1 ...7 8 9 11 12 13 ...24 „Man hat wirklich den Eindruck, dass inzwischen selbst Literaturagenten kaum noch Interesse an Manuskripten haben. Jedenfalls nicht, wenn man als Autor nicht bereits irgendwelche Veröffentlichungen vorweisen kann. Oder sich schon einen Namen als ‚Experte‘ gemacht hat. Als Kenner der Psychologie der Honigbiene zum Beispiel. Oder der Kommunikationsstrategien der Nadelbäume unserer Wälder. Oder wenigstens schon mal im Fernsehen aufgetreten ist.“
„Wahrscheinlich hast du dir einfach das falsche Thema ausgesucht“, meinte Martina völlig ungerührt. „Wenn du statt der statischen Schwachstellen der Glaubensgebäude der Weltreligionen wenigstens sowas wie eine unerhört neue Sicht auf einen bislang sträflich vernachlässigten Aspekt des Themas Sex entdeckt hättest. Aber natürlich müsstest du dann auch in der Lage sein, das Ganze auf mindestens zweihundert Seiten bis in die feuchtesten Details anschaulich auszuleuchten.“
Manchmal kann sie regelrecht grausam sein.
„Du weißt genau, dass es mir um Höheres geht.“ Das sollte ein bisschen selbstironisch klingen. „Wenn es nur darum ginge, einen Satz von Nietzsche zu wiederholen, weil ihn vielleicht doch noch nicht jeder gehört hat, würde ich hier nicht meine Zeit verschwenden. Aber da die Weltreligionen heute immer noch so viele überzeugte Anhänger haben, obwohl ihre Versprechen und ‚Glaubenswahrheiten‘ schlicht nicht mehr haltbar sind, muss in dieser Frage doch endlich mal umfassend und endgültig Klarheit geschaffen werden.“
„Du willst also die Rolle des kleinen Mädchens aus dem Märchen von des Kaisers neuen Kleidern übernehmen. Vielleicht solltest du mal darüber nachdenken, wie es diesem Mädchen anschließend wohl ergangen ist, nachdem es den Kaiser bloßgestellt hatte – im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe mich das übrigens schon als Kind gefragt.“
„Dir ist also völlig egal, dass in diesem Fall überhaupt nicht mehr passende, uralte und inzwischen total fadenscheinig gewordene Kleider immer noch auf dem Markt angeboten werden?“, fragte ich zurück. Dabei hätte ich eigentlich wissen müssen, dass das geeignet war, meine Martina an etwas ganz anderes zu erinnern.
„Hattest du mir nicht versprochen, dass wir dieser Tage mal wieder einen kleinen Einkaufsbummel zusammen machen? Am besten eigentlich gleich heute. Ich fürchte nämlich, das Kleid, das ich vorgestern im Schaufenster gesehen habe, könnte sonst schon weg sein.“
Zwei Tage später wurde ich doch noch fündig. Eine Agentur, die ich vorher gar nicht auf meiner Liste gehabt hatte. Reiner Zufall, dass ich überhaupt noch auf die gestoßen bin. Michael Gräber Literary Agency. Der Webseite zufolge erst vor anderthalb Jahren gegründet. Von einem jungen Herrn Gräber, der nach einem Studium der Theologie, Philosophie und Religionsgeschichte erst einige Jahre lang publizistisch tätig gewesen war. Sprich, er hatte wohl gelegentlich irgendwelche Fachaufsätze oder populärwissenschaftliche Artikel veröffentlicht. Nun wollte er sein dabei geknüpftes anscheinend recht ausgedehntes persönliches Netzwerk in der Verlagsbranche nutzen, um – als zweites Standbein, wie es hieß – ‚Nachwuchsautoren anspruchsvoller, auch kritischer Texte‘ an einschlägige Verlage zu vermitteln. Als ich dann noch feststellte, dass es diesem Herr Gräber in der kurzen Zeit des Bestehens seiner Agentur bereits gelungen war, einen durchaus etwas religionskritischen Autor an den Herder Verlag zu vermitteln, wusste ich: Das ist mein Mann! Anstatt ihm mein Exposé zuzumailen, griff ich gleich zum Telefon und wählte die angegebene Nummer.
„Das klingt ja spannend“, sagte die sympathische Stimme am anderen Ende der Leitung. „Können wir uns nicht mal treffen? Vielleicht hier bei mir?“
Schon vier Tage später (eher hatten wir keinen Flug bekommen) waren wir in Berlin. Martina hatte sich dort ohnehin schon länger mal wieder mit alten Freundinnen treffen wollen, und ich freute mich darauf, bei dieser Gelegenheit auch noch bei einigen ehemaligen Kollegen im Auswärtigen Amt vorbeischauen zu können. Erst mal aber saß ich in einer schönen Altbauwohnung in der Markelstraße in Steglitz. Ich wusste gleich, wo das ist, denn in der Zeit, als ich in der Zentrale in Berlin eingesetzt war, hatten wir gleich um die Ecke in der Hackerstraße gewohnt.
„Diese Wohnung habe ich vor kurzem von meiner Mutter geerbt“, eröffnete mir Michael, als wir uns den Weg durch den mit noch unausgepackten Umzugskartons vollgestapelten Flur in sein Arbeitszimmer bahnten.
„Schlage vor, wir duzen uns“, hatte er schon bei der Begrüßung gesagt – mit einem Ausdruck fröhlichen Willkommens im runden Gesicht – kaum, dass er mir die Tür geöffnet hatte. Er war offenbar einer von der ganz unbefangenen Sorte. Schließlich war ich deutlich älter als er. Aus seiner völlig spontanen Offenheit mir gegenüber schloss ich, dass er die Unterlagen (Lebenslauf, Exposé und das Manuskript meines Buches), die ich ihm gleich nach unserem Telefonat zugemailt hatte, tatsächlich bereits gelesen hatte. Und sie bedeutete wohl auch, dass er ernsthaft interessiert war.
„Ganz schön krasser Stoff“, meinte er grinsend, als er sich in seinen Schreibtischstuhl fallen ließ und mich aufforderte, es mir auf dem kleinen Sofa daneben bequem zu machen.
„Ich bin durchaus bereit, den Text hier und da noch ein wenig zu glätten, falls das notwendig sein sollte. Oder sehen Sie – sorry, siehst du – ein grundsätzliches Problem mit dem Manuskript?“
„Ganz und gar nicht. Sowas Aufregendes und gleichzeitig Unterhaltsames habe ich zu dem Thema ehrlich gesagt noch nie gelesen. Obwohl es sich hier, wie du weißt, um mein Fachgebiet handelt. Nein, Probleme werden damit höchstens ganz andere haben...“
„Meinst du nicht, dass Leute vom Fach – die kennst du ja besser als ich – die Art der Argumentation und Präsentation in meinem Buch als zu wenig seriös empfinden könnten? Dass sie das Buch gar nicht ernst nehmen?“
„Im ersten Moment vielleicht“, antwortete er. „Wenn sie zunächst nur den Titel des Buches lesen, wahrscheinlich sogar. Ehrlich gesagt ging es mir auch so. Bis ich mir dann den Text vorgenommen habe. Theologen und Philosophen meinen ja in der Regel, ‚letzte Fragen‘ seriös nur mit höchstem Ernst, enormem argumentativen Aufwand und möglichst komplizierten Formulierungen angemessen abhandeln zu können. Dein Buch aber beweist, dass der simple Einsatz von gesundem Menschenverstand, verbunden mit ein wenig logischem Denken und einer Prise Humor in der Regel völlig ausreicht, all die religiösen Offenbarungen, theologischen Konstruktionen und ausgefeilten Rechtfertigungslehren als Hirngespinste und Glasperlenspiele zu entlarven. Echt verblüffend. An vielen Stellen habe ich schallend gelacht!“
„Aber“, warf ich schnell ein – er musste ja nicht unbedingt merken, wie sehr ich mich gebauchstreichelt fühlte – „meinst du wirklich, das sehen auch andere so? Und vor allem: siehst du überhaupt eine Chance, jemanden zu finden, der bereit und vielleicht auch mutig genug ist, das so zu veröffentlichen? Meine Frau meint ja, es wäre besser, wenn ich das irgendwo in einer Schublade verstecken und nur dann mal rausholen würde, wenn gerade niemand in der Nähe ist.“
„Ketzer werden heutzutage ja glücklicherweise nicht mehr verbrannt“, beruhigte Michael mich. „Aber, dass du das trotzdem lieber unter einem Pseudonym veröffentlichen willst, verstehe ich natürlich.“
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