Cameon war inzwischen auf der Fahrerseite eingestiegen, klemmte sich grinsend hinters Lenkrad und meinte versöhnlich:
„Guck nicht so angesäuert! War doch nur Spaß. Wir fahren jetzt auch besser los, Elisa und Oliver beobachten uns schon ganz interessiert.“
Ich guckte unauffällig zum Haus und die beiden sahen wirklich so aus, als ob sie noch etwas zu sagen hätten, wenn wir noch länger hier herumstanden.
„Na dann nichts wie weg von hier! Ich brauche für heute keine weiteren guten Ratschläge.“, brachte ich etwas panisch hervor.
Gehorsam startete Cameon den Motor und endlich waren wir unterwegs. Hochzufrieden und in freudiger Erwartung auf ein unbeschwertes Schülerleben und Partys ohne Ende lehnte ich mich in meinem Sitz zurück. Schließlich war die Bedrohung einer Serienkillerin, die es auf mich und meine Familie abgesehen hatte, gebannt und abgewendet. Also durfte ich annehmen, dass ich demnächst tun und lassen konnte was ich wollte und nicht mehr unter der strengen und ätzenden Überwachung der Elben stand. Cameon ausgenommen, den mochte ich am liebsten dauernd sehen und der durfte mich natürlich begleiten und überwachen so viel er wollte. Hoffentlich hielt er es noch lange mit mir aus. Ich hegte ja immer noch den Verdacht, dass ich kleines Menschenkind bald zu langweilig für ihn sein würde.
Als Cameon plötzlich abbremste und am Straßenrand anhielt, wurde ich jäh aus meinen Zukunftsträumereien gerissen. Im ersten Moment bekam ich einen Schreck, weil ich annahm, dass schon wieder irgendeine Gefahr auf uns lauerte. Aber das ganze Gegenteil war der Fall, denn er beugte sich zu mir herüber, nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich recht stürmisch. Das war natürlich viel besser, als verrückten Musen oder einer mordlüsternen Franca gegenüberstehen zu müssen und so küsste ich wie wild zurück. Das dauerte so lange, bis ein Lkw hupend an uns vorbeifuhr und dessen Fahrer eindeutige Handzeichen in unsere Richtung machte. Mein Freund ließ mich daraufhin los und meinte lachend:
„Okay. Dies ist wohl auch nicht der richtige Ort. Aber ich musste die Gelegenheit, dich für mich ganz alleine zu haben, einfach nutzen. Dein Onkel mit seinen bösen Blicken in meine Richtung, war schon recht nervig.“
Kichernd gab ich ihm Recht:
„Na ja, Tante und Onkel wären wir ja nun für eine Weile los. Von jetzt an müssen wir uns dafür vor Rektorin Wyler, der Housemistress Lily Shepherd und der Housemaide Mrs. Smith in Acht nehmen. Aber das sollte keine Schwierigkeit sein.“
Er stutze, so als ob ihm die Erwähnung dieser Namen etwas in Erinnerung riefen. Cameon setzte sich wieder anständig hinter das Lenkrad und während er dem Motor startete sagte er:
„Ach ja. Apropos Mrs. Smith. Ich glaube, da muss ich dich ein bisschen vorwarnen.“
Alarmiert saß ich nun auch kerzengerade.
„Meine Güte, was ist denn mit Mrs. Smith?“, konnte ich nur flüstern.
War der Hauswirtschafterin unseres Mädchenwohnhauses etwa was passiert und es hatte sich bis jetzt nur noch niemand getraut mir etwas davon zu erzählen?
„Guck nicht so erschrocken! Ist nichts Schlimmes. Aber du weißt ja, dass sich alle Welt Sorgen um dich gemacht hat und eure Housemaid war da keine Ausnahme. Sie hat deine Freundinnen jeden Tag mit Fragen nach deinem Befinden gelöchert und ihnen mit ihrem Bedauern über dein Unglück die Ohren voll gejammert. Zum Schluss sind Aveline und Caja nur noch im Haus herumgeschlichen, wenn sie sicher waren, Mrs. Smith nicht zu begegnen.“
Das fand ich lustig. Ich hatte direkt vor Augen wie sich Aveline und Caja zur Treppe herunterschlichen und dann um jede Ecke schielten, um Mrs. Smith nicht in die Arme zu laufen.
„Jedenfalls hat sie mitbekommen, dass du heute im Laufe des Tages zurückkehrst und wir eine Willkommensfeier geplant haben. Prompt hat sie sich eingeklinkt und schon mal wie verrückt Kuchen gebacken. Also gibt es heute Nachmittag keine wilde Fete, sondern mach dich auf eine Kaffeetafel gefasst. Sorry.“
Cameon zuckte entschuldigend mit den Schultern und sah mich abwartend von der Seite an. Keine Ahnung warum er mich da groß vorwarnen wollte. Mit Kaffee und Kuchen konnte man mich nicht schrecken, ganz im Gegenteil konnte ich davon nie genug bekommen. Und dass unsere überfürsorgliche, gluckenhafte Housemaid extra eine Backorgie für mich veranstaltet hatte, fand ich doch super nett. Deshalb konnte ich meinen Freund beruhigen:
„Hey, kein Thema. Ist mir sogar ganz recht so. Denn bei der letzten Willkommensfete für mich, sind mir die vielen bunten Cocktails gar nicht gut bekommen. Kannst du dich erinnern?“
„Ja und ob! Der letzte Sommer und diese Feier hat sich sogar sehr gut in meinem Gedächtnis eingeprägt.“, prustete er los: „Na dann, auf zu Kaffee und Kuchen!“
Ach du Schande! Bei näherer Überlegung fielen mir auch wieder Einzelheiten an den letzten Sommer ein und ich lief im Gesicht leicht rosa an. Ich hatte damals die Wirkung von Cocktails mit Wodka unterschätzt und dann nur noch dummes Zeug gelabert. Am nächsten Tag hatte ich mich fast zu Tode geschämt und wollte niemandem mehr unter die Augen treten. Aber immerhin hatte mich dieser unbedachte Konsum von Alkohol meinem wunderbaren Elbenfreund näher gebracht und somit war die Sache doch nicht so verkehrt gelaufen.
Oh! Da kam mir in den Sinn, worüber ich mir noch gar keine Gedanken gemacht hatte. Die Leute, die mich nicht regelmäßig im Krankenhaus besucht hatten, würden mich bestimmt mit Fragen zu meinem Unfall löchern. Und gerade unsere Housemaid war ein Paradebeispiel der Hartnäckigkeit und würde nicht eher Ruhe geben, bis sie sich sicher war, dass es mir wieder gut ging. Musste ich die ganze Geschichte also noch mal herunterleiern? Okay, ich verzieh ihr im Vorfeld schon mal ihre Jammerei, weil ich wusste, dass ich ihr am Herzen lag und redete mir die Sache mit der Gewissheit schön: Wer wochenlang eine Tante Elisa ertragen hat, kommt auch mit Mrs. Smith klar.
Auf einmal hatte ich es gar nicht mehr so eilig ins College-Internat zu kommen, sondern überredete Cameon mit mir zuerst ans Meer zu fahren. Es war zwar noch kein richtiges Frühlingswetter, aber ein Spaziergang mit meinem Freund am Strand hatte auch was für sich.
Tatsächlich war am Wasser nicht viel los und wir blieben ungestört. Händchenhaltend gingen wir am Strand entlang und Cameon brachte mich auf den neusten Stand der Dinge. Eigentlich war ich ja schon einigermaßen auf dem Laufenden, dank Aveline, Caja und Patrick wusste ich alles über Lehrer und Schüler, inklusive Klatsch und Tratsch. Guendalina berichtete mir fast täglich über die aufwändigen Vorbereitungen zu ihrer Verlobungsfeier im Elbenland, die ihr schon gehörig auf die Nerven gingen. Hoffentlich hatte sie im Sommer überhaupt noch Lust sich zu verloben, denn nach ihrem Gejammer zu urteilen, konnte man daran zweifeln.
Die beiden Elbenprinzen waren im Auftrag ihres Vaters unterwegs, aber wo sie genau waren, durfte ich als kleines Menschlein natürlich mal wieder nicht wissen. Alles streng geheim!! Nur gut, dass Cameon mir manchmal doch etwas erzählte. Nichts Wichtiges selbstverständlich, aber die amüsanten Geschichten waren auch schon spannend. Zum Beispiel, dass sich der Satyr Sylvio und die miese Muse Erato nicht so ganz einvernehmlich getrennt hatten. Das soll heißen, die beiden hatten ganz schön Zoff. Und zwar ging es dabei um den goldenen Apfel, den Sylvio ihr geschenkt hatte um sie rumzukriegen. Dieses goldene Ding gehörte eigentlich der Göttin Aphrodite und diese sollte natürlich nie erfahren, wer und unter welchen Umständen ihr das Prunkstück stibitzt hatte. Uns wollte er übrigens auch nie erzählen wie genau er da rangekommen war. Egal, irgendwann würde das schon noch ans Licht kommen. Ich war mir relativ sicher, dass meine Elbenfreundin Guendalina und die Undine Adelaide nicht eher Ruhe geben würden, bis sie die Wahrheit ermittelt hätten. Jedenfalls sollte Erato über den Verbleib des berühmten 'Zankapfel der Götter' die Klappe halten und sich nur im Stillen an dem Ding und seiner Inschrift erfreuen. Da stand nämlich drauf: 'Der Schönsten'.
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