Renates Verletzungen waren so schwerwiegend, dass man sie nach der OP in ein künstliches Koma gelegt hatte. Aber ihre Chancen standen gut und man wollte sie bald aufwachen lassen. Mehr konnten die Ärzte mir nicht anvertrauen, weil ich kein direkter Verwandter war. Das ich mehr fühlte als ein Familienmitglied, wegen dem Blutschwur, damit konnten die Menschen nichts anfangen.
Ich saß jeden Tag an ihrem Bett, auf der Intensivstation, und bangte um ihr Leben. Die vielen Schläuche und Kabel, die an Renates Körper befestigt waren und an laut piependen Maschinen angeschlossen waren, trugen nicht viel zu meiner Beruhigung bei. Der Anblick, wie sie da so verloren und zerbrechlich in dem Krankenbett lag, tat mir in der Seele weh.
Elisa und Oliver kamen regelmäßig vorbei und ihre hoffnungslosen Blicke, wenn sie ihre Nichte betrachteten, verbreiteten noch mehr trübe Stimmung.
Inzwischen hatten sie mich als Renates Freund akzeptiert und duldeten mich an ihrer Seite. Obwohl es für sie schöner gewesen wäre, wenn Renate mich ihnen früher und persönlich vorgestellt hätte. Das mit der Vorstellerei musste ich notgedrungen selbst übernehmen, weil Renate sich bis dato nicht sicher war, wie Tante und Onkel einen Elbenfreund mit spitzen Ohren aufnehmen würden. Weil ich noch nie viel von Heimlichkeiten gehalten habe, war ich bei meiner Geschichte auch hart an der Wahrheit geblieben. Dass ich ihre Nichte in Italien kennengelernt hatte und selbst, aus einer ihnen unbekannten Welt stamme, haben sie irgendwie hingenommen. Nur, dass mit dieser anderen Welt auch gleich ein anderer Planet gemeint war, den man mittels eines Weltentores betreten kann, habe ich nicht so deutlich hervorgehoben. Nur eingeweihte Menschen durften über derlei Dinge Bescheid wissen.
Aidan kam auch des Öfteren vorbei und berichtete was so lief. Ich wusste nicht mit welchen Dingen er die Krankenschwestern bestach um eingelassen zu werden, denn auf so eine Intensivstation durfte nicht jeder erscheinen wie es ihm beliebte, aber das war seine Sache. Renates Freunde hatten es auf alle Fälle auch schon versucht, waren aber kläglich gescheitert. Bei seinen Besuchen unterhielt er mich mit Neuigkeiten, aber nicht immer konnte man ihm Feingefühl nachsagen. So kam er eines Tages ins Zimmer geplatzt und fragte doch tatsächlich:
„Na, ist die dumme Nuss immer noch nicht wach?“
Das war Galgenhumor, ich weiß, aber am liebsten wäre ich ihm in diesem Moment an die Gurgel gegangen.
Aidan versuchte mich auch mit Klatsch und Tratsch aufzumuntern. Silvio war nämlich in Canterbury aufgetaucht, in der Erwartung ein flottes Julfest zu feiern. Der war dann tief betrübt, dass es dieses Jahr ausfiel und aus welchen Gründen es dazu gekommen war. Was ihn aber nicht daran hinderte den Metvorrat seiner Freunde zu schmälern, denn bei ihm lief es zurzeit auch nicht so gut. Er hatte zwar ein paar tolle und amüsante Wochen mit Erato verbracht, die dann aber jäh endeten. Die dumme Pute hatte es sich nämlich dann doch nicht verkneifen können mit dem blöden Zankapfel anzugeben und Aphrodite bekam davon Wind. Jetzt war Silvio in Erklärungsnot, wo er das Ding denn eigentlich her hatte. Was sollte man dazu noch sagen? Er hatte selber Schuld. Wir hatten ihn seinerzeit ja gewarnt.
Aidan berichtete aber auch von ernsten Dingen. Zusammen mit seinem Bruder hatte er herausgefunden welch große Schuld Cadoc an der vergangenen Katastrophe trug.
Cadoc war bei den Ermittlungen hinsichtlich Franca, ihrer Verbindung zu Yolanders Verschwörer-Gruppe auf die Spur gekommen. Denen war er schon lange auf den Fersen, hatte aber nie genug Beweise gegen sie in der Hand. Anstatt sie alle gleich dingfest zu machen und uns mit einzubeziehen, wollte er unbedingt eine Falle stellen, um die Drahtzieher auch gleich zu erwischen.
Das war ja augenscheinlich mächtig schief gelaufen.
Yolander war dann auch ganz in der Nähe, um Augenzeuge zu werden wie zwei Prinzen und damit die halbe Monarchie den Bach runtergingen. Aber der Feigling hatte nicht mitgekämpft, sondern war geflohen als es schlecht um seine Truppe stand. Er war der Fahrer, der Renate so ohne Skrupel überfahren hatte.
Den Berichten zufolge war Cadoc trotz aller Verluste sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Hatte er doch jetzt die fehlenden Beweise um Yolander des Hochverrats anzuklagen. Mit seinen einsamen Entscheidungen hatte Cadoc viele Leben auf dem Gewissen. Wäre er die Dinge offener angegangen, könnte Mercan noch leben und Renate läge nicht im Koma.
Aber der Sturkopf lebte weiter nach seinem Motto: 'Das Wohl der Monarchie geht über die Befindlichkeiten Einzelner'. Dabei hatte er als Statthalter auch die volle Unterstützung unseres Königs. Da konnten sich Aidan und Amnon noch so viel bei ihrem Vater beschweren wie sie wollten, denn der Elbenkönig nimmt auch schon einmal Opfer in Kauf, wenn es um die Belange seines Reiches geht. Letztendlich würde sich Cadoc rechtfertigen können und alle Vorwürfe abschütteln wie ein nasser Hund das Wasser. Das, was ihm noch am meisten wehtun wird, ist das unnachgiebige Verhalten seiner Tochter. Guendalina war stinksauer auf ihren Vater und sprach seit dem Mordanschlag auf ihre menschliche Freundin kein Wort mehr mit ihm.
Ich hoffte nur, dass Renate überlebt. Wenn nicht, also wenn ich meine Liebe verlöre, würde ich mir kein Beispiel an Amnon nehmen. Der hatte sich ja Jahrhunderte lang in seiner Welt vergraben, als er seine Renate verlor. Ich hatte nicht vor, mich in meiner Welt zu verkriechen. NEIN! Ich, Cameon Awyr Las, würde Yolander noch vor allen anderen finden und dann könnten ihm nur noch seine Götter beistehen.
Als ich so da saß und Rachepläne schmiedete, geschah ein kleines Wunder und Glücksgefühle durchströmten mich.
Renate bewegte sich. Sie erlangte ihr Bewusstsein wieder. Sie erwachte!
2. Schmerzhaftes Erwachen. Auch Wiedergeborene haben ein Schmerzempfinden.
Wie durch einen dämpfenden Nebel hörte ich eine Stimme, die aber schnell deutlicher wurde:
„Hallo? Kannst du mich hören? Weißt du wie du heißt und wo du bist?“
Hä? Was war nur los mit mir und was waren das denn für blöde Fragen? Natürlich konnte ich hören und meinen Namen wusste ich selbstverständlich auch. Renate Eckhard heiße ich. Aber wer wollte das von mir wissen? Die andere Frage war etwas schwieriger zu beantworten. Wo war ich? Um das festzustellen musste ich erst einmal die Augen aufmachen, was sich als nicht so einfach herausstellte. Als ich dies mit viel Mühe endlich bewerkstelligt hatte, bekam ich erst einmal einen gehörigen Schreck. Denn ich schaute in ein fremdes Gesicht, das mich gespannt musterte. Dieses Gesicht gehörte zu einem Mann, der in einem weißen Kittel steckte. Das ließ die Vermutung zu, dass es sich um einen Arzt handelte und ich vielleicht in einem Krankenhaus lag. Anstatt dem Arzt nun zu antworten und somit zu beweisen, dass ich durchaus meinen Namen wusste, schaute ich vorsichtig an mir herunter und bekam gleich noch einmal einen richtigen Schock. Ich hatte überall Verbände und an manchen Stellen guckten Schläuche und Kabel aus meinem Körper hervor.
„Ach du Scheiße!“, kam es mit einer komisch heiseren Stimme aus mir heraus. Voller Panik starrte ich den Mann an und hoffte, dass er mir mal ganz schnell auf die Sprünge half.
Dieser unflätige Ausdruck reichte aber schon, um dem Arzt ein Lächeln zu entlocken und zudem noch ein anderes Gesicht auf den Plan zu rufen. Cameon beugte sich über mich und flüsterte unendlich erleichtert:
„Den Göttern sei Dank! Du bist wach.“
Als ich Cameon sah, war ich so froh! Bedeutete es doch, dass ich nicht allein war und sich jemand um mich sorgte. Dann allerdings kam schlagartig die Erinnerung: An Kämpfe, die Angst im Angesicht eines Todes durch einen Dolch verursacht, eine aufgespießte tote Franca in der Küche meiner Tante Elisa und der Zusammenprall mit einem Auto.
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