Ein kurzer Blick in Hannahs Unterlagen und die gesuchte Telefonnummer war gefunden. Direkt daneben lag ihr aufgeschlagener Kalender, bereit drei neue Termine aufzunehmen. Hannah bevorzugte die traditionelle Papiervariante und übertrug nur wenige Termine in ihr Smartphone. Das führte nicht selten zu diversen Streichungen und einer Ansammlung loser Seiten. Natürlich wurde sie für ihr altertümlich anmutendes, geordnetes Chaos von so manchem Kollegen belächelt, an erster Stelle von Wiebke, was ihr in diesem Fall jedoch gänzlich egal war. Sie liebte ihren abgegriffenen Lederband, der jedes Jahr aufs Neue aktiviert wurde, wenn kurz vorm Jahreswechsel die jungfräulichen Seiten zu den vollgeschriebenen der vergangenen Monate dazu geheftet wurden, bereit mit Leben gefüllt zu werden. Und für ihre klare Handschrift hatte sie schon oft Komplimente bekommen. Sie liebte es, die blanken Seiten mit eben dieser zu füllen.
Für diese Woche war erst ein einziger Eintrag vermerkt und dabei handelte es sich um den Geburtstagstermin ihrer Herzensfreundin Julia am Donnerstag, der passenderweise mit einem kleinen Herzen verziert war. Nachdem sie im vergangenen Jahr drei Geburtstage verschlafen hatte, war sie wieder dazu übergegangen, auf die Trennung von privaten und geschäftlichen Terminen zu verzichten. Aber auf kleine Zeichnungen, die dem Ganzen eine persönliche Note verliehen, wollte sie deswegen nicht gänzlich verzichten.
Hannah wählte die angegebene Nummer und hoffte, zu dieser frühen Stunde bereits einen Ansprechpartner zu erreichen. Eine sehr dunkle, sonore Männerstimme ertönte mit den Worten: „Management Twentyfour , Maus am Apparat“, durch den Hörer.
Hannah musste schon wieder in sich hineinkichern, bei der Vorstellung an einen Hünen von Mann, der sich den Namen mit einem winzigen Nagetier teilte. Vielleicht stimmten ja abgesehen von der Größe andere Attribute des Herrn Maus mit denen einer Maus überein.
„Rehbein, von dem erfolgreichen Frauenmagazin Fruitfull , guten Morgen!“, stellte sich Hannah selbstbewusst vor, wohlweißlich, dass sie mit einem großen Anliegen an den Mann herantrat. „Wir planen einen Artikel über Twentyfour und stellen uns in dem Zusammenhang die Veröffentlichung eines Interviews vor, sowie die einer ausführlichen Fotostrecke Ihrer Jungs. Dazu würden wir uns über Termine im Laufe der Woche, spätestens aber zu Beginn der nächsten freuen. Außerdem wäre im Rahmen der Recherchearbeit der Besuch des Konzerts am kommenden Samstag in der Fabrik wünschenswert.“
Nach einer kurzen Pause erklang die sonore Stimme des Herrn Maus erneut und Hannah meinte eine leichte Verärgerung darin zu hören.
„Sie müssen mir lediglich sagen, wie viele Karten sie benötigen und ich lasse sie Ihnen unverzüglich zukommen. Was Ihr Anliegen bezüglich der Termine angeht, mache ich Ihnen für den genannten Zeitraum wenig Hoffnungen.“
Hannah war froh, noch einen Trumpf im Ärmel zu haben.
„Ich nehme an, Ihnen ist der Name unseres Magazins Fruitfull ein Begriff, auch wenn Sie vermutlich nicht gerade zu unseren Käufern zählen.“
„Ja, da haben Sie in beiden Fällen Recht“, erklang es am anderen Ende.
„Nun, der mindestens fünf Doppelseiten umfassende Artikel wird nicht nur die 750.000 Leserinnen erreichen, sondern Ihre Jungs werden auch hübsch vom Titelblatt alle Vorbeikommenden am Zeitungskiosk anlächeln. Ach ja und Konzertkarten benötige ich lediglich zwei.“
„Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich Ihnen nur anbieten, Sie im Laufe des Tages zurückzurufen, um nach Rücksprache mit der Band und dem übrigen Management zu sehen, was noch kurzfristig möglich ist. Ich erreiche Sie unter der im Display erscheinenden Nummer?“
„Ganz genau. Dann bedanke ich mich bereits jetzt für Ihre Mühe und Kooperationsbereitschaft und freue mich auf Ihren Rückruf. Auf Wiederhören.“
„Wiederhören.“
Hannah legte strahlend den Hörer an die Seite, bereits jetzt sicher, ihr Ziel erreicht zu haben. Sie hoffte auf einen baldigen Rückruf, um keinesfalls Gefahr zu laufen, den Anruf persönlich zu verpassen. Unter keinen Umständen wollte sie die Früchte ihres Gesprächs von irgendeinem Kollegen erfahren, der lediglich mit der Entgegennahme ihrer Telefonate während der Mittagszeit betraut sein würde.
Geschäftig schob sie ihren aufgeschlagenen Terminplaner an die Seite und machte so Platz für ihren Arbeitslaptop. Auf der redaktionsinternen Internetplattform rief sie die Seite zur Buchung der dem Magazin zur Verfügung stehenden Fotografen auf.
„Für den potentiellen Zeitraum sollte es keine Schwierigkeiten geben“, entnahm Hannah in Gedanken erleichtert der Übersicht.
Neben zwei festangestellten Fotografen in Vollzeit, standen den Mitarbeitern von Fruitfull mehrere selbstständig arbeitende zur Verfügung, so dass es nur in den allerwenigsten Fällen zu Engpässen kam. Freudig stellte sie fest, dass ihr Lieblingsfotograf Malte beim jetzigen Buchungsstand ihr Mann sein könnte.
„Ja wäre er doch nur mein Mann !“, beschwor sie den Himmel.
Schon im nächsten Moment fand sie sich bei dem Gedanken ziemlich erbärmlich und verurteilte sich zutiefst dafür, jeden zweiten Mann als möglichen Partner zu betrachten und ihre Stimmung so sehr vom Aufeinandertreffen eben solcher abhängig zu machen.
„Ich werde einfach einen anderen und nicht Malte buchen. Und mich außerdem beim nächsten Kaffeetrinken nicht von Joschi bedienen lassen, sondern mich bewusst an einer anderen Kasse anstellen“, lautete die an sich selbst gerichtete Kampfansage in ihrem Kopf.
Komplett in die Arbeit vertieft hatte Hannah gar nicht bemerkt, wie die Stunden ins Land gezogen waren und sich das Büro bis auf den letzten Platz gefüllt hatte. Die Idee für den Aufmacher stand und auch erste Interviewfragen, die ihr immer wieder in den Sinn kamen, wurden kurzerhand notiert und ergaben bereits einen ordentlichen Fragenkatalog. Gut, einige müssten noch einmal überdacht oder auch gänzlich gestrichen werden, denn gerade aus denen formten sich in ihrem Kopf bereits ganze völlig verrückte Interviewpassagen.
Pete, wie geht es Ihnen als grüne Ausgabe von Terence Hill. Oh entschuldigen Sie, Terence Hill, der Partner von Bud Spencer, der mit den blauen Kontaktlinsen ist Ihnen doch ein Begriff, oder? Wie alt waren Sie doch gleich?
Mit dem einsetzenden Hungergefühl, das dem Einläuten der Mittagszeit gleich kam, schrillte das Telefon. Glücklicherweise noch gerade rechtzeitig, bevor die ersten Zweifel aufkommen konnten, dass es vielleicht doch nicht mehr mit den Terminen geklappt haben könnte.
„Redaktion Fruitfull , Rehbein, guten Tag!“, meldete sich Hannah, plötzlich hellwach.
„Maus, guten Tag Frau Rehbein. Bezüglich Ihrer Anfrage von heute Morgen kann ich Ihnen eine positive Rückmeldung geben.“
„Das freut mich zu hören. Was können Sie mir denn anbieten?“
„Als Interviewtermin kann ich Ihnen den morgigen Tag, 15 Uhr anbieten. Allerdings mit der Einschränkung, dass Ihnen lediglich Pete, der Leadsänger zur Verfügung steht. Ein Termin mit der gesamten Band wäre erst wieder Ende nächster Woche frei. Für die Fotostrecke wäre es möglich, dass Sie die Jungs zu ihrem Videodreh am kommenden Dienstag begleiten.“
„Sehr schön! Ich würde gerne beide Termine wahrnehmen. Wo soll denn das Interview stattfinden? Selbstverständlich laden wir Sie herzlich ein, zu uns in die Räumlichkeiten zu kommen oder aber ich komme gerne an einen von Ihnen gewünschten Ort.“
„Für das Interview wäre es hilfreich, wenn Sie sich pünktlich um 15 Uhr im Foyer des Hotels Krone einfinden würden, dort stehen Ihnen dann ein ruhiger Raum und eine Stunde Zeit zur Verfügung. Für die Fotostrecke möchte ich Sie bitten, am Dienstag ab 8 Uhr bereit zu stehen. Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass der Videodreh Priorität hat und die Fotodokumentation am Rande laufen muss, ohne die Dreharbeiten zu behindern.“
Читать дальше