Aber das ist schon eine harte Nummer, dass man erst einmal beweisen muss, dass man nicht total pervers ist. So etwas gibt es im richtigen Leben überhaupt nicht, da hat man nur mit Leuten zu tun, die zumindest schon mal davon ausgehen können, dass man nicht vorbestraft ist wegen irgendeines Sexdelikts, und dass man nicht stinkt oder ein richtig fieses körperliches Gebrechen hat. Online musst du dieses Grundvertrauen erst herstellen. Erst mal bist du als Mann ein potenzieller Lügner, ein fieser, stinkender kleiner Perverser.
Der österreichische Schriftsteller Heimito von Doderer hat – ich glaube, das war in den Zwanzigerjahren – eine Annonce aufgegeben: Suche dicke jüdische Damen. Das war wohl ein Fetisch, und er hat sich mit diesen Damen getroffen, viele, Hunderte haben sich gemeldet, und er hat seine Aufzeichnungen gemacht dazu, unter dem Manuskriptkürzel ›dd‹. Aus den Aufzeichnungen ist dann irgendwann ein Buch geworden, so ein Monumentalroman, wie sie in Österreich einige Zeit in Mode waren. Aber Dicke Damen oder gar Dicke jüdische Damen , das war natürlich kein Titel, mit dem sich ein Verleger hätte anfreunden können. Das Buch hieß dann Die Dämonen . Hauptsache, das Kürzel passte noch.
heimitowäre ein ausgezeichneter Name gewesen. Schade, dass ich nicht früher darauf gekommen bin.
Gestern Abend ist eine Menge passiert, ich bin gerade recht zuversichtlich. Das heißt, ich bin eigentlich sogar beinahe schon euphorisch, wenn ich daran denke, wie das gelaufen ist. Das Glück hat immer einen Namen, in diesem Fall sogar mehrere, mein kleines Glück heißt lara.b, heißt fienum, heißt immer noch adelie, und kurz vor Schluss, bevor ich endlich meinen Computer ausgeschaltet habe, hat sich noch ein weiteres Glück an mich herangeschlichen: zauberlehrling.
zauberlehrlinghat mich gleich zum Marathonlaufen eingeladen, beziehungsweise zum Trainieren, was mir eigentlich sehr gut passt. Ich wollte das immer schon einmal machen, und unbedingt vor meinem Vierzigsten. Ich fand es gut, wie sie das geschrieben hat. lara.bdagegen war nicht so locker. Sie wollte, nachdem ich sie gebeten hatte, mir ein Foto zu schicken, erst einmal wissen, wie mein Tag so abläuft, wie ich mir mein Leben vorstelle, ob ich eine bestimmte Lebensplanung habe und so weiter. Das sind eine Menge Fragen gegen ein ziemlich nichtssagendes Bild. Sie hat nämlich nur ihr Auge eingestellt, man sieht nur ein nach oben, zum Himmel gerichtetes Auge, erinnert ein bisschen an ein Foto von Man Ray. Und ein paar blonde Strähnen, die von der Stirn herabfallen, sind noch zu erkennen. Das Auge ist geschminkt, aber nicht stark, auf jeden Fall hat sie etwas mit den Wimpern gemacht, die kleben ein wenig zusammen. Alles ganz harmlos, eigentlich hat mir das Auge gefallen. Also habe ich mit meinem Bild zurückgeschrieben und gefragt, ob sie sich nicht revanchieren will. Dann kamen all diese Fragen wie bei einem Vorstellungsgespräch. Ich habe mich bemüht, wirklich, habe aber den Fehler begangen zu sagen, dass ich beruflich viel unterwegs bin, oft auch im Ausland, worauf sie antwortete: Das kann eine Beziehung aber sehr belasten. Dann ist sie trotz ihrer spürbaren Skepsis ein wenig aus sich herausgegangen.
lara.bist eine Bankerin und sie glaubt, da gegen Vorurteile ankämpfen zu müssen. Ich habe aber gleich erzählt, dass ich viel mit Bankern und natürlich auch Bankerinnen zu tun habe, und dann habe ich meinen zweiten Fehler begangen und spekuliert, dass sie mir ja vielleicht schon einmal Geld ausgezahlt habe. Aber nein, hat sie geschrieben, sie zahlt kein Geld aus, höchstens mal ein – das Geld, das ihr die Kunden zum Anlegen geben. lara.bist Anlageberaterin, arbeitet nicht an der Kasse. Ich hätte gleich fragen können, ob sie abends auch den Schalterraum putzen muss.
Danach kühlte sich der Austausch etwas ab. Wir haben nicht live gechattet, sondern einfach über die neu.de-Site Nachrichten hin und her geschickt, was nicht anders ist als normaler E-Mail-Verkehr. Es ist weniger anstrengend als ein Chat, kann sich aber auch etwas dahinschleppen. Ich bin da noch zu ungeduldig. Immerhin hat sie mir dann doch noch das Foto geschickt, einen größeren Ausschnitt, man sieht beide Augen und die Haare, die sehr gepflegt wirken, blondiert und gepflegt und schick modisch geschnitten, und man sieht noch den Nasenrücken. Da hört es dann auf. Die untere Hälfte, Mund und Kinn, hat sie noch zurückgehalten. Ich muss wohl noch die eine oder andere Frage beantworten.
Ich habe noch an Melanie gedacht gestern Abend, habe überlegt, ob ich ihr eine Nachricht schicken sollte. Telefonieren war nicht möglich in dieser Situation, ich war ja mittendrin im Gewühl und also sehr abgelenkt, und im Fernsehen lief Viel Lärm um nichts. Trotzdem kam dann der Gedanke an Melanie, warum es nötig gewesen war, sie so zu verletzen. Und ich habe mich gefragt, ob ich wirklich so gefühlskalt bin, wie sie behauptet. Ich habe Melanie geliebt, aber dann wurde diese Liebe erdrückt und verschüttet unter einem Haufen von Erwartungen.
Es war ein bisschen zäh mit lara.b,aber immerhin hatte ich jetzt mal Kontakt, ihre war die erste Nachricht, die ich erhalten hatte seit adelie. adeliewar auch wieder online, und ich hatte ihr geschrieben, mich ganz kurz noch einmal für den Chat bedankt, aber sie hat nicht zurückgeschrieben. Sicherlich auch so ein Versuch, nicht zu verzweifelt zu wirken, cool zu bleiben. Man muss sich Zeit lassen in diesem Forum, es können leicht mal ein paar Tage vergehen, bis man wieder etwas hört. Die Frauen verspüren nicht die gleiche Dringlichkeit, weil sie ja nicht bezahlen müssen. Sicher sind auch viele bei mehreren Diensten angemeldet, und einige, wie zum Beispiel fienumaus Emden, machen das nebenbei, lassen die Site einfach im Hintergrund mitlaufen, während sie an ihrer Seminararbeit schreiben. Das ist aber weit, habe ich geschrieben, Emden. Was bedeutet denn weit für dich?, wollte sie wissen, und ich habe gesagt, na ja, von meinem Balkon aus kann man das Meer nicht sehen, so viel ist schon mal klar. Dann hat sie geschrieben, dass sie an der Seminararbeit sitzt. Die Nachfrage, worum es in der Arbeit geht, ist dann schon ins Leere gelaufen. Immerhin, fienumfind ich süß, die sind eh alle ganz nach meinem Geschmack, soweit ich das beurteilen kann, ich habe sie ja auch ausgesucht. Ich schaue, wer im Netz ist und wer meine VK besucht hat, und dann schreibe ich, wenn ich mag, was ich da sehe und lese, ich lauere und warte und feuere dann meine Mail ab mit dem Foto. Und manchmal kommt eine Rückmeldung. fienumhat wirklich unglaublich schöne Haare, die zeigt sie natürlich auf dem Foto . . . am Strand, im Sturm, im Hintergrund die Brandung, und die Haare, ein halb aufgelöster, dicker Zopf, dunkelblond und lang, wirbeln durch die Herbstluft. Ein schönes Bild. Sie ist eins achtundsechzig und wiegt dreiundfünfzig Kilo.
Ich bin nicht weitergekommen mit fienum,wohl wegen der Seminararbeit. Ich bin nicht weiter gekommen mit lara.b,der Bankerin, weil ich mir tatsächlich diese kleinen Anfängerfehler geleistet habe, ich hätte nicht von meinen Reisen erzählen sollen, es gab gar keinen Grund, das gleich zur Sprache zu bringen. adeliehat sich nicht gemeldet, wer weiß, warum. Und trotzdem bin ich nicht unzufrieden, ich habe immerhin auf mich aufmerksam gemacht, habe jeweils mein Foto mitgeschickt und das hat genügt, um ein wenig Interesse zu wecken. Ich gehe davon aus, dass diese Frauen, die attraktivsten auf dieser Site – meine Standards sind, das merke ich, vergleichsweise hoch -, eine Menge Post bekommen, und wenn ich es schaffe, irgendeine Reaktion hervorzurufen, dann ist das schon einiges. Dann kann ich schon zufrieden sein. Letztendlich muss es ja nur bei einer klappen, nur eine, die sich festbeißen muss, die neugierig und immer neugieriger wird und nicht so hoch ansetzt wie lara.b.Es geht nicht um Lebensplanung erst einmal, es geht darum, miteinander warm zu werden, das Interesse füreinander zu wecken, vielleicht auch das Verlangen, sich mal zu treffen. Langsam, Schritt für Schritt, so habe ich es ja auch auf meiner VK geschrieben.
Читать дальше