„Nein“, wiederholte Ethan.
„Aber… wenn sie keine Tatverdächtigen sind, dann sind sie…“
„Die letzten drei Opfer“, bestätigte der Detective traurig.
„Die… Opfer…?“
„Deshalb habe ich es dir vorher nicht gesagt. Ich weiß, wie schwer du so was nimmst. Und deshalb hattest du nicht ganz unrecht damit, als du gesagt hast, sie wären mein Typ.“
„Inwiefern?“
„Es sind alles Frauen, bei denen ich sehr genau weiß, wann sie sterben werden!“
Fect saß in ihrem Büro und starrte aus dem Fenster. Sie hatte es noch nie gemocht, mit den Opfern eines Mordes zu sprechen, bevor diese zum Opfer wurden. Irgendwie kam es ihr falsch vor, sie nicht zu warnen – und deshalb war sie froh, dass sie Ethan nicht vorher eingeweiht hatte, mit wem sie sprechen würden.
„Sie waren alle im gleichen Alter“, murmelte sie.
„Das scheint seine bevorzugte Gruppe von Opfern zu sein.“
„Brünette Frauen um die 40?“
„Brünette Frauen“, korrigierte Ethan. „Das EBI vermutet, er bringt Frauen in seinem Alter um. Die ersten sechs Opfer waren um die 20, die nächsten Mitte bis Ende 20, die danach Anfang 30 und die letzten Ende 30 Anfang 40.“
„Man weiß, was er mit ihnen macht?“
„Das weiß man.“
„Aber man weiß nicht, wo?“
„Das EBI geht davon aus, dass er für alle seine Taten nur einen Tatort verwendet. Er hat, denken die, einen festen Wohnsitz, einen Wohnsitz, den er möglicherweise seit mehr als 18 Jahren nicht verlassen hat. Er scheint sich dort also sicher zu fühlen. Das Problem ist nur, dass man diesen Wohnsitz bislang nicht gefunden hat.“
„Hast du einen Plan?“
„Ja.“
„Einen guten Plan?“
„Wird sich zeigen.“
„Dein Optimismus erfüllt mich mit Wärme.“
„Möchtest du, dass ich dir was vorlüge?“
„Nein“, seufzte sie.
Es klopfte an der Tür.
„Special Agent Brewster, kommen Sie doch herein.“
„Haben Sie den Fall gelöst?“ fragte er und konnte den Spott in seiner Stimme nicht unterdrücken.
„Noch nicht“, gestand Ethan. „Aber wir haben eine Entdeckung gemacht.“
„Eine Entdeckung?“
„Eine Entdeckung, die geheim bleiben sollte.“
Brewster kniff die Augen zusammen.
„Was meinen Sie mit geheim?“
„Nun, unser Serienkiller ist offensichtlich sehr clever und gut ausgerüstet.“
„Allerdings“, gab der Special Agent zu.
„Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass er zum Beispiel in die Zukunft reist, um sich über gewisse Dinge zu informieren.“
„Über was für Dinge?“
„Ob er gefasst wurde, zum Beispiel. Deshalb sind die Informationen, die die Polizeit über ihre Ermittlungen der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt… nunja, nicht unbedingt deckungsgleich mit der Realität. Um zu verhindern, dass sich Täter Inspirationen holen, wie man ihre Entdeckung umgeht.“ Ethan zuckte die Schultern. „Außerdem wissen wir nicht, ob er sich nicht vielleicht Zugang zu Ihrem EBI-Computer verschafft hat und immer weiß, wie viel Sie wissen.“ Oder wie wenig, dachte der Detective, sagte es aber nicht. „Deshalb darf das, was wir Ihnen jetzt anvertrauen, diesen Raum nicht verlassen.“
Der Special Agent sah die beiden gespannt an.
„Unser Gerichtsmediziner hat die Leichen der letzten sechs Opfer untersucht“, erklärte Fect. „Dabei hat er etwas gefunden, das Ihre Leute übersehen haben.“
„So“, meinte Brewster großspurig, „hat er das?“
„Er hat“, bestätigte Ethan. „Sagt Ihnen der Begriff QUO-12 etwas?“
Agent Brewster sah ihn verwirrt an. „Nein.“
„Gut, dachte ich mir auch nicht. QUO-12 ist ein geheimer Stoff, den das Militär entwickelt. Er ist völlig harmlos für den menschlichen Körper, sendet aber eine Strahlung aus, die man… leicht finden kann, wenn man weiß, wonach man suchen muss.“
„Ich verstehe kein Wort!“
„In den Körpern der letzten drei Opfer hat man diesen Stoff gefunden.“
Brewster zuckte die Schultern. „Und?“
Ethan seufzte. „Das versetzt uns in die Lage, Ihren Serienkiller zu finden.“
„Das… was… Wie? Weil er ihnen dieses Zeug verabreicht hat?“
„Nein.“
Der Blick, den Fect Ethan zuwarf sagte: „Weil wir ihnen dieses Zeug verabreicht haben!“ In einem Kaffee, in einer Sauce, in einem Cocktail. Aber sie blieb still.
„Wie Sie sagten, behält der Killer von jedem seiner Opfer ein Andenken zurück.“
„Ihre Zunge.“
„Ja. Nun besitzt er drei Zungen, die eine starke Strahlung aussenden – und solange diese Information unter uns bleibt, wird er nichts davon wissen, weil er nicht weiß, wonach er suchen muss.“
„Und wie hilft uns das?“
„Es hilft uns dabei, ihn zu finden. Unsere Sensoren haben bereits damit begonnen, alles nach dieser Strahlung abzusuchen. Dadurch erfahren wir, wo er wohnt, wie er heißt – wer er ist.“
„Und dann verhaften Sie ihn?“
„Nein, die Ehre gebührt Ihnen.“
„Und wann wird es so weit sein?“
Ethan lächelte. „In sechs Jahren!“
Ein Überwachungsteam fand heraus, wo sich die abgeschnittenen Zungen der drei letzten Opfer befanden. Sie fanden heraus, wem das Haus gehörte. Sein Name war Norman de Neig. Sie überwachten ihn aus der Ferne, so, dass er nichts davon mitbekam. Sie wussten, wer der Serienkiller war – und sechs Jahre später schlugen sie zu.
„Müssen wir auch sechs Jahre warten?“ fragte Fect.
„Wozu ist man bei der Polizeit?“ meinte Ethan und zuckte die Achseln.
Sie hatten einen genauen Plan ausgearbeitet. De Neig wurde überwacht. Sie beobachteten ihn dabei, wie er sein neues Opfer, Opfer Nummer 25, entführte und in sein Versteck brachte.
„Ich würde gerne vermeiden, dass es zu weiteren Toten kommt“, hatte Fect gesagt.
„Das würde ich auch gerne.“
„Und jetzt?“
„Hat das EBI ein Zeitfenster, das es hoffentlich einhalten kann.“
Fect hatte Ethan fragend angesehen. „Warum sollten die so lange warten? Warum haben wir den Killer nicht gleich verhaftet?“
„Weil er alles abstreiten könnte. Die Zungen hat er im Netz ersteigert oder was auch immer er behaupten könnte. Auf die Weise ist alles wasserdicht. Auf frischer Tat ertappt. Er lässt seine Opfer langsam ausbluten – also sollte das EBI sein Versteck stürmen, bevor es zu spät ist!“
Special Agent Brewster und seine Leute wussten, was auf dem Spiel stand. Detective Cause und Captain Fect hatten sie noch einmal eingehend instruiert, einen Tag, bevor es losgehen würde.
„Woher wissen Sie, wann er sein Opfer entführt?“
„Zeitreise“, meinte Ethan nur. Sie wussten, wann es passierte, sie mussten nur einen Tag vorher bei Brewster vorstellig werden. Kein Problem!
Brewster und seine Leute schlugen zu. Sie stürmten das Haus, fanden das Opfer – und verhafteten den Mörder. Die Spuren, die sie dort fanden, brachten ihn auch mit den anderen Taten in Verbindung. Der Fall war gelöst.
„Oh mein…“ hauchte Fect.
„Was?“
Sie saß vor dem Computer und starrte auf den Bildschirm. „Ich habe gerade die Zeitungsberichte der Wochen nach der Verhaftung durchgesehen. Wir dachten, wir hätten die Mordserie gestoppt, aber…“
Ethan hielt den Atem an.
Sie gab wieder etwas ein. „Und in 12 Jahren…“ Wieder verstummte sie mitten im Satz.
„Wir waren also nicht erfolgreich?“ fragte Ethan leise. „Die Morde gehen weiter? Wir haben es nicht aufgehalten?“
Fect löste ihren Blick von dem Bildschirm und wandte ihren Kopf Ethan zu. Dann grinste sie. „Doch!“
„Was?“
„Ich hab dich verarscht! Wir waren erfolgreich, keine Sorge. Aber das ist die Rache dafür, dass du mir nicht gesagt hast, dass wir den drei Frauen irgendeine experimentelle Substanz vom Militär einflößen, damit wir hinterher ihre…“ Sie brach ab.
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