Die unverletzten Insassen bildeten Menschenketten, sodass sie Kendig sofort nach Erreichen der Ladeluke in Empfang nehmen und in das Innere bringen konnten.
Auch Cosco und Jorik wurden schnell geborgen. Während Jorik am Eingang zunächst verschnaufte und Shamos ein Zeichen gab, die Luke wieder zu schließen, lief Cosco schnaufend und hustend hinter seinem Sohn her, der sofort zu Marivar gebracht wurde.
Als er ihn erreichte, lag er bereits auf einer Bahre und die Ärztin kümmerte sich um ihn. Mit flinken Händen überprüfte sie seinen Zustand und begann dann ohne zu zögern mit den Wiederbelebungsmaßnahmen. Sie drückte rhythmisch und bestimmt mit beiden Händen auf seinen Brustkorb und legte nach jedem dritten Stoß ihren Mund auf seinen, während sie ihm die Nase zuhielt, um ihm Luft in die Lungen zu blasen.
Cosco wollte eingreifen, doch Jorik erschien hinter ihm und hielt ihn zurück. Bei Marivar war Kendig in den besten Händen.
Marivar führte ihre Arbeit unbeirrt weiter und die Sekunden verrannen. Im Inneren des Laderaums wurde es merklich stiller.
Dann urplötzlich, als Marivar zu einer weiteren Mund-zu-Mund-Beatmung ansetzen wollte, krampfte sich Kendigs Körper zusammen und bäumte sich auf. Er begann zu husten und Wasser rann ihm aus dem Mund. Wie in einem Schockzustand krallte er seine Hände in die umstehenden Personen und zog sich an ihnen hoch. Dabei stöhnte und schrie er.
Marivar heilt ihn sofort zurück. „Ruhig, junger Mann! Beruhigen sie sich!“
„Kendig!“ rief Cosco erfreut und seine Augen waren feucht.
Sein Sohn starrte ihn zunächst mit großen Augen an, dann schien er ihn zu erkennen.
„Legen sie sich wieder hin. Sie brauchen Ruhe!“ sagte Marivar noch einmal.
„Ich hab es doch geschafft, Dad!“ Kendig quälte sich ein Lächeln hervor und legte sich zurück auf die Liege.
„Ja...!“ Cosco trat zu ihm und hielt seine Hand. „...das hast du. Du bist ein Teufelskerl. Du hast uns allen das Leben gerettet!“
„Prima!“ stieß er hustend hervor. „Aber nochmal...!“ Seine Augen begannen zu flackern. „...mach ich so was...!“ Seine Stimme wurde leiser und langsamer. „...bestimmt nicht!“ Dann schlossen sich seine Augen und sein Körper entspannte sich. Ängstlich schaute Cosco zu Marivar, doch die schaute ihn mit einer Spritze in der Hand ausdruckslos an.
„Er braucht jetzt Ruhe, damit ich ihn weiter untersuchen und ihm seine Wunden verbinden kann!“ sagte sie knapp und machte sich an die Arbeit.
Cosco nickte und drehte sich zu Jorik.
Der schaltete sein Headset ein. „Rimbo?“
„Ja?“
„Ihr Freund weilt weiterhin unter den Lebenden!“ In der nächsten Sekunde musste er den Kopfhörer vom Ohr weghalten, weil Rimbo vor Freude laut aufschrie.
Gemeinsam mit Cosco und Shamos eilten sie zurück ins Cockpit. Fidu hatte die Amarula inzwischen wieder auf Flughöhe gebracht. Zufällig zeigte der Bug des Bootes in Richtung Küste zurück und sie konnten einen Blick auf den erleuchteten Nachthimmel über dem Imrix -Gelände werfen, wo die brutale Zerstörung noch immer in vollem Gange war.
Jorik konnte auch deutlich erkennen, dass sich zwei feindliche Jäger parallel zur Küstenlinie bewegten. Das erschien ihm merkwürdig, denn so mussten sie die Amarula ohne Zweifel erkennen können. Dass sie jedoch nicht angriffen, war ihm rätselhaft. Er stupste Shamos in die Seite und machte ihm auf diesen Umstand aufmerksam, doch sein Freund verzog nur ratlos die Mundwinkel.
„Welcher Kurs?“ fragte Fidu.
„ Kimuri! “ sagte Jorik bestimmt.
Fidu nickte, schwenkte die Amarula langsam in die entsprechende Richtung und beschleunigte dann zügig.
„Rimbo?“ fragte Jorik noch einmal.
„Ja?“
„Sie fliegen zurück nach Ara Bandiks ?“
„Ich muss!“ erwiderte er. „Ich bin fast trocken und ohne Munition. Ich muss auftanken!“
Jorik nickte. „Dann viel Glück, Captain. Und vielen Dank für ihre Hilfe. Ohne sie hätten wir es nicht geschafft!“
Rimbo grinste müde. „Keine Ursache. Bringen sie mir nur Kendig gesund zurück, damit ich diesen Mistkerlen mit ihm zusammen noch mal kräftig in den Arsch treten kann!“
„Das werden wir. Mein Wort darauf! Jorik Ende!“
„Mavis?“
„Ja?“
„Vilo hier!“
„ Nuri ?“
„Lass den Scheiß!“
Mavis lächelte einmal freudlos. „Was gibt es?“
„Ich habe eben eine Nachricht von Jorik erhalten. Das Imrix -Gelände wird ebenfalls angegriffen. Sie konnten dort nicht landen. Sie sind jetzt unterwegs nach Kimuri , um die Überlebenden in Sicherheit zu bringen!“
„Na, wenigstens sind sie erst einmal aus der Gefahrenzone! Sonst noch was?“
„Ja, ich habe gerade das Urteil unserer Wissenschaftler erhalten!“
„Und?“
„Sie sagen, es wäre möglich, dass es funktionieren könnte, aber es bliebe ein gewisses Restrisiko!“
„Hah...!“ Mavis lachte säuerlich auf. „Das ist ja witzig. Und was nun?“
„Wir hätten uns den ganzen Scheiß sparen können. Keiner von denen würde die Verantwortung dafür übernehmen, also wirst du auch keine klaren Antworten bekommen!“
Mavis nickte. „Dafür gibt es ja dann wohl auch Leute wie uns. Wir müssen jetzt diese Entscheidung treffen. Dann werden wir entweder zu Helden, wenn es funktioniert oder zu Versagern, wenn es schiefgeht. Das ist unser Los!“
Jetzt nickte Vilo. „Ich weiß...und ich habe eine Entscheidung getroffen!“
Mavis schaute überrascht und blieb einen Moment stumm. „Und welche?“
Vilo atmete einmal hörbar ein. „In wenigen Minuten starten zwei Jäger von der Kamarulu , die mit Streubomben bewaffnet sind. Sie haben Order, sich mit dir in Verbindung zu setzen und die Anomalie direkt anzufliegen!“
„Ich werde meine Raketen entsprechend ausrichten!“ sagte Mavis sofort und wollte schon das Gespräch beenden, als er innehielt. „Vilo?“
„Ja?“
„Du hast die richtige Entscheidung getroffen!“
Vilo am anderen Ende der Leitung nickte wenig überzeugt. „Das hoffe ich, alter Freund. Für uns alle!“ Dann kappte er die Verbindung.
„Was ist?“ fragte Captain Mistak, der das Gespräch teilweise mit angehört hatte.
Mavis sah ihm direkt in die Augen. „Bringen sie die Morabi-Raketen in Stellung!“
Mistak verstand sofort und nickte mit großen Augen.
Während sie auf die Meldung der beiden Flugzeuge von der Kamarulu warteten, nahm Mavis noch einmal sein Fernglas zur Hand und überblickte das furchtbare Schlachtfeld.
Der Feind war fast pausenlos in der Überzahl gewesen, hatte bis zum jetzigen Zeitpunkt insgesamt zehn Angriffswellen geflogen. Es mussten mittlerweile weit mehr als zweitausend Jäger gewesen sein, die durch die Anomalie gestoßen waren.
Und jedes Mal, wenn eine neue Welle heran rollte und der Feind eine zahlenmäßige Überlegenheit in der Luft hatte, schritt die unfassbare Verwüstung von Ara Bandiks schnell weiter voran. Erst wenn die eigenen Truppen das Feld des Gegners wieder dezimiert hatten, blieb eine weitere Zerstörung aus. Mavis hatte es so oft in den letzten beiden Stunden deutlich gesehen. Der Feind war ihnen in Punkto Taktik und Können nicht gewachsen, wohl aber in seiner Anzahl so unendlich weit überlegen.
Deshalb würden sie hier auch keinen Sieg davontragen können, wenn es ihnen nicht gelang, die schier unerschöpfliche Armada des Feindes ein für allemal zu vernichten. Und das würde nur dann funktionieren, wenn es ihnen gelang, die Nachschublinien des Gegners zu zerstören.
Sonst würden sie noch hundert Jahre hier kämpfen können und doch nichts gewinnen. Ganz im Gegenteil: Je länger dieser ungleiche Kampf immer weiter ging, desto größer waren am Ende die Siegchancen des Feindes, denn im Gegensatz zu ihm, besaßen weder die poremischen Streitkräfte, noch irgendeine andere Truppe auf Santara ein derart unerschöpfliches Waffenarsenal.
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