Wenn es nach denen gegangen wäre, dann würde ich jetzt im letzten Loch meinem baldigen Ende entgegensehen müssen, nachdem Adraboran Fremont, der Großmagier und Leiter des Druidenordens in Rennes, das Zeichen der Eriny mitsamt meiner Hand abgeschnitten hatte. Ein beängstigender Gedanke, den ich rasch beiseiteschob. Dieu merci, Gott sei Dank, war es nicht so weit gekommen. Auch von fairen Gerichtsverhandlungen hielten die Leute auf Aremar nicht viel. Diese Regentschaft ist wirklich sehr seltsam. Sie setzt sich aus den Richtern und dem Parlament zusammen. Der König hat wohl nur ein Vetorecht. Der Schock darüber wie sie mich behandelt hatten, saß mir noch immer in den Knochen. Wenn ich an die Richter dachte, dann wurde mir speiübel. Ich mochte diese aufgeblasenen Typen nicht, die in mir nicht viel mehr als ein Tier gesehen hatten. So etwas wie Hass regte sich tief in meinem Inneren. Noch so ein Gefühl, dass mir eigentlich fremd war. Erschrocken über mich selbst, wischte ich diese ungewohnte Emotion hastig fort. Das durfte ich nicht zulassen, soviel wusste ich. Ich atmete ein paarmal tief durch.
Meine Großmutter warf mir einen besorgten Blick zu, den ich geflissentlich ignorierte. Warum nur hatten sie mich die ganze Zeit belogen? Ich verstand das alles nicht. Deshalb rief ich aufgebracht, als ich es nicht mehr aushielt, »warum habt ihr mir nie die Wahrheit erzählt? Warum?«.
»Liebes, wir konnten es dir nicht sagen. Wir dachten, es ist am besten so«, stammelte meine Mutter zerknirscht und versuchte meine Hand zu nehmen. Sie saß zusammengekauert und mit unübersehbar schlechtem Gewissen neben mir auf der Couch und wollte mich andauernd in ihre Arme ziehen.
Doch ich wollte das auf keinen Fall. Grob stieß ich sie zurück, was mir im gleichen Moment leidtat. Sie hatten es ja tatsächlich nur gut gemeint. Eine Träne kullerte aus meinem rechten Augenwinkel und ich schniefte hörbar.
Kadmus Kentrendan sah derweil von einem zum anderen. In seinem Gesicht spiegelte sich seine Verwirrung wieder. Es ging ihm wohl nicht besser als mir. »Kann ich etwas dazu sagen?«, fragte er ruhig, obwohl es in seinem Inneren wohl ebenso tobte, wie in meinem.
Die Blicke meiner Eltern und meiner Großmutter richteten sich sofort auf ihn. Würden Sie auch so reagieren, wenn er kein Prinz wäre? Ich sprang auf und begann unruhig im Zimmer hin und her zu laufen.
»Sarah, bitte setz dich wieder hin. Du machst mich ganz nervös.« Kadmus Kentrendan zeigte mit einer Hand auf das Sofa und sah mich freundlich aber bestimmt an. »Ich verstehe, dass du wütend bist. Das wäre ich auch, aber es gab gute Gründe dafür, dass sie dir das nicht erzählt haben.« Er deutete noch einmal auf das Sofa und ich setzte mich tatsächlich wieder hin.
»Danke Sarah!« Er lächelte mich beruhigend an, dann sprach er weiter. »Ich muss das alles erst einmal verstehen. Sie sind tatsächlich Ceridwenn Landaron, die Frau des Premierministers und, verzeihen Sie mir, wenn ich es etwas hart formuliere, aber so sieht es die Regentschaft, Verräters Célestin Landaron. Mein Vater spricht manchmal von Ihnen, wenn niemand uns belauschen kann. Er hält Sie ebenfalls für tot, bei dem Umsturz zusammen mit Ihrem Mann und ihrer Tochter ums Leben gekommen.« Kadmus Kentrendan blickte meine Großmutter fragend an.
Sie schüttelte traurig den Kopf. »Mein Mann war kein Verräter, königliche Hoheit. Er hat sich für uns geopfert. Ich konnte fliehen, zusammen mit meiner Tochter.« Sie sah meine Mutter an. Die nickte niedergeschlagen, sagte aber nichts dazu. Meine Großmutter fuhr fort, »nachdem der König und das alte Parlament abgesetzt worden waren, haben sie uns gejagt. Es sind nicht viele von uns übriggeblieben. Célestin hat uns beim Heiligen Hain dem damaligen Botschafter übergeben, der ihm unter Eid versprochen hat uns mit seinem Leben zu beschützen. Das hat er auch gehalten. Nachdem er uns dann durch das Triskeleportal im Heiligen Hain zur Erde gebracht hat, ist er von den Putschisten hingerichtet worden. Er hat uns nicht verraten, sonst säßen wir nicht hier.«
»Putschisten? Sie bezeichnen die Regentschaft als Putschisten?«, bemerkte Kadmus Kentrendan in scharfem Tonfall.
Ich war mir nicht sicher auf wessen Seite er stand. Misstrauisch betrachtete ich ihn. Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Zum ersten Mal fragte ich mich, warum er mit mir hier war. Er hätte mich ebenso gut alleine durch das Portal gehen lassen können. Freilich war ich froh, denn ohne ihn hätte mich dieser Givre bestimmt gefressen, der uns an dem falschen Portalende aufgelauert hatte. Oder der Bix hätte mich gebissen, den irgendjemand noch in Mhenegart in meinen Rucksack geschmuggelt hatte.
Meine Großmutter bedeutete meiner Mutter mit einem raschen Blick ruhig zu bleiben, auf deren Stirn eine Zornfalte erschienen war. Ein sicheres Zeichen, dass sie gleich ihren scharfen Tonfall anschlagen würde, der so gut bei anderen funktionierte. »Ruhig Marlies. Er weiß es nicht anders. Sie haben ihm niemals erzählt, was damals wirklich geschah.«
Kadmus Kentrendan runzelte die Stirn, schwieg aber und ließ meine Großmutter weitererzählen. Er war ein höflicher Mensch, soviel stand fest.
»Wir haben Aremar nicht verraten. Wir haben versucht es zu retten und das ist uns gelungen, aber der Preis war sehr hoch. Leider ist das Ganze nur ein Aufschub. Haben Sie jemals von der Prophezeiung der Manda´anah gehört? Die Zeit ist jetzt gekommen.«
»Das ist doch nur ein uralter Mythos. Ein Märchen für Kinder die an Feen glauben und an kitschige Liebesgeschichten. Was hat das denn damit zu tun?« Kadmus Kentrendan war so verblüfft, dass er nur noch den Kopf schütteln konnte. Es stand ihm ins Gesicht geschrieben, dass er meine Großmutter für durchgeknallt hielt.
»Es hat alles damit zu tun, Hoheit. Jahrtausendlang haben die zerstrittenen Parteien versucht die Macht über die Magie an sich zu reißen, aber bis jetzt ist es ihnen nicht gelungen. Doch vor etwa zwanzig Jahren ist alles eskaliert. Die Hexen sind erstarkt und haben das Gleichgewicht zwischen den beiden Welten empfindlich gestört. Die Tunnel und das Triskelenetz …«, sagte meine Großmutter, konnte aber nicht fertigsprechen, da dieses Mal dafür die Geduld von Kadmus Kentrendan nicht ausreichte.
»Bei allem Respekt, Ceridwenn Landaron, aber das ist wirklich Unfug.« Kadmus Kentrendan war nicht mehr länger bereit sich das anzuhören. Schon wieder so eine unglaubwürdige Geschichte. Offenbar neigte die ganze Familie zu dieser Überspanntheit. »Es gibt keine Magie. Weder auf der Erde, noch auf Aremar. Das ist wissenschaftlich bewiesen.«
»Nun, glauben Sie was Sie wollen, Kadmus Kentrendan.« Meine Mutter nannte ihn erstaunlicherweise beim Namen und nicht schmalzig "Ihre Hoheit".
Ich musste unwillkürlich grinsen.
Sie sprach weiter. »Ich war noch jung, aber ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Seitdem sind auch die Triskelewege gestört und es wird immer schlimmer. Das müssen Sie doch auch bemerkt haben!«
Während ich noch überlegte, was meine Mutter gesehen hatte, schüttelte Kadmus Kentrendan erneut unwillig den Kopf. »Dafür haben wir auch eine Erklärung, aber die hat nichts mit Magie zu tun. Magie ist etwas für Leute die der Realität nicht ins Auge sehen wollen oder daran glauben, dass die Eriny höhere Wesen sind und die Manda´anah tatsächlich dem Licht entsprungen sind.«
Sacht strich ich über mein Zeichen. Vor ein paar Monaten hätte ich ihm vermutlich uneingeschränkt recht gegeben, aber heute war ich mir sicher, dass sich Kadmus Kentrendan nur daran festhalten wollte. Auch seine ihm wohlvertraute Welt war zerbrochen, genauso wie meine mit einem Stromschlag geendet hatte. Ich sah ihn eindringlich an und sagte, »und was ist mit meiner Tante Claire, mit, wie hast du sie genannt? Einen Skoff?«. Ich kam nicht mehr dazu mehr zu sagen.
Читать дальше