Was Rassismus überhaupt ist, darüber führten wir im Anschluss hitzige Diskussionen. Bald entstanden zwei Lager im Seminarraum. Die eine Seite, auf der ausschließlich Freiwillige standen, argumentierte gegen die Seminarleiter des FAW. Die FAW-Mitarbeiter vertraten die Ansicht, dass es Rassismus gegen Weiße nicht gäbe, denn Weiße blieben bei jeder rassistischen Diskriminierung, die sie erfahren, am Ende doch immer die Privilegierten und Mächtigeren. Man könne lediglich von situationsbedingter Diskriminierung reden, wenn Weiße in Afrika beispielsweise mehr bezahlen müssen als Einheimische. In Togo betrifft dieses Phänomen zum Beispiel den Frisör. Die Preise für Weiße liegen nicht selten über dem 10-fachen dessen, was Togolesen zahlten. Und ja, das kann man sicher als eine eben solche situationsbedingte Diskriminierung begreifen. Weiße haben im Vergleich meist eben einfach mehr Geld in der Tasche als andere. Deshalb werden sie ungleich behandelt, behalten aber trotzdem die bessere Position. Ich habe aber auch etwas erlebt, worauf der Begriff der Diskriminierung nicht mehr passt, aber darauf komme ich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zurück.
Wie bereits erwähnt, mussten wir Freiwilligen vor der Ausreise ein Gesundheitszeugnis beibringen, in dem uns ein guter Allgemeinzustand attestiert wurde. Zu den weiteren Vorbereitungen zählten Besuche beim Tropenmediziner. Ich wurde gegen Gelbfieber, Hepatitis A und B, Tollwut, Meningitis, Keuchhusten und Cholera geimpft. Zudem richtete ich mir ein Onlinekonto ein, damit ich in Togo eine Visa-Karte besaß, mit der ich kostenlos Geld abheben konnte. In Togo stellte sich dann heraus, dass Visa eine gute Wahl war, denn Maestro-Karten funktionierten dort nicht.
Dann hieß es einkaufen. Ich kaufte mir Trekkingsandalen, Flip-Flops, einige T-Shirts, Baumwollunterwäsche, kühlendes Gel, sehr viele Insektenschutzsprays, Sonnenmilch, Pflaster, Schmerz- und Durchfallmittel für die Reiseapotheke und einen großen Vorrat an Tampons – denn die gibt es in Togo nicht zu kaufen. Zu den anderen Dingen, die ich mitnahm, zählten ein Taschenmesser, eine Regenjacke, ein Moskitonetz, ein Jugendherbergsschlafsack, eine Taschenlampe und ein kleiner Wanderrucksack.
Manche Sachen davon erwiesen sich in Togo als überaus nützlich (wie zum Beispiel das kühlende Gel, das sehr gut bei Insektenstichen half) wohingegen sich andere Dinge als völlig überflüssig herausstellten. Ich hatte viel zu viel Sonnenmilch eingepackt! Ein oder zwei Tuben hätten locker für das ganze Jahr gereicht. In der prallen Sonne hält man sich in Togo ohnehin wenig auf und auch sonst schien die Sonneneinstrahlung nicht so intensiv zu sein. Denn obwohl fast immer die Sonne schien, verursachte sie nur selten einen Sonnenbrand. Vielleicht lag das an dem vielen Staub, der dort in der Luft liegt.
Eine Regenjacke braucht man auch nicht. In der Regenzeit stellt man sich einfach solange unter, bis der Regen vorbei ist. Das mag dem einen oder anderen Europäer absurd vorkommen. Wer in Deutschland von einem Regenschauer überrascht wird, rennt wahrscheinlich ganz schnell nach Hause oder holt seinen Knirps aus der Tasche. In Togo wartet man, bis der Regen aufgehört hat. „Zeit gibt es genug“, denkt man sich. Wovon sonst kommt immer mehr nach?
Und selbst bei monsunartigem Regen ist es immer noch sehr warm und man verspürt keine Lust, eine Regenjacke zu tragen. Eher sollte man sich einen gemütlichen Pulli mitnehmen. Das einzige Mal, als ich meine Regenjacke in Togo benutzte war, als ich nachts fror.
An Gepäck waren von der Fluggesellschaft zwei Koffer à 23 kg und ein Handgepäckstück zugelassen, was ich voll nutzte. Bei der Rückreise ließ ich dann viele der Dinge in Togo zurück, damit ich in den Koffern Platz für all' die schönen Souvenirs und bunten Kleider fand, die ich aus Togo mitbrachte. Man sollte wirklich nicht zu viel Kleidung mitnehmen. Teure Funktionskleidung ist nicht nötig. Die vielen farbenfrohen gemusterten Stoffe, die es auf dem Markt gibt, verleiten einen schnell dazu, sich etwas daraus schneidern zu lassen. Die knalligen Stoffe, die in Togo „Pagne“ heißen, sind mit den wildesten Motiven bedruckt. Blaue Hühner, rote Telefone, Duschbrausen, knatschpinke Pumps oder überdimensionale USB-Sticks – alles ist tragbar. Meine Mitfreiwillige und Mitbewohnerin Luisa konnte sich überhaupt nicht bremsen und besaß am Ende über 30 Kleidungsstücke aus afrikanischen Stoffen. Besonders beliebt war unter uns Freiwilligen der „Garnelen-Pagne“. Auf dunkelblauen Grund waren unzählige knallrote Garnelen gedruckt. Philip ließ sich aus diesem Stoff sogar einen zweiteiligen Anzug, einen „complet“, schneidern.
Ein Pagne-Stand auf dem Markt.
Unzählige Motive und Farben kennzeichnen die afrikanischen Stoffe.
Vor dem Abflug musste natürlich auch noch ein Geschenk für meine zukünftige Gastfamilie her. Ich wusste zu dem Zeitpunkt der Ausreise noch nicht, in welche Familie ich kommen würde, ob die Familie Kinder haben würde und wenn ja, wie viele. Mir blieb daher nichts anderes übrig, als ins Blaue hinein zu kaufen. Ich besorgte Malbücher, Buntstifte und einen Anspitzer. Außerdem wollte ich meiner Gastfamilie typisch deutsche Geschenke machen. Ich fand ein hübsches Frühstücksbrettchen mit Motiv, kaufte Erdbeermarmelade aus eigener Herstellung, lokale Süßigkeiten-Spezialitäten, eine Flasche deutsches Bier mit Bügelverschluss und Fruchtgummi mit Waldmeistergeschmack. Der Verkäufer in dem Fruchtgummiladen versicherte mir, dass Waldmeister etwas total Besonderes ist, was es nur in Deutschland zu kaufen gäbe und damit entsprach auch das Fruchtgummi voll und ganz meinem Anspruch.
Ausgestattet mit all' diesen Dingen fühlte ich mich bereit für die große Reise. Am Vorabend meiner Ausreise gab es noch eine große Grillfeier und ich verabschiedete mich von meiner Familie und meinen Freunden. Am nächsten Tag ging es dann tatsächlich los. Der FAW hatte für alle Freiwilligen, die durch weltwärts gefördert wurden, denselben Flieger gebucht und so traten wir gemeinsam unsere Reise nach Togo an. Am Frankfurter Flughafen verabschiedeten wir uns von unseren Eltern und Freunden, die uns zum Flughafen begleitet hatten. Die meisten kämpften mit den Tränen. Als ich durch das Gate ging und die Personenkontrolle passierte, konnte ich meine Eltern, meine Schwester Claudia und meine Freundin Marie noch durch die Glasscheiben sehen. Da fühlte auch ich auf einmal einen dicken Kloß im Hals. Wie lange würden sich die zwölf kommenden Monate ohne meine Familie und meine beste Freundin wohl anfühlen? Was lange Zeit nur ein Traum war, wurde auf einmal ernst. Ich winkte meinen Lieben noch ein letztes Mal zu, atmete tief ein, drehte mich um und schritt meinem Abenteuer entgegen.
Ein Direktflug nach Togo bräuchte eigentlich nur 6 Stunden. Da es sich bei unserer Airline aber um eine äthiopische Fluglinie handelte, mussten wir zunächst nach Addis Abeba, die äthiopische Hauptstadt, um von dort weiter nach Togo zu fliegen. So dauerte unser Flug nach Lomé, der Hauptstadt Togos, ganze 16 Stunden.
Togo besitzt nur einen einzigen internationalen Flughafen und im Gegensatz zu den deutschen Flughäfen ist er winzig klein. Nachdem wir unser Gepäck abgeholt hatten, warteten wir in der Flughafenhalle auf jemanden, der uns abholen sollte. Ein junger Mann kam freudig auf uns zu und dirigierte uns zu dem Parkplatz vor dem Flughafengebäude. Dort saß Honoré Akete, der Leiter der Partnerorganisation, am Steuer eines blauen Kleintransporters. Dass es sich bei ihm um Honoré handelte, fanden wir aber erst später heraus, denn vorgestellt hatte er sich uns nicht.
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