Es war vor allem Theresias Beichtvater, der sie in unwürdigster Weise behandelte: „Furchtbar war es, was mich mein Beichtvater zwang zu tun.“ Er habe alle ihre Visionen, in denen ihr auch Jesus erschien, für Einbildung gehalten. 104Deshalb habe er ihr befohlen, im Moment, wo Jesus ihr erscheine, die »Feige« zu machen, d.h. eine obszöne Geste, mit der sie Jesus bzw. die Einbildung von ihm vertreiben sollte. Theresia wörtlich dazu: „Die >Feige<, ja! Eine Herabwürdigung ohnegleichen, die da von mir verlangt wurde!“ Der Beichtvater sei „ein bornierter Mann, verblendet und ungut“ gewesen. Er sei „noch heute in der Hölle, leider. Diese Art von Engherzigkeit führt stracks in die Hölle – und Rechthaberei sorgt dafür, dass so ein Mann drinbleibt. Noch heute pocht er darauf, dass er recht gehandelt hat, obwohl ich mich ihm gezeigt habe und versucht habe, ihn eines Besseren zu belehren. Rechthaberei – wieviel Opfer sie fordert; es ist gar nicht zu glauben! Ja, sie sollte als die achte Todsünde gelten. So verbockt sind solche Männer manchmal, dass sie jahrhundertelang lieber leiden als ihre Fehler einzusehen.“
Im eben Gesagten scheint es so, als ob Theresia von Avila die Hölle, in der sich ihr zufolge ihr Beichtvater befindet, schon wieder im Sinne des kirchlichen Dogmas auffasst. Sie beeilt sich deshalb, dem sofort entgegenzutreten: „Hildegard und ich lernten auch das kennen, was man >Hölle< nennen mag, obwohl auch das nicht im Geringsten unseren Vorstellungen entsprach. Weder war >Hölle< ein Ort, noch sah man dort Peiniger – es war kalt, nicht heiß. Die Hölle war eiskalt, finster und stank – und sie bestand aus nichts als dem Geisteszustand ihrer Bewohner. Und nicht einmal das stimmt genau: die Bewohner der Hölle, die einen inneren Zustand nach außen hin darstellen, sind dieser Zustand selbst, der gleiche Stoff, dicht im Vergleich mit uns, in gewisser Weise durchorganisiert und – wie alles in diesem Universum – einem ihm innewohnenden Gesetz folgend … Die Herren der Hölle peinigen nur sehr indirekt, indem sie als Brennpunkte und führende Elemente schwarzer Kräfte dienen. Sie sehen zu, dass in ihrem Reiche alles auf Trab bleibt, denn die Befriedigung ihrer perversen Lüste verlangt einen gewissen Kraftaufwand. Selbst in der Hölle muss man arbeiten, nicht für den Lebensunterhalt, sondern um die allem normalen Empfinden spottenden Sehnsüchte jener Kreaturen zu stillen.“
Aber diese Hölle, so Theresia aus dem Jenseits, ist niemals und in keinem einzigen Fall ewig, obwohl doch genau dies die kirchenamtliche Dogmatik proklamiert: „Nichts“, so Theresia, „das einer tut oder zu tun unterlässt, verdient ewige Strafen oder ewige Seligkeit … Menschen können ungeachtet ihres Geburtsortes oder Glaubensbekenntnisses der ewigen Seligkeit teilhaftig werden, wie übrigens auch die ungetauft verstorbenen Kinder … ihr Willkommen im Himmel hängt nicht an ein paar Tropfen von heilig gesprochenem Wasser“.
Aber kommen wir nun endlich zum »Problem Gott«, wie es Hildegard von Bingen und Theresia von Avila in der jenseitigen Dimension sehen. Sie müssten ja schon tief in diese Problematik eingedrungen sein, da sie sich als bereits auf den höchsten Stufen jenseitiger Vervollkommnung und Erkenntnis befindlich bezeichnen. O-Ton Theresia: „Wir stehen nicht auf der gleichen Stufe: Hildegard ist auf der 7. der VI., ich wäre auf der l. der VII., wenn es das gäbe. Aber von der VII. ab rechnen wir nicht mehr Stufen, da von der VII. ab eine Auflösung der eigentlichen Persönlichkeit beginnt.“ Theresia druckst hier gegenüber ihrem Medium ein wenig herum, aber ihre Aussage geht in die Richtung, dass auf oder nach der VII. Stufe die menschliche Seele im Universal-Sein, im unendlichen Seinsgrund total aufgeht.
Dieses Sein ist nach Theresia und Hildegard auch kein Schöpfer im Sinne der kirchlichen Dogmatik: „Beginnen wir“, so erstere, „mit dem anfangslosen Beginn. Die Vorstellung von einer Schöpfung, wie die Bibel sie schildert, ist nämlich das Erzeugnis einer beschränkten Denkart, die nicht fähig ist, das zu begreifen, was nur eine unbegrenzte Denkart begreift“. Sie, Hildegard und Theresia, hätten dagegen „ein uneingeschränktes Erfassen und eine im wahren Sinne des Wortes unbegrenzte Übersicht und Bewusstwerdung eines Alls“ gewonnen, „das in seinem ureigenen Licht erstrahlt.“ Was sie damit sagen wollen, ist offenbar: Das All selbst ist Gott. Die ganze Wirklichkeit, alles, was ist, ist vom Seinsgrund durchdrungen und durchstrahlt, ihm zugehörig, auch wenn die Erscheinungsweisen dieser Gesamtwirklichkeit (im buddhistisch-hinduistischen Sinn: die Maya) so ungöttlich, ja oft so grausam sind.
Dieses ewige Sein, von dem man nach Hildegard und Theresia genauer und lieber als von Gott sprechen sollte, ist aber kein statisches. Vielmehr „setzt sich das Sein jeweils erneut in Gang. Wir wissen nur, dass sich ein unveräußerlicher Rhythmus, eine allen Dingen innewohnende Ordnung manifestiert, ihr eigener Herr, Meister-Mechaniker, Schöpfer – falls etwas Anfangsloses als Schöpfung bezeichnet werden kann. Und ebenso unveräußerlich sind andere Eigenschaften: Gerechtigkeit und Vollkommenheit.“ „Wir“, Hildegard und Theresia, „sahen auf einmal die Vergangenheit bis dorthin zurückgehen, wo unsere Erde nichts war als ein bloßer Gedanke, dem allmählich Eigenschaften zuwuchsen, aus denen dann Materie entstand und wir begriffen: eines Tages wird diese Materie zerfallen und in anderen Gegenden unseres Universums werden neue Verdichtungen entstehen. Es war ein Weltall, das zu atmen, sich zu wandeln und sich schließlich aufzulösen schien, dessen Auflösung aber die Gewissheit einer Wiedergeburt in sich schloss – allerdings erst nach so endlos langen Zeitläufen, dass keinerlei Vergleich ihre Dauer auch nur anzudeuten vermöchte.“ Fast ist man, wenn man die beiden hl. Frauen so reden hört, an Nietzsches Idee der ewigen Wiederkehr erinnert. Tatsächlich sprechen die beiden Heiligen in aller Form auch vom „Reich der freudigen Immerwiederkehr“.
Der Betrachtung der Diesseitigen erscheint das All fremd, ja feindselig, ein sinnloses Tohuwabohu entstehender und vergehender Sterne und ganzer Sternsysteme. Dieser Eindruck täuscht, der tiefste, aber auf alles ausstrahlende Kern des Universums ist Liebe. O-Ton Theresia: „Es gibt eine Eigenschaft … die dem Wesen des Universums … unabdingbar [ist], etwas Unaussprechliches und doch mit dem abgegriffensten aller Namen ausgestattet: die Liebe. Was die meisten darunter verstehen, ist dem, was wir beschreiben möchten, kaum oder überhaupt nicht ähnlich. Die erste Erschütterung nämlich ist Erstaunen, dass dir so Köstliches und Lebenspendendes, etwas so jedes Bedürfnis Übersteigendes gewährt werden könnte. Liebe ist ewig neu. Jedes Gran Liebe ist ein neues Erlebnis, ständig wachsend, beschenkend, sich nie wiederholend, stetig sich steigernd, welches dich mit so viel Licht umfließt, dass es dich dein Ich vergessen macht, dessen Grenzen es auslöscht und dich in der Liebe eigenste Süße verwandelt, die in dir zunimmt, ein sanftes ständiges Übermaß.“
Den Diesseitigen, ge- und befangen in ihrer kleinen irdischen Welt, erscheine ein solches Universum, das noch dazu von unendlicher Liebe durchstrahlt sein soll, völlig abwegig. Aber das sei nur unsere enge terrestrische Perspektive: „Eure Welt steckt noch in ihren Anfängen. Sie ist primitiv, gebärdet sich ungeschlacht, sie ist unreif und lernfaul. Ihr habt also einen sehr langen Weg vor euch. Eure technischen Leistungen waren in – heute dem Gedächtnis der Menschheit wieder entfallenen – Epochen bereits überholt. Ihr seid lediglich im Begriff, sie zurückzugewinnen und seid unmäßig stolz auf sie. Wir hier erinnern uns ungleich fortgeschrittenerer Zivilisationen, fortgeschrittener besonders im Hinblick auf die Wissenschaft vom höchsten Wissen … In eurem gegenwärtigen Stadium (wir nannten es >primitiv<) könnt und sollt ihr Verbesserungen erwarten … Deshalb seid ihr ja auch, wo ihr seid, sozusagen in der Schule, womöglich sogar in der Reformschule“. (Man ist hier erinnert an Goethes Aussage, die Erde sei eine „Pflanzschule des Geistes“). Jedenfalls, so Theresia weiter: „Wo ihr jetzt seid, das ist nicht eure wahre Heimat. Ihr habt eine bestimmte Sendung, die ihr erfüllt oder verfehlt. Das liegt ganz an euch. Begreift bitte das Wesen eurer Heimat, in die ihr immer wieder zurückkehrt: sie ist nicht Ort, sondern Zustand.“ Die Probleme eurer Welt sind „Kindergarten-Probleme, ernst zu nehmen freilich, weil ihr ja in diesem Kindergarten lebt – immerhin aber nur Kindergarten-Probleme“. Befreit euch „von den Theorien und Dogmen, die euch von allen Seiten einengen; von der Froschperspektive eurer Anschauungen; von der Hörigkeit alles Verlangens, das euch nur tiefer in das verstrickt, was euch die Sicht ohnehin schon verstellt. Doch rufen wir nur die ganz wenigen dazu bereiten Menschen zur Askese auf – aber wie viele sind das schon? Was wir euch aber mitgeben möchten, ist ein gleichsam vorweggenommener Blick auf eine sehr große Wirklichkeit, eine größere, als sich die meisten von euch träumen lassen“.
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