ihn eine Frau aus der letzten Reihe. Walter kannte sie. Doktor Susanne Widmar war über die Jahre eine gute Freundin von Walter geworden. Die Expertin auf dem Gebiet der Planetologie war bekannt für ihre schnell aufbrausende Art. Mehrmals war sie mit den Kollegen aneinandergeraten, wenn sie überzeugt war, im Recht zu sein.
Susanne Widmar stand auf und blickte den unbekannten Mann verärgert an.
»Was wollen Sie eigentlich von uns? Die Mission ist gescheitert. Uns bleibt gerade noch die Mars Express - Sonde, aber die Landeeinheit …«, fuhr sie den Mann an.
»Diese Landeeinheit wird wahrscheinlich er Grundstein für eine der größten Entdeckungen der Menschheit sein«, meinte dieser emotionslos.
Fragende Blicke waren auf ihn gerichtet.
»Dies ist das letzte Bild, das wir von Beagle 2 empfangen haben. Denke Sie bitte daran, es ist streng geheim und nichts davon wird vorerst an die Öffentlichkeit kommen.«
Walter überlegte, was der Anzugträger ihnen wohl für eine Entdeckung anzubieten hatte.
Als das große Bild vor ihm an der Wand erschien, verschlug es nicht nur ihm die Sprache. Eine junge Frau ließ einen kurzen Schrei los, ein anderer richtete sich spontan auf und fiel fast mit dem Sessel rückwärts. Susanne Widmar blinzelte mehrmals und wich einen Schritt von ihrem Tisch zurück. Walter blickte mit offenem Mund und aufgerissenen Augen auf die Wand.
Das Bild wurde gemacht, als die Sonde in eine Höhle fiel. Die Wände rostig rot, fast leuchtend. Aber das Unglaubliche war am Boden der Höhle zu sehen.
Dort wuchsen unzählige unbekannte Pflanzen in den verschiedensten Farben. Die Blätter schimmerten in allen möglichen Rot- und Brauntönen, gelbliche Knospen waren in alle Richtungen geneigt. Eine weitere Pflanze fiel Walter auf. Der untere Teil glich einem Ameisenhügel. Aus der oberen Spitze ragte ein langer bräunlicher Stil mit Dornen in die Luft, an dessen Ende eine Blüte war, in deren Mitte eine blaue Knospe herausleuchtete. Mehrere dieser blauen Knospen lagen auf dem roten Steinboden. Bei jeder Pflanze waren auf dem Boden kleine grasähnliche Büschel zu erkennen.
Walter schüttelte den Kopf, schloss für einen Moment die Augen und sah erneut zu dem Bild. »Das ist ... unmöglich«, stammelte jemand neben ihm.
»Verstehen Sie nun, meine Damen und Herren, warum unser Treffen streng vertraulich ist?«, fragte der Mann am Pult, immer noch ohne Emotionen.
»Das … das heißt … Wir haben Leben auf dem Mars gefunden«, stotterte Walter, der stehend das Bild in sich aufsog. Seit Jahrzenten war er überzeugt davon, dass es außerhalb der Erde Anzeichen für außerirdisches Leben geben musste, nun hatte er den Beweis vor seinen Augen.
»Sie haben es erkannt. Wir haben sie alle hier ausgewählt, um ein neues Projekt auf die Beine zu stellen. Eine bemannte Reise zum Mars um diese Pflanzen zu untersuchen und einzusammeln«, offenbarte der mysteriöse Mann ihnen.
Ein Raunen ging durch den Raum. Jeder begann zu reden.
»Das würde viel zu lange dauern.«
»Wir brauchen unbedingt Unterstützung. Die NASA, Förderungen von der UNO, …«
»Das wird unser Bild vom Universum verändern.«
Der Mann hob die Hand und wartete ab, bis sich die Aufregung gelegt hatte.
»Ich möchte sie nun bitten, zu überlegen, was sie benötigen, um dieses Projekt zu realisieren. Wir haben den ganzen Tag Zeit und ich werde alle Vorschläge von ihnen notieren.«
»Ich brauche etwas zu trinken. Ich bin gleich wieder da«, meinte Walter und drehte sich in Richtung Tür.
»Denken Sie daran, Herr Knoth. Kein Wort zu irgendeiner Person«, ermahnte ihn der Mann.
Walter zuckte leicht zusammen. Wer auch immer dieser Mann war, er wusste genau, wer hier in diesem Raum saß.
Walter nickte ihm zu und verließ den Raum. Er musste nur um die Ecke biegen, um zum Getränkeautomaten zu gelangen.
Erfolglos versuchte er, nicht über das gerade Gesehene nachzudenken, das Bild hatte sich in seinen Kopf gebrannt.
Jahrelang wurde Walter für seine Überzeugung ausgelacht. Er war einer der wenigen Wissenschaftler, die ernsthaft über das Thema ›Außerirdisches Leben‹ sprachen. Viele seiner Kollegen lachten über seine Thesen, aber nun gab es eindeutige Beweise.
Mit zwei Mineralwasserflaschen kehrte er zurück. Als er die Tür öffnete, hörte er, wie alle untereinander diskutierten. Der Mann im Anzug stand immer noch beim Pult und lauschte ihnen stillschweigend. Der Projektor war abgedreht, die Wand hinter dem Mann war wieder weiß.
Walter stellte die Flaschen auf den Tisch und ging zu ihm.
»Kann ich das letzte Bild bitte noch einmal sehen. Ich weiß nicht, ob Sie …«
»Walter Knoth, 53, gebürtiger Österreicher. Sie waren maßgeblich an der Planung der Beagle–Sonde beteiligt. Außerdem sind sie wahrscheinlich der Einzige in diesem Raum, für den diese Nachricht eine Befriedigung ist. Immerhin sind Sie schon immer davon überzeugt gewesen, dass …«
»Woher wissen Sie so viel über uns?«, unterbrach ihn Walter.
Der Mann holte ein Foto aus seiner Mappe hervor. Es war die Aufnahme mit den Pflanzen.
»Studieren Sie das Bild genau und überlegen Sie sich, wie wir schnellstmöglich zum Mars kommen. Sie können ruhig eine rauchen gehen. Im Zimmer gegenüber ist der Brandmelder abgedreht. Ich habe selber dort geraucht«, erklärte er ihm emotionslos und überreichte ihm das Bild, ausgedruckt und vergrößert.
Walter stand beim offenen Fenster und konnte seinen Blick nicht von dem Foto nehmen. Für die Jahreszeit war es viel zu kalt, heute schneite es sogar. Die Flocken flogen in den Raum, aber Walter hatte keinen Blick dafür. Er zog an seiner Zigarette und betrachte das Bild. Die Gedanken wirbelten in seinem Kopf umher und es fiel ihm schwer, klare Gedanken zu fassen.
Plötzlich stutze er. Am Rand des Bildes sah er einen kleinen Durchgang von der Höhle. Das Licht, welches von oben in die Höhle schien, machte es schwer, den Abschnitt genauer zu erkennen. Aber Walter war sich sicher, dass er dort etwas erkannte, was ihm den Atem raubte.
Hinter dem Durchgang war an einer dunklen Wand eine Zeichnung zu erkennen:
»Oh mein Gott«, murmelte Walter ungläubig. Obwohl es schwer zu erkennen war, wusste Walter sofort, was er sah, da er sich viel mit der Geschichte der Maya beschäftigte. Vor allem mit den Legenden rund um das astronomische Wissen des alten Volkes aus Mexiko. »Es existiert also wirklich«, murmelte er, »Das Tor zu einer anderen Welt.« Er warf die Zigarette achtlos aus dem Fenster und rannte zur Tür. Als er die Türklinke in der Hand und die Tür schon zur Hälfte geöffnet hatte, kam es im Raum vor ihm zu einer Explosion. Die Tür zu dem Besprechungsraum, in dem er noch vor wenigen Minuten saß, flog ihm entgegen. Er sah noch, wie der Besprechungsraum voller Flammen und Rauch war, während er zu Boden geschleudert wurde. Gerade als er realisierte, was passierte, traf ihn ein Stück von der betonierten Wand direkt an der Schläfe. Ohnmächtig blieb er liegen, das Bild von der Höhle noch fest in der Hand.
Eine Woche später
Walter stand im schneebedeckten Park vor dem Eiffelturm. Der Himmel war grau in grau, es schneite leicht und nur wenige Personen waren bei diesem tristen Wetter unterwegs.
Seine Kopfwunde war noch zu sehen, aber er trug keinen Verband mehr und hatte auch ansonsten keine ernsteren Verletzungen erlitten. Einige blaue Flecken zierten seinen Körper, aber er konnte von Glück sprechen, dass er noch am Leben war. Denn niemand in dem Raum hatte die Explosion überlebt.
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