Der Transport durch das Triskelenetz war kurz und verursachte mir dieses Mal keine Schmerzen. Vielleicht gewöhnte ich mich langsam daran. Ich fühlte mich auch nicht so ausgelaugt, wie bei den letzten Durchgängen. Weich rollte ich auf der anderen Seite auf dem Boden ab, denn immerhin war ich ja mitten im Laufen in das Triskelenetz eingetaucht und der Schwung trug mich vorwärts. Rasch setzte ich mich auf, zog meinen Handschuh über mein Zeichen und sah mich vorsichtig um. Über mir war bleigrauer Himmel und es regnete leicht, es roch nach Meer und Tang. Möwen kreischten über einer Stelle im Wasser. Ich kannte diesen Geruch. Ich war in der Bretagne. Vor mir lag ein langer Sandstrand, Leute gingen darauf spazieren. Das war neu! Hier gab es nichts, das so aussah wie der Obelisk oder irgendein anderer Felsen oder ein Menhir. Wieso war ich ausgerechnet hier herausgekommen? Ich drehte mich um und blickte auf eine mir wohlbekannte Häuserzeile. Verblüfft stellte ich fest, dass ich am großen Strand von Carnac gelandet war. Es war nicht unweit der Stelle, an der ich vor nicht allzu langer Zeit den Stein gefunden hatte. Leider hatte ich ihn fallengelassen und nicht mitgenommen, da ich damals nicht wusste wie nützlich sie für mich waren und mich nur davor gefürchtet hatte. Immerhin hatte ich mitten am helllichten Tag am belebtesten Strand von Carnac einen üblen Anfall gehabt und das peinliche Erlebnis hatte ich nicht vergessen, zumal der gutaussehende junge Arzt einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hatte. Heute nahm niemand Notiz von mir, trotz meiner stuntreifen Rolle, aber mir war klar, dass ich hier wie auf dem Präsentierteller saß. Ich hatte Glück, dass das Wetter so schlecht war, sonst wäre ich vielleicht noch auf irgendjemandem gelandet, der zum Baden hier war. Ein stürmischer Wind peitschte über die kurzen Wellen und schlug Schaum dabei auf. Das Wasser war ganz dunkel und grauweiße Wolkenfetzen jagten am Himmel über mich hinweg, so als wären sie auf der Flucht. Vorsichtig erhob ich mich, aber ich kam nicht weit.
»Sarah!«, hörte ich Maiwenn rufen. Sie rannte mit großen Schritten auf mich zu, Emile de Tumiac im Schlepptau.
»Hallo Maiwenn, Hallo Emile!«, sagte ich nervös. Das hatte mir gerade noch gefehlt.
»Wie siehst du denn aus?« Maiwenn musterte mich erstaunt.
»Sarah, du darfst nicht hierher kommen. Sie suchen dich überall.« Emile zog mich zur Seite und ließ Maiwenn einfach stehen.
»Ich weiß das, aber ich bin nicht freiwillig hier. Maiwenn, ist sie eingeweiht?« Ich warf einen Blick auf meine Freundin, die wie vor den Kopf gestoßen ein paar Meter von uns entfernt dastand und verwirrt zu uns herübersah. Emile schüttelte den Kopf.
Maiwenn kam zögernd näher. »Was ist los mit euch?«, fragte sie erstaunt.
»Maiwenn, ich kann es dir nicht erklären, noch nicht. Bitte sei mir nicht böse, aber du darfst nicht mit mir sprechen. Das ist zu gefährlich.« Ich machte mir ernsthafte Sorgen um sie.
»Zu gefährlich? Aha!« Sie warf mir einen unergründlichen Blick zu. »Ihr habt Geheimnisse, ihr zwei. Sarah, was ist los. Ich war ein paarmal bei deiner Tante. Dort sieht es ja schlimm aus.«
Erschrocken sah ich sie an. Ich bin ja so ein Volltrottel. Natürlich würde Maiwenn nach mir sehen. Schließlich waren immer noch Sommerferien.
»Mon Dieu! Du darfst dort nicht mehr hingehen. Versprich es mir. Bitte!« Ich sah sie eindringlich an. Natürlich würde sie nicht tun, was ich von ihr verlangte. Ich kannte Maiwenn schließlich schon mein ganzes Leben lang und den trotzigen Blick, den sie gerade aufsetzte, kannte ich auch, deshalb wandte ich mich an Emile. »Emile, ich muss hier weg. Niemand darf wissen, dass ich da bin. Ich muss hinüber. Sie haben meine Eltern. Würdest du dich um Maiwenn kümmern. Ich möchte nicht, dass noch jemand verletzt wird.«
Emile nickte, doch Maiwenn hielt mich am Ärmel zurück. »Nein, du wirst jetzt nicht abhauen. Nicht bevor du mir erklärt hast, was hier eigentlich los ist. Und … nicht bevor du etwas gegessen hast. Du bist kreidebleich und siehst so aus, als würdest du gleich umkippen. Wenn du es nicht tust, dann schreie ich ganz laut alle Leute hier zusammen.« Sie grinste mich provozierend an und ich wusste, dass sie das tun würde.
Resigniert warf ich einen Blick auf Emile. Der zuckte nur nervös mit den Schultern.
»Aber wo sollen wir hingehen?«, fragte ich und fühlte langsam aber sicher Panik in mir aufsteigen. Ich war hier schließlich in der Höhle des Löwen.
»Wir könnten zum Jahrmarkt rausfahren. Die Druiden meiden ihn, da sie sich aus irgendeinem Grund mit den Schaustellern überworfen haben.« Emile zeigte auf den Bus, der gerade an der Haltestelle ankam.
Rasch nickte ich, nahm Maiwenn beim Arm und zog sie mit mir. Wenig später saßen wir in dem Bus, der uns zu dem großen Platz im Hinterland von Carnac bringen würde, ganz in der Nähe des großen Menhirefeldes. Früher war ich gerne zusammen mit meinen Freunden auf den Jahrmarkt gegangen, hatte Zuckerwatte und gebrannte Mandeln gekauft und den Schaustellern bei ihrem täglichen Geschäft zugesehen. Doch heute lag ein großer schwerer Stein in meinem Magen. Ich verlor zu viel Zeit. Ich sollte schon nicht mehr hier sein. Diwezah Brion hatte sicher schon bemerkt, dass mich ihr Vogeldrache nicht erwischt hatte. Vielleicht wusste sie auch schon wo ich war und schickte ihre Schergen, um mich zu holen. Möglicherweise war sie aber auch in dem Tunnel gefressen worden. Das wäre für mich zwar die beste Lösung, aber ich wünschte niemandem den Tod. So tief wollte ich nun doch nicht sinken, denn dann wäre ich ja nicht besser als die Obermagierin. Doch Maiwenn hatte in einem recht, ich musste etwas essen, sonst kippte ich aus den Schuhen. Der Bus brauchte nicht lange und wir verschwanden rasch zwischen den Schaubuden. Emile zog mich zu einem kleinen Zelt. Maiwenn folgte uns mit einer Miene, an der ich schon ablesen konnte, dass sie alles ganz genau wissen wollte. Zum Glück war wegen des Regens nicht viel los. Emile schob mich auf eine der Sitzbänke, Maiwenn setzte sich mir gegenüber. Emile ging und holte Getränke und gegrillten Fisch. Wenig später war er wieder da und stellte das Essen vor uns ab.
»Du musst essen!«, sagte er zu mir, während er einen kritischen Blick auf Maiwenn warf.
Mein Magen knurrte so laut, dass mich die beiden erstaunt ansahen. Ich schlang das Brot und den Fisch in einem Tempo hinunter, das ich selber nicht für möglich gehalten hätte. Hungrig sah ich mich um. Ich hatte das Gefühl, dass ich noch ein ganzes Wildschwein vertragen konnte.
»Du willst noch etwas? Was ist mit dir los? Du frisst ja wie ein Scheunendrescher«, sagte Maiwenn, während sie in ihrem Fisch herumstocherte. Sie hatte keinen Hunger.
»Kann ich das noch haben? Du isst es sowieso nicht.« Meine Augen klebten an dem Fisch, den Maiwenn gerade lustlos zerpflückte. Sie nickte schwach, Emile lächelte nur besorgt.
»Du musst mehr zu dir nehmen. Meine Mutter hat gesagt, dass du sterben kannst, wenn du das nicht tust.« Er sah mich ernst an.
»Das weiß ich, aber … es waren ein paar Leute hinter mir her und ich hatte keine Zeit. Sie haben Thomys Mutter, du weißt Thomas Mahler, mein bester Freund in Filderstadt und meine Eltern.«
Emile nickte schweigend. »Sie waren auch bei uns, aber sie konnten uns nichts nachweisen.« Emile war der einzige meiner Freunde, der Bescheid wusste. Seine Eltern waren schließlich Triskelewächter.
»Zum Donnerwetter, was ist hier eigentlich los? Ich will jetzt endlich wissen, wovon ihr da die ganze Zeit quasselt.« Maiwenn platzte der Kragen.
Ich warf einen Blick auf Emile. Der zuckte erneut resigniert mit den Schultern. »Maiwenn, es wäre nicht gut, wenn wir dich da hineinziehen. Es ist zu gefährlich.«
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