Die Homepage der Organisation machte auf mich einen sehr sympathischen Eindruck. Bilder von glücklich aussehenden Menschen unterschiedlichster Herkunft und exotischen Tieren machten mich neugierig. Auch das Leitbild der Nichtregierungsorganisation fand ich sehr ansprechend. Interkulturelle Begegnungen, Friedensarbeit, Vielfalt und Solidarität waren dem FAW wichtig. Das konnte ich blind unterschreiben.
Eine Bewerbung beim FAW war online möglich. Über eine Maske auf der Homepage bewarb ich mich also für einen Dienst als Freiwillige. Die Bewerbung war recht aufwändig. Zunächst sollte ein Onlinefragebogen ausgefüllt werden. Der beinhaltete neben den üblichen Angaben zum Lebenslauf, Auskünfte über Fremdsprachenkenntnisse, bisherige Auslandsaufenthalte und die eigene derzeitige Wohn- und Lebenssituation. Die persönliche Motivation für einen ehrenamtlichen Freiwilligendienst sollte ebenfalls umfangreich dargestellt werden: „Welche sozialen, politischen, gesellschaftlichen Themen beschäftigen Dich? Welche Ziele für Deine persönliche Entwicklung verbindest Du mit Deinem Auslandsaufenthalt? Welche persönlichen Stärken und Eigenschaften kommen Dir, aus Deiner Sicht, für Deine Zeit als Freiwilliger zu Gute?“, sind drei Beispiele für Fragen, über die es hier nachzudenken galt.
Zusätzlich sollten der Bewerbung zwei aussagekräftige Referenzschreiben beigelegt werden. Ich bat die Professorin, die meine Masterarbeit betreute und bei der ich als studentische Hilfskraft angestellt war, und einen der anderen Dozenten um ein solches Schreiben.
Einige Wochen später bekam ich einen Brief. Ich wurde zu einem zweitägigen Informationsseminar in Hessen eingeladen. Wow! Vor Freude sprang ich wild in meinem Zimmer des Studentenwohnheims umher. Gespannt fuhr ich kurze Zeit später mit dem Zug nach Hessen. Etwa 50 junge Leute waren ebenfalls angereist. Auf dem Seminar stellte die Organisation sich und ihre Programme gründlich vor. Zur Finanzierung eines Freiwilligendienstes gab es mehrere Möglichkeiten: Das weltwärts-Freiwilligenprogramm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung beinhaltete den Hin- und Rückflug, die Vermittlung in ein Projekt, die Unterbringung in einer Gastfamilie und ein monatliches Taschengeld in Höhe von 100 Euro (was in einem Entwicklungsland über dem Monatseinkommen der meisten Menschen liegt). Der Restbetrag von 1800 Euro, den weltwärts nicht abdeckt, sollte durch einen Förderkreis selbst beigebracht werden.
Neben diesem Programm gab es die Möglichkeit, den Auslandsaufenthalt über den IJFD (Internationaler Jugendfreiwilligendienst) oder das EU-Programm EFD (Europäischer Freiwilligendienst) zu finanzieren.
Mit jedem Bewerber wurde später auf dem Seminar ein Einzelgespräch geführt, in dem nach den eigenen Vorstellungen und Erwartungen an den Freiwilligendienst gefragt wurde. Welche Herausforderungen für einen in dem Gastland wohl am schwierigsten zu bewältigen sein würden, war zum Beispiel eine solche Frage. Ich stellte mir die Sprache zu diesem Zeitpunkt als das größte zu überwindende Hindernis vor. Ich ahnte schon, dass es mich furchtbar frustrieren würde, nicht das ausdrücken zu können, was in mir vorging.
Nach dem Gesundheitszustand der Bewerber erkundigte man sich in dem Gespräch ebenfalls, dieser sollte später noch durch ein ärztliches Gesundheitszeugnis dargelegt werden.
Einige Wochen nach dem Seminar hatte ich wieder Anlass fröhlich in meinem Zimmer umherzuspringen: Ich bekam die Zusage für einen einjährigen Einsatz in Togo! Togo war das Land, das ich als Erstwunsch für meinen Freiwilligendienst angegeben hatte. Ich hatte doppeltes Glück, denn mein Einsatz als Freiwillige wurde durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefördert. Bis zum 28. Lebensjahr kann man sich für die Förderung bewerben. Ich sollte glücklicherweise erst in Togo 28 Jahre alt werden und bekam einen der begrenzten Förderungsplätze.
Durch die weltwärts-Förderung war der Großteil der Kosten für mein Auslandsjahr also abgedeckt. Es blieb aber noch der Restbetrag von 1800 Euro, den ich durch einen Förderkreis, ein für mich bis dato völlig unbekanntes Konzept, aufbringen sollte. Die Idee des Förderkreises ist, kurz gesagt, dass man Spenden für seinen Einsatz sammelt und dadurch gleichzeitig viele Menschen darüber informiert und für die Sache interessiert. Ich schrieb insgesamt 18 Briefe an Freunde und Verwandte, in denen ich ihnen von meinen Plänen berichtete und sie um eine Spende für meinen Förderkreis bat. Ein paar Unternehmen schrieb ich ebenfalls an, erzielte damit jedoch keinen Erfolg. Andere Freiwillige waren in ihren Unternehmungen kreativer und verkauften zum Beispiel Waffeln an ihrer Schule. Ich konnte insgesamt 1000 Euro in meinem persönlichen Umfeld sammeln und bestritt den Restbetrag selbst.
Zusammen mit mir reisten weitere sieben junge Freiwillige über den FAW nach Togo aus: Felice, Pia, Philip, Luisa, Maike, Tanja und Thorsten. Fast alle hatten gerade ihr Abitur bestanden und waren zwischen 17 und 20 Jahren alt. Nur Pia und ich waren schon deutlich über 20. Die meisten Freiwilligen, die der FAW ins Ausland entsendet, befinden sich klassischerweise in einer Übergangssituation. Meistens von der Schule an die Hochschule, bzw. den Beruf oder von der Hochschule in den Beruf.
Unsere Gruppenmitglieder kamen aus den unterschiedlichsten Regionen Deutschlands. Philip war ein waschechter Hamburger, Thorsten wohnte nicht weit von Berlin entfernt, Tanja, Pia und Maike kamen aus dem Stuttgarter Raum. Luisa und ich entstammten dem Rheinland und Felice kam aus München. Immer wieder lachten wir über die sprachlichen Unterschiede, die sich bei uns offenbarten. Maike nannte ein „Butterbrot“ eine „Vesper“, „Frikadellen“ hießen bei anderen „Ballen“ und als einen „Hoddel“ bezeichnet lange nicht jeder einen „Lappen“.
In Togo arbeitet der FAW mit der Organisation Campagne des Femmes zusammen. Deren Präsident, Honoré Akete, vermittelte uns Freiwillige in Projekte und war für unsere Betreuung vor Ort zuständig. Jeder von uns Freiwilligen hatte im Voraus eine Präferenz für ein Projekt angegeben und daraufhin eine Zuteilung erhalten. Ich sollte in dem Büro von Campagne des Femmes eingesetzt werden. Genau das hatte ich mir gewünscht. Ich war voller Vorfreude auf meine Ausreise. Mein Leben würde sich für ein Jahr komplett verändern und ich brannte auf dieses Abenteuer.
Während eines 10-tägigen Seminars in Nordhessen bereitete der FAW uns auf unseren Einsatz als Freiwillige vor. Zusammen mit 137 anderen Freiwilligen, welche in die verschiedensten Länder der Welt entsendet werden sollten, erarbeiteten wir uns in Kleingruppen Themen wie westliche Privilegien, Vorurteile oder globalisierter Handel. Die Stimmung unter uns Freiwilligen war super gut und unsere Erwartungen an das Auslandsjahr mega hoch. Jeder hängte sich in den Seminaren rein und alle versuchten, besonders schlaue und gewichtige Dinge zu sagen.
Die Einheit, die wir über Rassismus machten, blieb mir besonders in Erinnerung. Hier wurde am heftigsten diskutiert. Ich erfuhr, dass der Rassismus ein Abfallprodukt der Aufklärung war und unter anderem auf Ideen von Immanuel Kant zurückzuführen ist. Das überraschte mich sehr. Kant kannte ich bisher nur als den friedvollen Denker, der wollte, dass die Menschen gut zueinander sind. Als den Mann, der den kategorischen Imperativ aufstellte, der besagt, dass man so handeln soll, dass das eigene Handeln jederzeit ein allgemeingültiges Gesetz werden könnte. Jetzt lernte ich, dass insbesondere auf Kant eine Theorie zurückgeht, in der die Menschheit in vier Rassen eingeteilt wurde. Die Rassen sollten sich vor allem in ihrer Vernunftbegabtheit unterscheiden. An der Spitze, wie sollte es anders sein, stünden die Europäer. Unglaublich, dass Menschen so etwas ernsthaft denken konnten.
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