Sascha Weber
Saga
Suche Liebe. Biete mich. Copyright © 2007, 2019 Sascha Weber und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726325294
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk
– a part of Egmont www.egmont.com
Wer alles vorkommt:
Jonas Hellwege, genannt elian,Oberregierungsrat
Melanie, Jonas’ Exfreundin, Textilspezialistin
Karla, Jonas’ Schwester
Mutter, seine Mutter
Ilona, Managerin
J., genannt adelie,Pferdenärrin
Wolfgang Hormann, Europaabgeordneter
Hilde Hormann, seine Frau
Katy, genannt ephigenie,Studentin
Hartmut, Jonas’ Jugendfreund
Vera Höffner, Karlas ehemalige Lehrerin
Katrin, eine Liebende
fienum,Studentin in Emden
lara.b,Investmentbankerin
Paul, Jonas’ Freund, erscheint nur im Traum
Margo oder Margot, Jonas’ Sekretärin
Suse, genannt zauberlehrling,Theaterautorin
Bäcker, Huren, Dermatologinnen und Personen des öffentlichen Lebens.
Zum hundertsten Mal habe ich mir einen neuen Namen zugelegt, gestern. Ich habe mich wieder einmal getauft in einem kurzen Akt, dem niemand beigewohnt hat. Noch ein Name, noch eine Maske. Ich habe ein ganzes Notizbuch, das voll geschrieben ist mit Log-ins, Passwörtern, PIN-Nummern. Mit verwaisten Kontodaten, Chiffren, Kennungen, die nicht mehr gültig sind. Diesmal aber war es wichtig. Diesmal kam es drauf an. Also habe ich eine Flasche Cava aufgemacht. Ich habe mir eingeschenkt, habe das Glas an meine glühende Stirn geführt und auf den Bildschirm gestarrt. Ich bin jetzt Nutzer einer Partnervermittlung, online. www.neu.de. Mein Name ist elian.Prost elian,habe ich gesagt, auf ein gutes Gelingen. Im selben Augenblick ist die Heizung auf Nachtschaltung umgesprungen.
rubenwäre eine Möglichkeit gewesen. Aber ich habe mich für den Namen des kubanischen Flüchtlingsjungen Elian Gonzalez entschieden. Dessen Schicksal einige Wochen lang die Welt in Atem hielt. Seine Mutter wollte mit ihm fliehen, versuchte, Florida zu erreichen in einer kleinen, notdürftig geflickten Schaluppe. Aber sie kenterten, und die Mutter ertrank. Elian wurde von der amerikanischen Küstenwache aufgefischt und Verwandten, Exilkubanern, in Miami anvertraut. Die wollten ihn nicht mehr zurückreisen lassen – dabei war der Vater am Leben: in Kuba, wo der Feind regiert. Castro hielt stundenlange Reden, wetterte bis zur totalen Erschöpfung, sprach von Entführung und schürte den Volkszorn (E-li-aan! E-li-aan!), und die Zeitungen und Nachrichtensender auf der ganzen Welt berichteten tagelang über nichts anderes als über diesen Jungen, die Umstände seiner Rettung und die internationale Krise, die er ausgelöst hatte. Selbst noch seine Cousine wurde vor die Kameras gezerrt und erlitt einen Schwächeanfall.
Der Name eliansteht nicht nur für kindliche Unschuld, er steht für Fernweh, Exotik, vage Sehnsüchte: warmer Wind am Strand, kühle Getränke, das strahlende Lächeln eines jungen Mannes. Deutsche Frauen haben ein Faible für kubanische Männer, heißt es ja. Und da ich eine Mutter habe, die venezolanischer Abstammung ist, eine noch heute sehr schöne, überaus elegante Frau, und da ich tatsächlich dunkelhäutiger bin als die meisten Menschen hier, Städter, mit denen ich fast ausschließlich zu tun habe, lässt sich der Name, meine ich, rechtfertigen. Ich habe sogar kurz mit dem Gedanken gespielt, mich latinloverzu nennen oder zumindest e.iglesias,aber das führt ja zu nichts. Es steckt die falsche Botschaft drin. Die Frauen, die ich damit ansprechen würde – ich zweifle nicht, dass sich auch solche bei neu.de tummeln ‒, suchen jemand ganz anderen als mich. Die wollen die Chippendale-Nummer oder den gutsituierten Wochenendliebhaber. Als wenn es das gäbe: den Geschäftsmann mit dem Wochenendhaus auf Sylt, der auch noch aussieht wie Enrique Iglesias. Oder zumindest wie sein Vater. Manch einer behauptet übrigens, ich hätte Ähnlichkeit mit Felix Magath, dem Bayerntrainer. Dessen Vater soll ja aus Puerto Rico stammen. Aber ich bin jünger, größer. Ich bin, auch das sei gleich gesagt, kein Fußballtrainer und kein Schriftsteller und kein Rennfahrer. Also niemand, der schon von Berufs wegen Sexappeal hätte. Ich arbeite als Referatsleiter in einem Landesministerium. Habe ein abgeschlossenes Jurastudium, Staatsexamen mit eins, politische Ambitionen . . .
Obwohl ich schon seit Jahren verbeamtet bin, oder gerade deswegen, halte ich mich für einen guten, um nicht zu sagen idealen Partner. Ich bin voll beziehungsfähig, keineswegs vereinsamt oder, wie das bei Langzeitsingles häufig der Fall ist, verlottert. Ich bin kein Langzeitsingle. Ich bin ein so genannter transitorisch Alleinstehender – between relationships. Ich kann mich in Gesellschaft bewegen, tanze sogar, wenn es sein muss. Rauche nicht. In meiner Wohnung und in meinem Leben herrschen Ordnung und Sauberkeit. Ich habe, das ist mir immer wieder versichert worden, Geschmack, trage elegante, manchmal, eher an den Wochenenden, auch sportliche Kleidung. So großen Wert lege ich auf mein Äußeres, dass gelegentlich sogar meine strikt heterosexuelle Neigung angezweifelt wird. Was man ja immer irgendwie mitbekommt. Ich freue mich darüber, nehme es als Kompliment.
Auch mental bin ich auf der Höhe. Dass ich unter ein paar obskuren Phobien leide, weiß kaum jemand. Und wen sollte es auch stören? Dafür bin ich ein hervorragender Liebhaber. Als ich zum ersten Mal übers Wochenende weggefahren bin, mit sechzehn, hat mein Vater gesagt: Wenn du essen gehst mit deiner Freundin, dann stopfst du ja wohl auch nicht alles in dich hinein und verschwindest, sobald du satt bist. Du isst langsam, schaust, wartest. Bis auch sie aufgegessen hat. Dann kommt der Nachtisch. Den Nachtisch immer zusammen essen, hat mein Vater gesagt, das ist das Wichtigste! Bis zum letzten Sahnetüpfelchen auf dem letzten Minzeblättchen auf der Deko. Das Essen ist erst vorbei, wenn ihr beide beim Sahnetüpfelchen angelangt seid.
Das war die Regel, die mir mein Vater mit auf den Weg gegeben hat. Die Sahnetüpfelchenregel. Ich habe mich immer an sie gehalten. Darum bin ich ein ausgezeichneter Liebhaber.
Ich war eigentlich auf dem Weg zum Badezimmer, gestern Nachmittag, weil ich eine Pinzette suchte, mit der ich ein Haar entfernen wollte, das sich in die Tastatur meines Laptops gelegt hatte. Und zwar zwischen die Buchstaben j, k, l, ö in der mittleren Reihe und die darunterliegenden n, m sowie die Satzzeichen Komma und Punkt. Dort lag das Haar, dort hatte es sich festgesetzt, war mit den Fingerspitzen nicht herauszubekommen, auch nicht mit Pusten. Es war ein gerades schwarzes Haar mittlerer Länge und also mein eigenes, und ich dachte, vorbei die Zeiten, in denen ich längere Haare gefunden habe in meiner Wohnung, blonde. Oder auch leicht gewellte. Die fallen nicht auf eine Weise in die Tastatur, dass man sie mit einer Pinzette herausholen muss.
An der Wohnungstür klingelte es, und ich öffnete, ohne durch den Spion zu schauen. Das war unvorsichtig von mir. Auf dem Treppenabsatz stand eine etwa sechzigjährige Frau mit hennaroten, asymmetrisch geschnittenen Haaren, die ich erst einmal für die GEZ gehalten habe. Weil ich immer befürchte, bald kommt die GEZ vorbei und hält die Hand auf, womöglich noch rückwirkend, auf Jahre. Also halte ich immer gewisse Erklärungen bereit, bestimmte Sätze, die ich in dieser Situation zu sagen gedenke. Ich bin gewappnet, habe mir zum Beispiel zurechtgelegt, dass ich, seit ich einmal eine Aufführung des MDR-Balletts gesehen habe bei einer landespolitischen Veranstaltung im Osten, beschlossen habe, nie wieder in irgendeiner Weise mit den Öffentlich-Rechtlichen in Berührung zu kommen.
Читать дальше