„Ach, quatsch!“
„Sag nicht immer ‚quatsch’“, sagte meine Mutter.
„Sag nicht immer ‚Sag nicht immer quatsch’“, sagte ich.
„Na, vielleicht hast du Recht“, sagte mein Vater, aber natürlich wollte er auf etwas ganz anderes hinaus. „Ich fand es gut, daß er Architekt werden wollte. Aber du hast gesagt, daß er dann bestimmt nur Klohäuschen entwerfen würde. Als er“ – er redete, als sei ich gar nicht anwesend – „dann Rechtsanwalt werden wollte, da sagtest du doch auch gleich, daß das nichts mit Gerechtigkeit zu tun hätte und er dabei sicherlich unglücklich würde, bei seinem Gerechtigkeitssinn.“
„Ja, ja, aber ich habe ihn wenigstens nicht zum Spießer gemacht.“
„Genau. Als er dann meinte, irgendwas Künstlerisches machen zu wollen... Was war das doch gleich?“
„Ich wollte Maler werden.“
„Ach, deswegen willst du morgen den Zaun streichen. Dein Sohn hat mir Arbeit verschafft. Er meint, daß wir morgen zusammen den Zaun streichen.“
„Na, nötig hat er’s.“
„Der Zaun oder unser Sohn?“
„Ich wollte Maler werden, nicht Anstreicher.“
„Na, jedenfalls hast du damals, als er sich in den Kopf setzte, Maler zu werden, keinen flotten Spruch mehr auf Lager gehabt.“
„Ich finde was Künstlerisches gut.“
„Brotlose Kunst. Und das auch noch mit einer Drei in der Schule.“
„Ach, was verstehen Kunstlehrer schon von Kunst – und von künstlerischem Talent. Unser Sohn hat ein ganz hervorragendes Auge für Farben.“
Ich mußte lächeln, ich wußte auch nicht warum, wurden doch gerade meine Talente verhandelt, und unterm Strich würde eine Null stehen, vermutlich noch nicht einmal eine positive.
„Sein Talent für Farben kann er morgen im Baumarkt beweisen, wenn er zwischen schwarzem Schwarz, braunem Schwarz und schwarz wie die Nacht Schwarz...“
„...also blauem Schwarz...“
„...das richtige im Regal findet. Mir ist das schnuppe.“
Das Wortgefecht war zu Ende, was beide niemals als Streit bezeichnen würden, bestenfalls als Diskussion, vielleicht sogar nur als Unterhaltung, und ich überlegte, ob ich noch etwas zu meiner Rechtfertigung sagen sollte, oder ob ich den Spießer einfach so stehen lassen sollte, in irgendeinem Abseits, schien doch der Teil des Gesprächs eh schon wieder vergessen zu sein.
Trotz allem waren die Bratkartoffeln unübertrefflich.
Ich nahm meine Tasche und brachte sie nach oben in mein Zimmer. Es war nicht mein Zimmer von damals. Es war etwas kleiner, aber das spielte keine Rolle. Ein Schreibtisch, ein französisches Bett und ein Kleiderschrank hatten darin Platz. Mein altes Zimmer war nach und nach zur Rumpelkammer geworden, nachdem ich nach und nach meine Sachen mitnahm. Dafür war der Kombi wirklich gut gewesen. Auf jeder Heimfahrt, also Rückfahrt, stopfte ich den Kofferraum voll, ohne jedes Mal zu wissen, wohin ich mit dem Kram zuhause sollte. Je schneller ich mein Zimmer räumte, desto schneller übernahmen es meine Eltern. Ob meine Eltern mir indirekt auf die Art und Weise sagen wollten, ich solle doch stärker auf eigenen Füßen stehen, überlegte ich zwar einmal, aber hätten sie mir statt des Autos dann nicht einen Umzugswagen spendiert?
In meinem neuen Zimmer kamen deshalb, weil es halt nicht mein altes Zimmer war, vermutlich auch keine Kindheitserinnerungen hoch, die Hollywood an dieser Stelle eingebaut hätte. Dieses Zimmer hatte keine Madeleine und auch keinen Pflasterstein, über den ich hätte stolpern können. Ich konnte mich noch nicht einmal daran erinnern, wie dieses Zimmer genutzt wurde, als ich noch hier wohnte.
Ich öffnete also einfach so, ohne irgendwelche Gefühle oder Gedanken, das Fenster und rauchte. Auch das löste keine Erinnerungen aus, konnte es eigentlich auch gar nicht, hatte ich mir das Rauchen doch erst als Erwachsener angewöhnt. Wie an so Vielem in meinem Leben war auch daran eine Frau schuld, oder ich verdankte ihr dieses Laster, werten wollte ich das in dem Augenblick nicht.
Ich drückte die Zigarette außen an der Hauswand aus, schloß das Fenster, ging nach unten und warf die Kippe in der Küche in den Mülleimer.
„Hast du wieder geraucht?“
„Ja, stört es dich?“
„Nein, mich wundert nur, daß dein Vater noch nichts gesagt hat.“
„Wieso?“
„Na, als Kind hast du uns das Rauchen verleidet, hast Zigaretten versteckt, Aschenbecher mit Wasser gefüllt, Feuerzeuge geleert, und jetzt rauchst du selbst. Wir haben dann ja auch wirklich aufgehört – ich schwöre –, aber das ist fast wie bei ihm.“
„Was meinst du?“
„Das Rauchen und die Tischmanieren. Du wirst vielleicht wie dein Vater. Zuerst das eine predigen und später das Gegenteil machen.“
„Verdammt“, war das Einzige, was mir dazu noch einfiel. Hätte ich noch eine Zigarette in der Hand gehabt, ich hätte sie sofort ausgedrückt. Meine Mutter hatte Recht. Sie hatte die Gabe, Menschen zu durchschauen, und die Größe, es ihnen nicht immer, und wenn doch, so wie jetzt, dann sehr behutsam, aufs Brot zu schmieren.
„Bier ist noch da?“
„Ja, hier oben im Kühlschrank.“
Ich nahm mir eins, den Öffner fand ich, ohne nachzudenken, instinktiv.
„Wie war das denn nun Samstag mit dem Schuß?“
„Wir haben das gar nicht so mitbekommen, es ging irgendwie an uns vorbei.“
„Das kann man wohl sagen. Und gut ist es.“
„Einen Schuß haben wir nicht gehört, nur ein komisches Geräusch. Das war wohl das Geräusch aus dem Wohnwagen. Dein Vater kann dir das aber genauer erzählen.“
„Wo ist er denn?“
„Bestimmt vorm Fernseher.“ Kurze Pause und dann etwas lauter: „Schatz?“ Keine Reaktion. „Schatz?“, rief meine Mutter jetzt deutlich lauter.
„Hä?“ kam aus dem Wohnzimmer.
„Wie war das am Samstag?“
„Was?“
„Na, das mit dem Schuß!“
„Was?“
„Erzähl doch mal.“
„Was? Ich versteh kein Wort. Es ist gerade so laut, es ist wieder Krieg.“
„Na, dann mach doch mal leiser.“
„Was?“
„Welcher denn?“
„Na, was ist denn heute für ein Wochentag? Ich weiß auch nicht, was auf dem Programm steht.“
„Welchen Krieg sie gerade zeigen!“
„Tagesschau läuft.“
„Ich glaube, ich geh mal hin“, sagte ich mehr amüsiert als genervt.
„In Ordnung. Guck mal, wo heute wieder Krieg ist.“
Ich ging ins Wohnzimmer und mir war es total egal, in welcher Ecke der Welt sich wieder zwei Gruppen die Köpfe einschlugen, weil wieder irgend jemand vergessen hatte, warum man das eigentlich tat, oder so. Es war irgendwo in Afrika oder Amerika oder Asien, und ich war froh, nicht in Australien zu leben, denn die wären bestimmt als nächstes dran.
„Papa, jetzt mach doch mal die Kiste aus und erzähl, wie das am Samstag war.“
„Na gut“, er machte den Fernseher auch aus, behielt aber die Fernbedienung in der Hand. „Was willst du denn wissen?“
„Eigentlich nur, wer auf euch geschossen hat.“
„Auf den Wohnwagen hat der geschossen, nicht auf uns.“
„Also wer war’s?“
„Das weiß ich nicht.“ Er drehte sich weg und wollte den Fernseher schon wieder einschalten.
„Halt, halt, halt. Ich will das jetzt wissen.“
„Aber das weiß keiner, auch die Polizei nicht.“
„Na, das ist ja mal klar. Aber du hast ‚er’ gesagt. Also hat ein Mann geschossen?“
„Das nehme ich doch mal an. Eine Frau doch nicht.“
„Warum nicht?“
„Das machen doch Frauen nicht.“
„Okay, ich will kein positives Frauenbild zerstören, bleiben wir also dabei, daß es ein Mann war. Gesehen hast du ihn nicht?“
„Nein.“
„Nun laß dir doch nicht alles aus der Nase ziehen und gib mir diese blöde Fernbedienung.“ Statt darauf zu warten, daß er sie mir gab, nahm ich sie mir. „Und jetzt erzähl.“
Читать дальше