Um 5.00 Uhr morgens klingelte der Wecker. Silke fühlte sich zerschlagen und krank. Ihr bisher unbelastetes friedfertiges Leben war schlagartig vorbei. Sie spürte ihre schmerzenden Glieder und konnte sich beim Aufstehen aus dem Bett kaum abstützen. Zunächst rief sie bei ihrer Dienststelle an und meldete sich krank. Dann brühte sie sich einen Kaffee auf und setzte sich an ihren Schreibtisch. Angestrengt überlegte sie, was sie zu tun hatte. Sie erinnerte sich an die schrecklichen Ereignisse vom Vortag und begann langsam mit der Ausarbeitung der Kurzfassung der Rechtslagenbetrachtung.
Es war kein vernachlässigbarer Vorwurf, den sie zu Papier bringen wollte, sondern ein sehr schwerwiegender. Konzentriert tippte sie den Text in ihren Laptop:
In der städtischen Polizeiwache sagte der Diensthabende zu mir, dass die Polizeibeamten, die er mir schickt, aufgrund der neuen Erkenntnisse über die Bande in meinem Garten, den unmittelbaren Einbruchstatort von meinem Grundstück aus in Augenschein nehmen sollten, um nach entsprechenden Tatortspuren zu suchen. Des Weiteren würden sie sich um die Ermittlung der vorhandenen Zeugen kümmern. Ich hätte ihnen den Hauseingang zeigen sollen, in den die Bande verschwunden war, nachdem sie mein Tor zerstörten. Die beiden Polizisten, die zu mir kamen, machten einen auffällig lustlosen Eindruck und äußerten diesen auch durch ihr abwegiges Verhalten.
Auf Befragung der Polizeibeamten hin, habe ich den Sachverhalt aus berechtigtem Interesse ausführlich dargestellt. Hierbei handelte es sich nicht ausschließlich um mein eigenes Interesse. Vielmehr war entscheidend das Interesse der Allgemeinheit betroffen. Denn es ging darum, potentielle Diebe möglichst davon abzuhalten, weitere Einbrüche zu begehen. Die beiden Polizisten haben mich den Sachverhalt meiner Zeugenaussage nicht darstellen lassen. Sie unterbrachen mich fortwährend. Später wurde ich angegriffen und verletzt.
Es ging immer um die Sache. Es gab zu keiner Zeit eine Situation, dass mir eine Aggression vorgeworfen werden konnte. Eine solche Lage war nie entstanden. Noch nicht einmal im Ansatz konnten, durften oder mussten die Beamten annehmen, dass ich sie einsperren würde. Sie konnten daraus, dass ich den Schlüssel ins Torschloss steckte, nicht herleiten, dass ich sie einschließen wollte, zumal ich zu keiner Zeit gegen die Polizei eingestellt war und wir uns ohnehin auf einsehbarem, freiem Gelände befunden hatten, das sich rund um mein Grundstück erstreckt.
Von daher hatte der Polizist Pappulski absolut widerrechtlich und überreagierend, im Rahmen einer tatsächlich grundlos eingebildeten, übersteigerten Notwehr, mich mit beiden Händen gegriffen, meinen Arm mit Schulter auf den Rücken gebogen, die Oberarme kräftig fixiert und insbesondere am rechten Arm und in der Schulter verletzt.
Die Situation eskalierte, weil Pappulski diese schuldhaft, durch eigenes Missverstehen einer völlig alltäglichen Situation (Schlüssel wird in Schloss gesteckt), völlig falsch einschätzte.
Das Ziel der polizeilichen Ermittlungen wegen des Einbruchdiebstahls beim Nachbarn ist dadurch, dass die Polizeibeamten nicht zuhörten und durch ihren überzogenen Einsatz, völlig aus dem Blickwinkel geraten. Das Ziel konnte so nicht erreicht werden. Es wurden von ihnen keine Maßnahmen ergriffen, den Zeugenaussagen nachzugehen, die beobachteten Eindringlinge und Sachbeschädiger aufzufinden, um eventuelle neue Straftaten im Vorfeld zu vereiteln. Ihren eigentlichen Auftrag haben diese beiden Polizeibeamten aus diesen Gründen nicht erfüllt. Sie waren, weil sie sich äußerst unangemessen verhielten und widersinnigen Blödsinn verzapften, wohl überhaupt nicht dazu in der Lage, ihrem eigentlichen Dienstauftrag nachzukommen.
Silke Behring
Silke druckte den Text aus und legte ihn in die Mappe für den Rechtsanwalt.
Hilfesuche um Rechtsbeistand
Mittlerweile war es 8.00 Uhr geworden. Draußen war es hell. Für Silke war es jetzt an der Zeit, dass sie ihre Gedanken in die Tat umsetzte. Sie versuchte, so gut es mit ihren Verletzungen möglich war, zu duschen. Der Druck des herabfallenden Duschwassers ergoss sich wie tausend kleine Nadeln auf ihrer verletzten Haut, und sie ließ das ausgiebige Einseifen und Abbrausen ihrer Arme lieber aus. Nachdem sie sich vorsichtig trockengetupft und angekleidet hatte, nahm sie ein kleines Frühstück ein. Danach machte sie sich auf den Weg zu einer kleinen Anwaltskanzlei, in die Stadtmitte gelegen. Sie fand einen Parkplatz am Gerichtsgebäude und betrat die Kanzlei von Rechtsanwalt Tränhart. Am Empfang thronte eine blendend aussehende, auf Business gestylte Dame jungen Alters.
„Haben sie etwa einen Termin? Was kann ich denn für Sie tun?“, fragte sie etwas schnippisch. Mein Gott, bist du wichtig, schoss es Silke durch den Kopf. Sie erklärte der Dame, dass sie mit Rechtsanwalt Tränhart sprechen müsse, um sich dessen Rat einzuholen.
„Dann will ich mal sehen, ob Herr Tränhart überhaupt für Sie Zeit hat“, meinte Miss Wichtig hochnäsig.
„Das ist sehr nett von Ihnen“, erwiderte Silke und bedankte sich. Die Angestellte deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger in den Wartebereich, wo Silke sich einen Platz suchte und niederließ. Sie sah sich im Raum um, betrachtete die Bilder an den Wänden und harrte der Dinge, die da kommen würden. Auf einmal stand Miss Wichtig wieder in der Tür und bat Silke in das Zimmer ihres Chefs. Herr Tränhart, ein dicklicher, zur Halbglatze neigender, älterer Herr, dessen Brille soweit auf die Nase gerutscht war, dass Silke dachte, jeden Moment würde sie auf den Schreibtisch knallen, stand auf und begrüßte Silke abschätzend. Er bot ihr einen Platz an und fragte, ob sie einen Kaffee trinken wolle. Der Kaffee kam Silke gerade recht, und sie nahm sein Angebot gern an.
„Frau Hofer!“ rief der Rechtsanwalt nach seiner Sekretärin. „Machen Sie uns mal zwei Kaffee!“
„Aber gern, Herr Tränhart“, flötete Miss Wichtig. Nach einer halben Minute bereits servierte Miss Wichtig zwei dampfende Tassen Kaffee. Vorsichtig nahm Silke den ersten Schluck. Dann erzählte sie ohne Punkt und Komma, was vorgefallen war. Es sprudelte nur so aus ihr heraus. Der Anwalt sah sie über den Brillenrand unentwegt an, nickte immer wieder und machte sich Notizen. Als Silke ihren Bericht beendet hatte, urteilte er: „Für beide Polizeibeamten ein äußerst fehlgeschlagener Einsatz und ein nicht tolerierbares Verhalten. Man hört sich doch erst einmal an, was der Zeuge zu sagen hat und stellt dann seine Fragen.“ Er fragte: „Was wollen wir machen?“
„Eigentlich möchte ich eine Dienstaufsichtsbeschwerde einreichen.“, meinte Silke zaghaft. Sie strich über ihren rechten, vor Schmerzen pochenden Arm. Rechtsanwalt Tränhart stimmte ihr zu. Gleichzeitig empfahl er Silke, in ihrem Auftrag zusätzlich einen Strafantrag gegen den Luftgucker, wegen widerrechtlicher Körperverletzung im Amt, bei der Staatsanwaltschaft einzureichen. Silke stimmte zu, mit den Worten: „Sie sind der Experte. Machen Sie, was Sie für richtig halten.“
Sie hielt es noch für wichtig, dem Rechtsanwalt wahrheitsgetreu von ihrer Beobachtung der ihr aufgefallenen, stecknadelkopfgroßen Pupillen des Luftguckers zu berichten. Rechtsanwalt Tränhart bewertete ihre Beobachtung mit der Annahme, dass durchaus chemische Mittel als Ursache für das inadäquate Benehmen beider Polizisten möglich waren. Wie anders sonst konnte man sich nachvollziehbar ihr ungewöhnlich auffallendes Verhalten erklären?
„Ein Polizist, der offenbar eine kurze Zündschnur hat und ausrastet, kann natürlich unberechenbar sein. Da kann ich Ihre Angst gut verstehen.“, sagte Rechtsanwalt Tränhart und ließ sich von Silke eine Prozessvollmacht unterzeichnen, mit dem begleitenden Kommentar: „Ich muss ja auch was verdienen.“
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