Zwei Frauen kamen mir entgegen, die unterschiedlicher kaum sein konnten und doch den Anschein erweckten, gar nicht so verschieden zu sein. Die eine drahtig, mit langen, rotgoldenen Locken, beladen mit zwei Einkaufsbeuteln. Den aus Papier hatte sie unter den rechten Arm geklemmt; der zweite hing an ihrem linken Ellenbogengelenk, da die Hand eingegipst war. Die andere Frau war etwas rundlicher mit langen, braunen Locken und ebenfalls mit ein paar Tüten bepackt. Vermutlich Freundinnen, die sich einen schönen Tag machten und nebenbei die Einkäufe erledigten. So wie es aussah, hatten sie in der Lebensmittelabteilung ordentlich zugeschlagen, was ich anhand des Logos erkannte, das auf dem Stoffbeutel und der Tüte der Rotblonden prangte.
Ich selbst konnte mich weder an meine wenigen Freundinnen erinnern, die sich mit der Zeit immer rarer gemacht hatten, noch an einen schönen Tag, auch wenn meine Einkaufsnachmittage an jedem zweiten Freitag des Monats dem ziemlich nah kamen.
Schnell schüttelte ich die wehleidigen Gedanken ab und lief Richtung Kaufhaus, wobei ich darauf achtete, niemandem unmittelbar ins Gesicht zu sehen. Man konnte nie wissen, wen oder was man dabei anstarrte und vermutlich damit herausforderte.
Ich war vielleicht zehn Meter von meinem Auto entfernt, als ich ein dumpfes Poltern und einen leisen Fluch vernahm, begleitet von einem spitzen Zischen. Ich drehte mich auf dem Absatz um. Es passierte alles verflixt schnell. Trotzdem sah ich den Vorgang wie in Zeitlupe ablaufen. Die größere der beiden Frauen, die mit der Papiertüte unterm Arm, verlor aus eben dieser Äpfel, die sich rollend und hüpfend auf dem Parkplatz verteilten und dabei unter mein Auto kullerten. Die Frau sprang den Scheißdingerchen hinterher, wobei sie offenbar nicht einkalkulierte, dass man auf ihnen weder balancieren noch stehen konnte, kam ins Torkeln, schwankte leicht zur Seite, rutschte aus, ruderte mit den Armen – den anderen Beutel noch immer in der linken Ellenbeuge – und versuchte ihre Gleichgewicht nach vorn zu korrigieren. Dabei trat sie auf den nächsten Apfel, der diesmal nicht nachgab und landete mit ihrem rechten Ellenbogen, gefolgt von ihrem Oberkörper auf meiner Motorhaube, während der andere Arm, der lediglich der Schwerkraft folgte, bepackt mit dem stabilen Stoffbeutel, scheppernd gegen meine Beifahrertür krachte. In diesem Augenblick war ich froh, dass ich die Alarmanlage nie aktiviert hatte. Deren Kreischen würde mir jetzt vermutlich die Ohren abfallen lassen.
Da ich mich nicht entscheiden konnte, ob ich laut fluchen oder herzhaft lachen sollte, stand ich einfach nur da und blinzelte. Meine Lippen zitterten. Meine Augenbrauen krabbelten grüßend bis zu meinem Haaransatz und beide Hände umklammerten den Träger der Handtasche, als wollte ich mich daran festhalten.
Weder fluchend noch lachend – obwohl Letzteres preschend aus mir herausdrängen wollte – eilte ich zu meinem Auto, von dem die kleinere Frau die große soeben behutsam abpflückte.
„Alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte ich, wobei ich gleichzeitig mit einem leisen Seufzen den Schaden an meinem Auto betrachtete. „Geht schon.“, ächzte der Pechvogel und sah mich mit einem jämmerlichen Blick an. „Ihr Auto?“ Ich nickte. „Oh Gott.“, stöhnte sie, während die andere Frau ihr langsam den Beutel vom linken Arm zog und kritisch prüfte, ob der Gips heil geblieben war. Die Frau blickte wie ein Häufchen Elend auf ihre Schuhspitzen. „Wir sind versichert.“, verkündete mir die braunhaarige Frau, deren graublaue Augen mich gütig ansahen.
Versichert.
Das war gut.
Ich konnte mir nämlich kein neues Auto leisten. Und auch keine teure Reparatur. Zwar hatte ich ein stolzes Sümmchen ansparen können, aber das war für den Kauf einer Eigentumswohnung und meinem Umzug in einem Monat, bei dem ich mich komplett neu einrichten wollte, schon vollkommen verplant.
„Ich bin Briony und das ist meine Freundin Alisa. Ich verstaue schnell unsere Einkäufe und dann lade ich Sie zu einem Kaffee ein. Dabei können wir uns in aller Ruhe unterhalten und die notwendigen Daten austauschen. Was halten sie davon?“ Kaffee klang verlockend, weswegen ich dem Vorschlag zustimmte. Alisa, die rotblonde Frau neben mir, seufzte aufrichtig gequält. „Bitte, lieber Gott“, hörte ich sie murmeln, „lass mich nichts kaputt machen.“
Die arme Frau musste wirklich vom Pech verfolgt sein.
In seiner menschlichen Gestalt erinnerte Josh viele an einen Bären. Eine Meinung, die Alan nicht teilte. Dafür war Josh zu schlank, wenn auch muskulös und wahrhaft groß.
Außerdem war er kein Bär.
In seiner Wergestalt war Josh mörderisch, athletisch, intelligent und schneller als jedes andere Raubtier, was Alan kannte. Sein tierisches Ebenbild trug den stolzen Namen Acinonyx jubatus. Allerdings war Josh, wie auch alle anderen Gestaltwandler, in seiner anderen Form wesentlich größer als sein tierisches Pendant. Obwohl die Magie der Gestaltwandler vielfältig war, so konnte sie doch einen einhundertzehn-Kilo-Mann nicht in einen fünfzig Kilo leichten Gepard verwandeln. Trotzdem schaffte sie es, dem Gestaltwandler in seiner Kampfgestalt Masse und Körpergröße hinzuzufügen, indem sie beide Wesen kombinierte.
Als Geparden-Wer war Josh ideal als Rudelzweiter. Denn was ihm an Teamgeist fehlte, um das Rudel zu führen, glich er durch Stärke, Jagdinstinkt und Intelligenz aus. Nicht viele Raubkatzen konnten mit ihm mithalten. Abgesehen von Alan. Und eventuell Otis. Aber der war mit einem genetischen Defekt zur Welt gekommen und konnte sich nur mit Mühe und erheblichem Zeitaufwand in seine Wergestalt wandeln. Ein Löwe, der hätte Alpha sein sollen, wie sein Vater; was ihm vom Schicksal nicht vergönnt war.
Im Allgemeinen konnte man davon ausgehen, dass, je größer und muskulöser ein Gestaltwandler in seiner menschlichen Form war, umso beeindruckender war auch seine Wer- oder Zwischengestalt.
Natürlich bestätigten Ausnahmen die Regel.
Alan lachte leise, während Josh wie ein aufgeplustertes Huhn quer durch den Raum tigerte. „Vergiss es. Ich kann mit Ribbert nicht zusammenarbeiten! Dieser arrogante, aufgeblasene…“ Alan verwandelte sein aufkommendes Lachen in einen dumpfen Laut, der sich knurrend aus seiner Kehle rang. „Das war kein Wunsch, Josh, sondern ein Befehl. Willst du den verweigern?“ Wut blitzte in Joshs Augen auf, die sofort dem Gehorsam gegenüber seinem Alpha erlosch. „Nein. Ich wollte nur meinen Unwillen ausdrücken. Mal ehrlich, der geht mir so was auf die Nüsse, dieser bekloppte Wolf.“ Alan nickte verständnisvoll, aber keinesfalls nachgebend. „Weiß ich. Aber sie sind unsere Verbündeten, nicht nur, was das Ritual betrifft. Abgesehen von deinem persönlichen Zwist mit Ribbert, sehe ich keinen Grund, dir diesen Auftrag nicht zu erteilen.“ Josh knurrte widerstrebend.
Es war sein Job als Rudelzweiter, sich mit Belangen auseinanderzusetzen, die alle Gestaltwandler betrafen. Der Groll, den er seit beinah sechs Jahren gegen Ribbert hegte, musste zum Wohl des Rudels unterdrückt werden. Sowohl Alan als auch Josh wussten, dass es genügte, wenn Josh sich mit Ribberts Rudelzweitem auseinandersetzte. Doch Ribbert nahm die Dinge gern selbst in die Hand. „Verhalte dich ihm gegenüber so neutral wie möglich. Ich habe keine Lust meinen besten Mann in einem Machtkampf zu sekundieren.“ Josh unterdrückte ein dumpfes Knurren. Sein Alpha wusste nicht, was damals passiert war. Und wenn es nach ihm ging, würde er auch nie erfahren, dass er sich wegen Ribberts unfairen Methoden dessen Schwester nicht mehr nähern durfte. Wenn es nach ihm ginge, verdiente Ribbert eine ordentliche Tracht Prügel. Er mochte Elise. Auch wenn sie nicht die Eine für ihn war. Sie war knallhart, aber trotzdem sehr weiblich. Und lustig. Wer sie nicht kannte, ließ sich durch ihre äußere Erscheinung täuschen.
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