Ich war nicht mehr zu beruhigen. „Ich habe Tim immer zur solidarischen Hilfe für Arme und Schwache angehalten, aber nicht für meinen Müsliteller!“
„Schatz!“
Ich war nicht mehr zu beruhigen. Demnächst darf ich unser Auto nicht mehr durch die Waschstraße fahren, weil es womöglich eine Lungenentzündung bekommen könnte!“
Dass mein Frau mittlerweile in ihr Arbeitszimmer umgezogen war, hatte ich schemenhaft wahrgenommen, doch unerschütterlich fuhr ich fort, dass demnächst wohl unsere Schmutzwäsche nach dem letzten Waschgang unter einem Schleudertrauma mit anschließenden Depressionen leiden werde. Ich lachte kurz hysterisch auf.
In der Nacht träumte ich schlecht: Ich hörte Kuchenteller nach einem Kälteschock klappern, Gabeln und Messer weinten und liefen fahl an, Weingläser plusterten sich bauchig auf und zersprangen klirrend in eine teilnahmslose Welt. Der Höhepunkt bestand darin, dass ich stundenlang vergeblich an einer verriegelten Duschkabine rüttelte. Nahezu verdampft wachte ich auf.
Vor kurzem noch hatte ich gelesen, dass der stressgeplagte Manager in der Familie seinen Ausgleich von der Arbeit finde, sie sei seine stete Kraftquelle.
Am Frühstückstisch bestrich ich zärtlich die Tasse, wusste ich doch nun, wie sie leiden würde angesichts des heißen Kaffees und der anschließenden ebenso heißen Spülung, das Glas Orangensaft umfasste ich sorgsam wie den zerbrechlichen Oberarm meiner Tochter, den Eierbecher würdigte ich nur eines scheuen Blickes, ich wollte ihn nicht nutzen, um ihn nicht unnötigen Qualen auszusetzen. Dann stürzte ich mich unausgeschlafen in die Arbeit.
Einen Kollegen wies ich darauf hin, dass er etwas roh mit seiner Kaffeetasse umging, eine andere Kollegin bat ich im Raucherzimmer händeringend, den Aschenbecher vor unnötiger Hitzeeinwirkung zu verschonen, was sie fälschlicherweise als Aufforderung verstand, das Rauchen aufzugeben.
Abends dachte ich mir zunächst nichts Böses, als meine Frau ein Krisengespräch für angebracht hielt. Ich war bereit dazu, hielt ich Kindererziehung doch für eine wichtige Aufgabe, die man nicht dem Zufall überlassen sollte, aber es ging nicht um Kindererziehung sondern um die Spülmaschine. Die Spülmaschine! Die Spülmaschine sei eigentlich überflüssig.
Freundlich noch und mit einem gewissen Gefühl der Überlegenheit ging ich auf die Diskussion ein, wähnte ich mich doch im Besitz der besseren Argumente.
„Ihr wollte einen Hort des Fortschritts in Frage stellen, die Spülmaschine? Immerhin verbrauchen wir sehr viel weniger Wasser als im üblichen Handabwasch!“
„Du Krämerseele“, wurde mir entgegengehalten, „vergiss mal deine ökonomische Rationalität, den Zielkonflikt zwischen Ökologie und Ökonomie kriegen wir auch anders in den Griff und überhaupt, versetz dich mal in eine sensible Kinderseele!“ dozierte Katharina.
„Aha!“ frohlockte ich, „es geht also doch um unser Kind und nicht um die verbrühte Seele der Eierpfanne!“
„Um beides!“ riefen nun alle drei gleichzeitig.
Immer noch freundlich und zu einem konstruktiven Gespräch bereit, setzte ich neu an:
„In der Zeit, wo die Spülmaschine läuft, kann jeder von euch seinen Hobbys nachgehen. Du Tim, kannst mit deinem Kaninchen spielen, du, Katharina, kannst mit deinen Freundinnen telefonieren, du, Veronika, kannst mal in Ruhe ein Buch lesen. Es fügt sich doch bestens dank der Spülmaschine!“
Nachdem Tim mir wortlos mit seiner geknechteten Kakaotasse gedroht hatte, kam die große Stunde meiner Tochter. Sie trieb mich in die Enge:
„Du versteht es nicht! Es geht hier nicht darum, dass jeder irgendwo für sich rumhängt, sondern um Kommunikation und Zusammenhalt in der Familie!“ Die Spülmaschine würde die Familie zersplittern.
Peng! Das saß. Meine Frau gab mir den Rest: “Schatz, du bist so selten zu Hause! Der gemeinsame Handabwasch führt unsere Familie durch Gespräche wieder enger zusammen. Wir schaffen die Maschine ab!“
Ich äußerte noch zaghaft einige Vorbehalte und man sollte nichts überstürzen.
In dieser Nacht fiel der gesamte Küchenschrank über mich her: Die Gabeln kratzten mir die Augen aus, die Knoblauchpresse folterte mein empfindsames Knie, die Messer amputierten, was noch dran war, nachdem eine tonnenschwere Nudelrolle über mich hinweggerollt war und der Fleischklopfer die Gelenke zertrümmert hatte.
In den nächsten Tagen verzichtete ich auf das Kantinenessen im Betrieb, weil mir die Bestecke diese Welt in verständlicher Solidarität schrill klimpernd drohten. Ich mied Restaurants, weil Massen von Tellern vor Spülmaschinen auf ihre seelische Vernichtung warteten und mich als den Übeltäter ansahen.
Zuhause wurde ich als schwächstes Glied der Familie noch geduldet und genoss die Almosen, die mir ohne Teller und Besteck zugeschoben wurden.
Irgendwann machte ich noch listig den Vorschlag, Restlaufzeiten für die Spülmaschine vorzusehen, weil sonst – und dabei entwickelte ich den Anflug eines letzten diabolischen Grinsens – würde ich eine Schadensersatzforderung erheben, es sei im Übrigen alles eine Frage des Preises.
Irritiertes Schweigen ging mich an.
Ich wies auf die Errungenschaften einer Küchen-App hin und prognostizierte einen Küchen-Roboter für die nahe Zukunft.
„Das macht uns doch fremd!“ jammerte Tim und bedeckte mich und den Lehnstuhl, in dem ich autistisch kauerte, liebevoll mit einer wärmenden Decke. Veronika tätschelte mir die eingefallenen Wangen und Katharina massierte mir die kalten Finger zur besseren Durchblutung, nicht ohne den belehrenden Hinweis zu vergessen, dass man ein ASP, ein Anti-Stress-Programm, für das Geschirr entwickelt habe, mit schonender Handspülung und so weiter. Die Kommunikation in der Familie mache Fortschritte, indem man zum jeweiligen Abwasch ein aktuelles Thema diskutiere. Und ansonsten hoffe man, mich dereinst mal wieder dabeihaben zu können, und dabei schnurrte wohlig die erlöste Kakaotasse.
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