Wie hatte das eigentlich alles angefangen? Eigentlich damit, dass ich Andrea heiratete. Sonst wär´s gar nicht so weit gekommen. Oder hatte ich mich schon viel früher mit dem Wasserbazillus infiziert? Womöglich schon damals, am Tegernsee oder sogar schon in Grömitz...?
Natürlich ließe sich jetzt trefflich darüber streiten, ob es einen Wasserbazillus überhaupt gibt. So nach dem Motto „entweder man hat den Hang zum Wasser oder man hat ihn nicht“.
Mein Vater war am Wasser groß geworden. Insofern könnte man meinen, da habe sich ‘was vererbt. Ich für meinen Teil glaube aber mehr an den Bazillus.
Zu Zeiten, an denen ich mein zehntes Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, führte der Familienurlaub regelmäßig an die See. Denn damals litt ich an Bronchitis. Zwar nur einmal, dafür aber das ganze Jahr.
„Der Jung’ muss an die See“ meinten meine Eltern, von wegen der guten Seeluft usw. Dahme und Grömitz hießen dann dementsprechend auch die Reiseziele. Später wurden dann schwerere Geschütze aufgefahren und Juist gebucht. Wenn ich´s aber recht bedenke, war es die große Düne oberhalb des Yachthafens von Grömitz mit Blick auf die beiden Molenköpfe, die irgendetwas mit mir anstellte, etwas, das in mir auch heute noch dieses gewisse ‘Kribbeln’ auslöst angesichts jedes größeren schiffbaren Gewässers. Allerdings träumte auch mein Vater vom eigenen Boot. Ein Klepper Master sollte es sein. Doch bis dahin hatte ihm immer die Zeit und gewissermaßen der letzte Anstoß gefehlt, diesen Traum dann auch zu verwirklichen. Mir gefiel diese Idee gut. Ein eigenes Boot und so...totschick! Was das bedeutet und was alles damit zusammenhängt, sollte ich erst viel, viel später am eigenen Leib erfahren.
Jedenfalls, in diesen Urlaub waren Mutter und ich allein vorgefahren. Vater sollte erst später nachkommen, wegen nicht zu verschiebender Termine.
Einer unserer täglichen Spaziergänge führte uns auf besagte Düne. Wie lange wir dann dort gesessen und dem spannenden Ein- und Auslaufen der Sportboote und Yachten zugeschaut haben, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich nur noch daran, dass ich damals zum ersten Mal eine Segelyacht mit automatischem Rollreff sah. Toll, schwupp, und weg waren die Segel.
Auf jeden Fall sah ich an diesem Tag meine Chance gekommen. Irgendwie musste es mir gelingen, meine Begeisterung via Telefonleitung auf meinen nichtsahnend zuhause sitzenden Vater überspringen zu lassen. Das allabendliche Telefonat musste es bringen. Ich erzählte ihm alles haarklein, beschrieb die ‘automatische Segelyacht’ und fragte genauso erwartungsfroh wie beiläufig, ob er denn das Boot schon gekauft hätte.....Stille!
„Nee, mitbringen werd´ ich´s wohl nicht gleich können“ meinte mein Vater nach einer angemessenen Pause. „Ich komm´ erst mal ohne“. Dabei blieb es. Fürs Erste.
Der Sommer zwei Jahre später war dadurch gekennzeichnet, dass ich die meiste Zeit mit vom Wasser verschrumpelten Händen und Füßen anzutreffen war. Es war der Sommer, an dem ich für das Freischwimmerabzeichen trainierte. Denn vor den Kauf unseres ersten eigenen Boots hatten meine Eltern mein Bestehen dieser Prüfung gesetzt.
„Der Jung’ muss gescheit schwimmen können“ meinten sie.
„Aha, nun kommt doch noch endlich der Klepper Master “ werden Sie, liebe Leser, jetzt denken. Weit gefehlt. Die Sache mit dem Faltdampfer war längst ad acta gelegt worden. Ich für meinen Teil hatte mich allerdings stets bemüht, das Thema am Kochen zu halten. So war man denn zu dem Entschluss gelangt, ein Schlauchboot anzuschaffen, breit und behäbig wie ein Nilpferd, damit es auch auf keinen Fall umkippen konnte, mit Rudern, ein Badeboot halt.
Irgendwann war ich dann eine Viertelstunde im Kreis geschwommen und auch einmal vom Einer gehüpft, hatte den begehrten Ausweis in Händen, das entsprechende Abzeichen an der Badehose und das Badeboot aufgepumpt im Garten meiner Eltern. Knallorange, kann ich Ihnen sagen, etwas über drei Meter lang und Bug und Heck ließen sich tatsächlich formmäßig unterscheiden. Also fast ein richtiges Schiff ! Wau !
Ruder hatte mein Vater keine gekriegt. Dafür aber hölzerne Stechpaddel. Paddeln wollte ich das Ding aber nicht. Also sägte Vater die Handgriffe einfach ab, feilte und schmirgelte solange, bis die (jetzt) Ruder durch die Dollen gingen und fertig war der Lack. Wasser, ich komme!
Die Jungfernfahrt fand auf dem Kellersee statt. Wo das ist? ‘Die Mädels vom Immenhof’ machten da das Gelände unsicher und manchmal sollen die Bälle vom Trainingslager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bis in den See geflogen sein. Richtig, von Malente-Gremsmühlen ist die Rede, seitens meiner Eltern zum Ferienziel und geeigneten Revier für den ersten Törn ihres wasserverrückten Sprösslings auserkoren.
Urlaub auf dem Bauernhof war damals ‘in’. Pech, dass die im Prospekt der Pension verheißenen ‘5 Minuten bis zum See’ wohl im 140 km/h-Autobahntempo gestoppt worden waren. Zu Fuß war da nichts zu machen. Also musste das Gummischiff entweder irgendwo direkt am Wasser aufgeblasen werden oder im Garten der Pension. Mein Vater gab der zweiten Alternative den Vorzug. Er liebte es bequem. Luft ´rein, ein kurzes, aber heftiges Anhieven aus der Kniebeuge heraus und das Ding lag kieloben auf dem Dach unseres Peugeots, Typ 404. Man vermerke, dass die heutigen modernen und zum Bootstransport bestens geeigneten Dachträgersysteme noch nicht erfunden waren und wir über einen damals gebräuchlichen Rahmenträger auch nicht verfügten. Zwei Vor- und zwei Achterleinen konnten jeweils an den Enden der Stoßstangen belegt werden, mittschiffs wurde das gute Stück mit einem Bändsel an der B-Säule fest gelascht. Die Haftreibung tat ein Übriges.
An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich mir lange den Kopf darüber zerbrochen habe, was ich so empfunden habe bei dieser ersten Fahrt und was das für ein Erlebnis war. Ich weiß es einfach nicht mehr. Ich erinnere mich noch daran, dass mein Vater zunächst den Vortrieb übernahm, um Sohnemann ´mal zu zeigen, wie man rudert und keine Krebse fängt. Ich erinnere mich auch noch daran, dass ich kurze Zeit später allein unterwegs war und versuchte, von der Wasserseite aus auf den Immenhof zu gelangen, denn von Land her war dort alles verrammelt und verriegelt. Beinahe hätte ich dabei die im Uferbereich knapp über der Wasseroberfläche gespannten Stacheldrähte übersehen. Vielleicht waren die Eigentümer dieses Anwesens menschenscheu, jedenfalls zeigten sie sich neugierigen Wassersportlern wie mir gegenüber wenig aufgeschlossen.
Schließlich kann ich mich auch noch entsinnen, dass mein Vater einmal auf der Rückfahrt vom See den 76 französischen Gäulen unter seiner Motorhaube die Sporen gab, woraufhin unsere Dachlast Auftrieb bekam, sich mühelos von ihren Festmachern befreite, um dann völlig losgelöst nach hinten wegzukippen...
Der nächste Urlaub führte uns an den Tegernsee. „Bayern?“ werden Sie erstaunt fragen. Nun, dieses Jahr hatte sich meine Mutter mit Ihrem Ferienwunsch durchgesetzt und mein Vater hatte zähneknirschend zugestimmt. Berge lösen bei ihm nämlich ein merkwürdiges Beklemmungsgefühl aus, sagt er.
Wie schon öfters zuvor, waren Mutter und ich zunächst allein angereist und hatten dazu die Bundesbahn bemüht. Vater würde aus terminlichen Gründen später mit dem Auto nachkommen. Im vorausgeschickten Gepäck befand sich unter anderem ein fast bis zum Bersten gefüllter Koffer, Inhalt......richtig, unser Schlauchboot.
Diesmal lag unser Hotel nicht weit vom Seeufer, nur 100 Meter vom Tegernseer Yachthafen entfernt. Doch der Mensch ist bequem und ein zum Yachthafen gehörendes und von Hecken umrahmtes Wiesenstück direkt am Wasser schien uns ideal geeignet, unser Sportgerät dort zu deponieren. Der Hafenmeister gab die Erlaubnis, alles war okay.
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