„Wenn wir noch los wollen, sollte ich mich schnell noch fertig machen und duschen.“
„Gut, ich räume währenddessen hier auf“, sagte Henry und erhob sich ebenfalls.
Als Tina wenig später frisch geduscht nach unten kam, fand sie Henry auf ihrer Terrasse wieder. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand schaute er versunken in ihren Garten. Henry zuckte leicht zusammen, als Tina hinter ihm auf die Terrasse trat. Er sah sie über seine Schulter hinweg an.
„Schön hast du es hier.“
„Ja“, sagte Tina mit einem stolzen Lächeln.
„Du fühlst dich sehr wohl hier, oder?“
Tina nickte. „Ich liebe es. Hier bin ich zuhause.“
„Beneidenswert. Ich wünschte ich könnte das gleiche von mir sagen, aber bisher habe ich mich noch nirgends je wirklich zuhause gefühlt.“
„Nicht einmal in deinem Elternhaus?“, fragte Tina leicht verwirrt. Henry wich ihrer Frage jedoch aus und schüttelt leicht mit dem Kopf.
„Können wir los?“, sagte er stattdessen nur und Tina ging nicht weiter darauf ein. Er wollte anscheinend nicht darüber reden. Also beließ es dabei.
„Klar, los geht’s.“
Sie fuhren mit Henrys Wagen bis nach Büsum, um von dort die Fähre nach Helgoland zu nehmen. Eine halbe Stunde später befanden sie sich bereits auf einem Schiff Richtung Helgoland.
Der Morgen war sehr neblig gewesen und erst so langsam klarte sich der Himmel auf und die Sonne guckte dann und wann zwischen den Wolken hervor. Es würde ein schöner sonniger Tag werden, doch als sie an Bord des Schiffes gingen war die Feuchtigkeit des Nebels noch deutlich zu spüren. Aus diesem Grund waren Tina und Henry auch einer der wenigen Fahrgäste, die sich nicht unter Deck verkrochen. Sie gingen ganz nach vorne des Schiffes und sahen schweigend dabei zu, wie das Schiff ablegte und aus dem Hafen verschwand. Sie standen dicht beieinander, doch sie berührten einander nicht, bis Henry sich plötzlich von der Reling abstieß und sanft über ihren Arm strich.
„Ich hole uns einen Kaffee, ja?“, sagte Henry dicht an ihrem Ohr. Tina nickte nur. Sie wusste nicht, worauf dieser Tag hinaus laufen sollte. Sie war sich unsicher. Zum einen wünschte sie sich Henry einfach in die Arme zu nehmen, ihn zu küssen und den Tag einfach zu genießen. Zum anderen wünschte sie, sie könnten einfach wieder zusammen ganz ungezwungen rumalbern wie früher. Am meisten aber wünschte sie, dass dieses beklemmende Schweigen zwischen ihnen endlich ein Ende haben würde und sie irgendetwas von den anderen Möglichkeiten tun konnten.
Wenige Minuten später erschien Henry wieder mit zwei Styroporbechern in der Hand. Tina stieß sich nun ebenfalls von der Reling ab und drehte sich zu Henry um. Er überreichte ihr einen Becher.
„Danke.“ Tina nahm einen kleinen Schluck und verbrannte sich ein wenig die Zunge am heißen Kaffee. Sie zuckte zusammen. Henry sah sie grinsend an.
„Heiß?“
„Ja, verdammt heiß“, lachte Tina. Dann sahen sie sich kurz in die Augen, doch Tina ließ den Blick schnell wieder zu Boden sinken. Die ganze Situation war ihr unangenehm. Sie hatte gehofft, die Fahrt würde ihr Spaß machen, doch nun war sie sich nicht mehr so sicher, ob es eine so gute Idee gewesen war.
Henry sah sie jedoch weiter an. Tina spürte seinen Blick sehr genau und hob ihren Kopf schließlich wieder ein wenig. Henry lächelte und strich zärtlich mit der Hand über ihre Wange. Bei der Berührung wurde Tina augenblicklich heiß.
„Wie kommt es eigentlich, dass du nicht verheiratet bist oder einen Freund hast?“, fragte Henry mit rauer Stimme.
Tina lachte leicht auf. „Mmh… ich habe ehrlich gesagt absolut keine Ahnung“, scherzte sie dann.
Henry grinste. „Ich meine es ernst, Tina. Wie kommt es, dass du alleine bist? Ich meine, du bist sehr liebenswürdig, du bist witzig und du bist hübsch.
Tina freute sich über dieses Kompliment von Henry, doch bei den letzten Worten schüttelte sie nur den Kopf. Doch Henry widersprach ihr sofort.
„Doch Tina Wagner, du bist sehr hübsch. Warum also?“
Tina lächelte. „Vielleicht will ich ja gar keinen Mann haben, hast du daran schon einmal gedacht?“
„Nein“, sagte Henry frech und grinste.
Tina wandte ihren Blick dem Meer zu. Dann sagte sie:
„Ach, weißt du Henry, dass war nicht immer so. Es gab schon mal lange Zeit einen Mann an meiner Seite.“
„Was ist passiert?“
Tina sah Henry wieder an und zuckte mit den Schultern.
„Das Übliche, denke ich. Wenn eine Beziehung schon sehr lange anhält und das anfängliche Kribbeln nicht mehr vorhanden ist, aber es plötzlich bei jemand anderem wieder auftaucht.“
„Er hat dich verlassen, oder du ich?“
„Nein, er mich.“
„Was für ein Blödmann“, sagte Henry mit ernster Miene und Tina musste erneut lachen.
„War es was Ernstes mit ihm?“
„ Ja, wir wollten heiraten.“ Tina lachte bitter auf, bevor sie weiter sprach. „Er hat mich praktisch vorm Altar stehen lassen.“
„Im ernst?“
„Na, nicht ganz. Eine Woche vor unserer Hochzeit hat er seine Sachen gepackt und ist gegangen, aber es hat sich ähnlich angefühlt.“
„Das tut mir leid“, sagte Henry aufrichtig. Tina lächelte ihn gequält an. Es tat immer noch weh, darüber zu sprechen. Sie trank einen weiteren Schluck von ihrem mittlerweile abgekühlten Kaffee und sah wieder hinaus aufs Meer. Die Sonne stieß erneut durch die Nebelwaden hervor. Tina schloss für einen Augenblick die Augen und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht. Dann sah sie Henry wieder an und begann zu erzählen.
„Ich kannte Tim schon eine ganze Weile, ehe wir ein Paar wurden. Ich habe ihn durch meinen Bruder kennen gelernt, kurz nachdem ich gerade eine recht unschöne Beziehung hinter mir hatte. Wir waren anfangs nur gute Freunde und sind zusammen mit meinem Bruder und zwei, drei anderen Freunden oft um die Häuser gezogen, ehe wir anfingen miteinander auszugehen. Irgendwann haben wir dann herausgefunden, dass wir ähnliche Ansichten vom Leben hatten und bald mussten wir feststellen, dass wir mehr füreinander empfanden, als nur Freundschaft. Nach einem Jahr sind wir zusammen in unsere erste gemeinsame Wohnung gezogen, und wir haben uns wunderbar verstanden. Streit gab es bei uns so gut wie nie. Wir waren uns beide einig, dass wir Kinder wollten, doch Tim hatte darauf bestanden zuerst ein Haus zu kaufen. Die Haussuche wurde aber ziemlich schwierig, und dann ergab es sich, dass meine Großmutter mir ihr Haus vermachte. Für mich war sofort klar, dass ich in ihrem alten Haus leben wollte, ich hatte dieses Haus schon als Kind immer geliebt. Tim wollte hingegen unbedingt ein eigenes Haus kaufen, aber da wir nichts geeignetes fanden und er merkte, wie wichtig es mir war, ließ er sich schließlich doch dazu überreden. Es war natürlich eine Menge an dem alten Haus zu machen. Wir haben viel Geld in das Haus hineingesteckt und es von Grund auf saniert, bevor wir überhaupt eingezogen sind. Doch dann wurde alles gut und wir haben uns beide schnell eingelebt und uns ziemlich wohl gefühlt. Zumindest hatte ich angenommen, dass Tim sich ebenso wohlfühlte wie ich, denn kurz nachdem wir eingezogen waren, hat Tim mir schließlich einen Heiratsantrag gemacht. Ich weiß nicht, was dann plötzlich passiert ist oder warum. Einen Monat vor unserer Hochzeit klingelte sein Handy und ich ging ran, warum auch nicht? Das hatte ich schon öfter getan. Doch es meldete sich niemand auf der anderen Seite. Die Telefonnummer, die auf dem Display erschien kam mir jedoch bekannt vor. Ich wusste nur nicht woher. Im Nachhinein wusste ich, dass ich die Nummer schon öfter auf dem Display unseres Telefons gesehen hatte, aber auch da schon nie einzuordnen wusste. Ich sprach Tim darauf an, doch er wich mir aus und war aufgebracht, warum ich an sein Telefon gehe. Sein Verhalten hat mich stutzig und misstrauisch gemacht, doch er sagte es wäre alles in Ordnung und er wolle mich auf jeden Fall heiraten. Eine Woche vor unserer Hochzeit, hatte er es sich dann plötzlich anders überlegt. Er gestand mir, dass er bereits seit einem halben Jahr eine Affäre hätte und er nicht wusste, wie er es mir hätte sagen sollen. Er wollte mich nicht verletzten, also hat er bis eine Woche vor unserer Hochzeit gewartet.“
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