„Wer der Wahrheit nicht ins Gesicht blicken will, den sollte man dann auch in seiner eigenen Welt belassen.“
„Jawohl. So ist es für mich auch einfacher. Die Alten brauchen sowieso nicht alles so
ganz genau zu wissen.“
Er sah mich etwas verwirrt und zugleich amüsiert an.
„Das hört sich an, als ob heranwachsende Menschen viele Geheimnisse vor ihren Eltern hätten.“
„Natürlich! Wenn die alles wüssten, würden sie uns den meisten Spaß verbieten und immer mit der Ausrede kommen, uns beschützen zu wollen. Ich bin sogar der Meinung, junge Menschen sind dazu da, um zu rebellieren.“
Meine Worte und meine trotzige Haltung brachten Cameon zum Lachen. Er gab mir einen Kuss und meinte dann:
„Ja, bleib so wie du bist. Ich mag es, wenn du rebellisch bist.“
So machten wir uns noch eine Weile über Elisa und Oliver lustig und ich gestand ihm einige Dinge ein, die ich schon alles vor ihnen verheimlicht hatte. Bis ich bemerkte wie mir immer wieder die Augen zufielen und ich von dem Gespräch nicht mehr viel mitbekam.
Es war erstaunlich. Wie konnte mich das bisschen Reden nur so angestrengt haben? Ich hatte doch gerade vier lange Wochen geschlafen. Müsste ich da nicht wacher sein? Cameon versicherte mir, dass das ganz normal wäre in meinem Zustand. Mein Körper bräuchte ein paar Tage Zeit um sich wieder an ein aktives Leben zu gewöhnen und ich solle Geduld haben. Ich solle mich ausruhen und Kräfte sammeln, er würde in der Zwischenzeit nach Hause gehen, sich frisch machen und meinen Freunden von meinem Erwachen berichten. Die löcherten ihn angeblich jeden Tag mit Fragen nach meinem Zustand und hätten durchaus auch mal positive Nachrichten verdient.
Okay. Sollte er machen, was er für richtig hielt. Ich bekam sowieso nicht mehr alles mit was er sagte, denn nun fielen mir endgültig die Augen zu und ich dämmerte weg. Dieses Mal aber mit der Gewissheit, dass ich bald wieder aufwachen würde.
In den nächsten Tagen ging es mit mir und meiner Gesundheit immer weiter bergauf. Onkel Oliver bezahlte sogar viel Geld, damit ich ein Einzelzimmer bekam, was mir natürlich sehr entgegenkam. Ich wurde nach und nach von allen Kabeln und Schläuchen befreit und die Gipsverbände kamen zum Glück auch ab. Das Schwierigste für mich war, nun wieder beweglich zu werden und sozusagen das Laufen neu zu erlernen. Man macht sich ja keine Vorstellung davon wie schnell einem die Muskeln abhandenkommen können. Ich konnte von Glück reden, dass Cameon so viel Zeit für mich erübrigen konnte und auch wollte. Er sorgte dafür, dass ich wieder fit wurde und machte mit mir viele Spaziergänge, vornehmlich in die Cafeteria, aber immerhin konnte man das auch Bewegung nennen.
Über Langeweile konnte ich mich von diesem Zeitpunkt an jedenfalls nicht beschweren. Aveline, Patrick, Caja und Guendalina nahmen mehrmals in der Woche die Strapaze auf sich, mit dem Bus von Dover nach Canterbury zu kommen um mich zu besuchen. Elisa und Oliver waren sowieso jeden Tag da, nur das Baby hatte ich bis Dato nur auf Fotos gesehen, denn ins Krankenhaus wollten sie meinen neuen Neffen nicht mitschleppen, wegen der Keime und so weiter. Ich fand das zwar ein bisschen überfürsorglich, aber das musste jeder für sich selbst entscheiden. Und weil Babys für mich sowieso ein Buch mit sieben Siegeln waren, fand ich es nicht weiter schlimm, den kleinen Schreihals erst später kennenzulernen. Obwohl er auf den Bildern schon ziemlich zuckersüß aussah. Aidan kam auch einmal vorbei. Zum Glück nur einmal, muss ich dazu sagen, denn so einen frechen Typen konnte ich in meinem angeschlagenen Zustand schlecht ertragen. Der kam doch tatsächlich laut polternd ins Krankenzimmer gestürzt und statt einer netten Begrüßung fragte er frech grinsend:
„Na du dumme Nuss, endlich wieder wach? Das mit den englischen Verkehrsregeln musst du aber endlich mal verinnerlichen!“
Da blieb mir doch glatt die Spucke weg und eine schlagfertige Erwiderung fiel mir so schnell auch nicht ein, deshalb konnte ich nur dumm aus der Wäsche gucken. Außerdem hatte er leider sogar teilweise Recht, denn hätte ich besser aufgepasst, wäre ich wahrscheinlich nicht überfahren worden. Rechts-Links-Schwäche gepaart mit englischen Verkehrsregeln, scheinen für deutsche Mädchen verhängnisvoll zu sein.
„Hey, schau mich nicht so böse an!“, meinte er lachend und setzte sich zu mir ans Bett: „Ich mache doch nur Spaß. Wir sind doch alle heilfroh, dass du diese Sache überhaupt überlebt hast. Ich wollte mich nur persönlich überzeugen, dass es dir gut geht und mich verabschieden. Ich habe etwas für meinen Vater zu erledigen und es kann gut sein, dass wir uns länger nicht sehen.“
Was er denn so Wichtiges zu erledigen hatte, wollte Aidan natürlich nicht verraten, aber um mich wieder gnädig zu stimmen ging er mit mir in die Cafeteria und spendierte Kaffee und Kuchen. Danach hatte er es sehr eilig, sich zu verabschieden. Wahrscheinlich brannte ihn sein Auftrag unter den Nägeln und er war wie üblich sehr spät dran. Mir wäre es sogar sehr lieb, ihn erst im Sommer wiederzusehen, denn um Aidans Sticheleien so richtig ertragen zu können, musste man auf der Höhe seiner Kräfte sein. Und bis zum Sommer würde ich hoffentlich soweit sein.
Sogar Miss Wyler, die Rektorin des White-Cliff College, kam einmal zu Besuch. Sie zeigte sich tief betroffen und am Boden zerstört, dass mir so schreckliche Dinge unter ihrer Obhut widerfahren waren. Die Wyler versicherte mir, dass meine Fehlzeiten in der Schule keinerlei Relevanz für meine Versetzung hätten, dafür würde sie schon sorgen. Hoffentlich meinte sie damit keinen Nachhilfeunterricht bis ich alles nachgeholt hätte. Aber wahrscheinlich hatte sie ein schlechtes Gewissen weil ich praktisch trotz ihrer Fürsorgepflicht fast zu Tode gekommen wäre. Na super! Rektorinnen mit schlechtem Gewissen waren immer gut. Und die Klasse wiederholen wollte ich auf gar keinen Fall. So schön diese Nachricht auch für mich war und ich mich geschmeichelt fühlen konnte von ihrer Sorge um mich, die Besuche von Cameon und meinen Freunden gefielen mir doch besser. Von ihnen wurde ich auf den neuesten Stand der Dinge gebracht. Während vier Wochen Dauerschlaf verpasste man ja doch so einiges.
Na gut, Avelines Schwärmerei über ihren Kaspar und die Liebesbeziehung zwischen Patrick und Jules waren ein alter Hut und somit nichts Neues. Die Zankereien in der Schule gingen mir auch am Arsch vorbei, die würde ich ja wieder live miterleben, wenn ich zurück am College wäre. Aber ich genoss die Ablenkung die mir die beiden mit ihrem Geplapper boten trotzdem, denn so ein Krankenhausaufenthalt war schon echt ätzend und langweilig. Vor allem wenn man auf dem Wege der Besserung war, wertete man jeden weiteren Tag als verlorene Zeit.
Guendalina und Caja gaben da schon interessantere Geschichten zum Besten. Guendalina berichtete auch über den Wahnsinn, den die Vorbereitungen für ihre Verlobungsfeier mit dem Elbenprinzen Amnon so mit sich brachten. Die Feier sollte im königlichen Palast im Elbenland stattfinden und die Gästeliste, die ihr König Oberon hatte übermitteln lassen, hatte sie fast vom Hocker gehauen, weil die Anzahl der Gäste ihrer Meinung nach völlig übertrieben war. Guendalina wollte sich gar nicht erst ausmalen und vorstellen wie groß dann die Hochzeitsfeierlichkeiten im nächsten Jahr werden würden.
Die sollte sich mal nicht so anstellen. Wenn sie denn unbedingt einen Prinzen heiraten wollte, dann würde das halt so pompös werden und die Hochzeit war ja noch ewig weit weg. Jetzt würde sich erst einmal verlobt und das auch noch auf einer anderen Welt. Was für ein Abenteuer!
Auf jeden Fall freute es mich zu hören, dass neben mir und Miss Wyler, nun auch Caja eingeladen war. So musste ich nicht alleine mit der Wyler klarkommen und hatte wenigstens eine gleichgesinnte Reisebegleitung. Nichts gegen die Wyler, aber Caja war mir deutlich lieber. Die gab mir dann auch schon mal ein paar Einblicke in die Lebensweise auf Seren Saethu. Als Mensch wurde man in Gorachod Gwlad, also im Elbenland, mit einigem Argwohn und Misstrauen betrachtet und Caja, als Halbling der Duwiau, würde es da nicht besser ergehen. Aber dem sahen wir völlig gelassen entgegen und außerdem hatte ich ja auch noch Cameon an meiner Seite. Da konnte eigentlich gar nichts schiefgehen.
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